Prioritätsrecht
Shownotes
In dieser Folge sprechen Lukas Fleischer und Michael Stadler über das Prioritätsrecht im europäischen Patentübereinkommen (EPÜ). Das Prioritätsrecht ermöglicht es einem Erfinder, den Anmeldetag (Zeitrang) einer Patentanmeldung für spätere Anmeldungen (Nachanmeldungen) quasi weltweit zu beanspruchen, auch wenn diese erst nach der ersten Veröffentlichung der Erfindung eingereicht werden. Dies sorgt dafür, dass der Stand der Technik zum Zeitpunkt der ersten Anmeldung bewertet wird, wodurch der Erfinder mehr Zeit bekommt, um zu entscheiden, in welchen Ländern er Patentschutz beantragen möchte. Die Regelungen dazu finden sich in den Artikeln 87 bis 89 des EPÜ und haben ihren Ursprung in der Pariser Verbandsübereinkunft (PVÜ) von 1883.
Das Prioritätsrecht bedeutet, dass eine nachfolgende Anmeldung innerhalb von zwölf Monaten nach dem Anmeldetag der Erstanmeldung in einem der Vertragsstaaten der Pariser Verbandsübereinkunft eingereicht werden kann, um denselben Zeitrang wie die Erstanmeldung zu erhalten. Dies vereinfacht die internationale Patentierung, indem der Anmeldetag der Prioritätsanmeldung (Zeitrang) für alle späteren Patentanmeldungen in den Vertragsstaaten als Stichtag für die Beurteilung des Stands der Technik gilt. Zusätzlich zur fristgemäßen Einreichung der Anmeldung müssen die Anmelder innerhalb von 16 Monaten nach dem Prioritätstag beim Europäischen Patentamt (EPA) eine Prioritätserklärung einreichen und einen Prioritätsbeleg vorlegen, um das Prioritätsrecht geltend zu machen.
Das Prioritätsrecht gilt jedoch nur für die dieselbe Erfindung, die bereits in der Erstanmeldung offenbart wurde. Änderungen oder Ergänzungen am Inhalt der Nachanmeldung, können die Priorität nicht wirksam beanspruchen. Zusätzlich kann das Prioritätsrecht nur für die erste Anmeldung beansprucht werden, in der die Erfindung beschrieben wurde, sodass eine Verlängerung des Prioritätsjahres durch eine sogenannte "Kettenpriorität" nicht möglich ist. Das Prioritätsrecht ist ein privates Recht, das auch verkauft oder übertragen werden kann, wodurch bei entsprechender Berechtigung nicht nur der Anmelder die Vorteile des Prioritätsrechts nutzen kann.
Zitierte Rechtsvorschriften, Artikel und Regeln:
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00:00:06: Willkommen zum IP Courses Podcast,
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00:00:16: Mein Name ist Lukas Fleischer.
00:00:18: Heute spreche ich mit Michael Stadler über das
00:00:20: Prioritätsrecht im europäischen Patentübereinkommen.
00:00:23: Hallo Michael. Hallo Lukas.
00:00:25: Das Prioritätsrecht ist ja das historisch älteste Werkzeug,
00:00:29: um Patente international einfacher durchsetzen zu können.
00:00:33: Aus der Sicht des Anmelders geht es da grundsätzlich um die
00:00:36: Frage, welche formalen Schritte zur Patentanmeldung muss ich
00:00:40: vornehmen, bevor ich meine Erfindung zum ersten Mal in der
00:00:43: Öffentlichkeit präsentieren kann.
00:00:45: Das Prioritätsrecht gibt also hier eine wichtige
00:00:48: Vereinfachung für den Anmelder,
00:00:50: damit er möglichst früh seine Erfindung herzeigen kann,
00:00:53: möglichst geringe formale Anforderungen hat,
00:00:55: seine Ideen veröffentlichen zu können.
00:00:58: Vielleicht ganz am Anfang.
00:00:59: Wo findet sich eigentlich die Regelung zum Prioritätsrecht?
00:01:03: Im EPÜ ist das Prioritätsrecht in den Artikeln 87 bis 89
00:01:07: geregelt,
00:01:09: also bei den Bestimmungen über die Patentanmeldung.
00:01:12: Artikel 87 regelt die Voraussetzungen des Prioritätsrechts
00:01:15: in materiellrechtlicher Hinsicht.
00:01:18: Artikel 88 geht formal auf die Inanspruchnahme des
00:01:23: Prioritätsrechts ein und Artikel 89 regelt die Wirkungen des
00:01:27: Prioritätsrechts.
00:01:29: Diese Regelungen im EPÜ, die aus den 1970er Jahren stammen,
00:01:33: sind aber keine Erfindungen des Konventionsgebers im
00:01:36: Europäischen Patentübereinkommen.
00:01:38: Die sind vielmehr schon älter,
00:01:40: stammen bereits aus der Pariser Verbandsübereinkunft,
00:01:42: also aus dem 19.
00:01:44: Jahrhundert.
00:01:45: Stell dir also vor,
00:01:46: du möchtest deine Erfindung in den nächsten Tagen herzeigen
00:01:48: und hast noch niemand außerhalb deines Unternehmens von der
00:01:51: Erfindung erzählt.
00:01:53: Dementsprechend kannst du ja auch noch gar nicht wissen,
00:01:55: ob die Erfindung wirtschaftlich erfolgreich sein wird oder
00:01:57: nicht und ob das überhaupt jemanden interessiert.
00:01:59: Die Erfindung ist potenziell aber weltweit vermarktbar.
00:02:03: Was macht man jetzt, um sich einen Schutz dafür zu sichern?
00:02:06: Grundsätzlich muss eine Erfindung ja neu und erfinderisch
00:02:08: sein und zwar am Anmeldetag.
00:02:11: Es darf also noch keine Veröffentlichung der Erfindung
00:02:13: geben, bevor man angemeldet hat.
00:02:15: Das würde umgekehrt aber bedeuten,
00:02:17: dass du in jedem Land eine Erfindung eingereicht haben
00:02:19: musst, bevor die erste Veröffentlichung weltweit
00:02:23: stattfindet, denn der Neuheitsbegriff ist ja ein weltweiter.
00:02:27: Will man also die Erfindung potenziell weltweit schützen,
00:02:30: wäre es ohne Prioritätsrecht nötig,
00:02:32: die Erfindung sofort in allen Ländern anzumelden,
00:02:35: in denen man später Patentschutz haben will.
00:02:38: Nach der ersten Veröffentlichung wäre es zu spät.
00:02:41: Und ohne die Nutzung des Prioritätsrechts,
00:02:43: um das es in weiterer Folge geht,
00:02:45: wäre das extrem unpraktisch.
00:02:48: Diesen Gedanken, dass das offensichtlich extrem unpraktisch
00:02:51: ist, haben offensichtlich auch einige Politiker gehabt,
00:02:54: im Jahr 1887,
00:02:55: als in Paris eine Weltausstellung angestanden ist.
00:02:58: Für die Aussteller ist es wirtschaftlich keine schöne
00:03:02: Aussicht, dass ich weltweit an einem Tag möglichst überall
00:03:05: gleichzeitig Patentanmeldungen einreichen muss,
00:03:08: weil das ja auch sehr teuer ist.
00:03:09: Und damals war auch die Möglichkeit zur Kommunikation nur
00:03:12: sehr langsam.
00:03:14: Ist jetzt die Idee nicht gut gewesen,
00:03:17: dann wäre der gesamte finanzielle Aufwand,
00:03:19: die Übersetzungen, die Zahlungen,
00:03:21: das Beauftragen von Vertretern,
00:03:22: das wäre alles umsonst gewesen.
00:03:24: Wie sind die Politiker denn damals dieses Problem
00:03:28: angegangen?
00:03:29: Was wurde denn tatsächlich geregelt in dieser Pariser
00:03:32: Verbandsübereinkunft?
00:03:34: Die Idee hinter dem Prioritätsrecht ist es,
00:03:36: dem Anmelder jetzt einfach ein bisschen mehr Zeit zur
00:03:39: Entscheidung einzuräumen.
00:03:41: Vor allem, was die Länder betrifft,
00:03:43: in die der Anmelder für seine Erfindung gerne Patentschutz
00:03:47: haben möchte.
00:03:49: Formal wurde das über einen internationalen Vertrag
00:03:52: geregelt, mit dem einzelne Vertragsstaaten sich
00:03:54: verpflichten,
00:03:56: den Anmeldetag einer ausländischen Patentanmeldung für ihr
00:04:00: Land anzuerkennen.
00:04:02: Grob gesprochen reicht es jetzt aus,
00:04:04: dass man die Anmeldung in einem einzelnen Vertragsstaat
00:04:08: dieses Übereinkommens anmeldet und damit sichert man sich
00:04:11: den Anmeldetag für alle Länder.
00:04:14: Nachanmeldungen bei einem anderen Amt, als dem,
00:04:17: bei dem ich zuerst eingereicht habe,
00:04:19: die kann ich dann bis zu zwölf Monate später einreichen.
00:04:23: Dennoch behalte ich meinen Zeitrang,
00:04:25: also meinen Stichtag für den Stand der Technik.
00:04:27: Das heißt, der Stand der Technik wird an dem Tag meiner
00:04:31: Erstanmeldung praktisch eingefroren.
00:04:34: Es kommt nichts Neues mehr dazu.
00:04:36: Dieser Pariser Verband von dem ich hier spreche,
00:04:38: der hatte ursprünglich nur wenige Staaten gehabt,
00:04:41: die also Interesse an vielen Neuheiten an dieser
00:04:44: Weltausstellung hatten.
00:04:45: Heute sind aber beinahe alle Staaten weltweit dabei.
00:04:48: Das heißt also aufgrund des Prioritätsrechts und der
00:04:51: Regelungen, die bereits in der Pariser Verbandsübereinkunft
00:04:53: getroffen wurden, reicht es aus,
00:04:56: wenn ich vor der ersten Veröffentlichung meiner Erfindung
00:04:58: eine Patentanmeldung in einem einzigen Vertragsstaat des
00:05:01: Pariser Verbandsübereinkommens wirksam eingereicht habe.
00:05:05: Mit dieser Einreichung der Erstanmeldung begründe ich einen
00:05:09: Zeitrang und friere einen Zeitpunkt ein,
00:05:12: dem der Stand der Technik für alle meiner Anmeldungen weltweit
00:05:16: beurteilt wird.
00:05:17: Diese Nachanmeldungen können dann die Priorität der
00:05:20: Erstanmeldung in Anspruch nehmen,
00:05:22: also den Zeitrang dieser Erstanmeldung.
00:05:25: Somit kann die Entscheidung,
00:05:27: in welchen Ländern dann tatsächlich Patentschutz begehrt
00:05:30: wird und eine Patentanmeldung eingereicht wird,
00:05:32: zu einem späteren Zeitpunkt getroffen werden,
00:05:35: ohne dass die eigene Veröffentlichung der Erfindung dieser
00:05:38: späteren Patentierung entgegenstehen würde.
00:05:40: Jetzt, nachdem wir uns mit den theoretischen Grundlagen
00:05:42: beschäftigt haben aber vielleicht die praktische Frage,
00:05:45: was muss ich denn tun, um ein solches Prioritätsrecht in Anspruch nehmen zu können, insbesondere
00:05:49: was muss ich vor dem Europäischen Patentamt tun?
00:05:52: Im ersten Schritt, also vor der ersten Veröffentlichung,
00:05:55: reicht es, wie gesagt, aus,
00:05:57: eine einzige Anmeldung in irgendeinem PVÜ-Staat
00:06:00: einzureichen.
00:06:01: Das ist typischerweise nicht das Europäische Patentamt,
00:06:04: sondern jedes Land ist da grundsätzlich gleich gut.
00:06:08: Man muss auch dem jeweiligen Patentamt der Erstanmeldung
00:06:11: nicht sagen, dass man ins Ausland gehen möchte.
00:06:14: Du musst einfach nur irgendwo in einem Verbandstaat die
00:06:17: Patentanmeldung einreichen und innerhalb von zwölf Monaten
00:06:21: kann dann der Anmelder eine Nachanmeldung einreichen,
00:06:24: wenn er sein Prioritätsrecht haben möchte.
00:06:27: Wie nehme ich denn jetzt das Prioritätsrecht vor dem
00:06:29: Europäischen Patentamt in Anspruch?
00:06:31: Ich teile dem Patentamt mit,
00:06:34: dass es sich bei meiner Anmeldung um eine Nachanmeldung
00:06:37: handelt.
00:06:38: Das muss ich nicht unmittelbar bei der Anmeldung tun,
00:06:40: sondern da habe ich 16 Monate ab dem Tag der
00:06:44: Erstanmeldung Zeit.
00:06:46: Ich muss da eine Prioritätserklärung gegenüber dem
00:06:49: Europäischen Patentamt abgeben und dabei teile ich dem
00:06:52: Europäischen Patentamt Folgendes mit,
00:06:54: nämlich erstens das Amt bzw.
00:06:57: das Land, wo ich die Erstanmeldung eingereicht habe,
00:07:00: den Tag, an dem ich die Erstanmeldung eingereicht habe und
00:07:03: auch das Aktenzeichen,
00:07:05: das für diese Anmeldung vergeben worden ist.
00:07:08: Das Europäische Patentamt fordert von mir darüber hinaus
00:07:10: auch noch einen sogenannten Prioritätsbeleg oder
00:07:12: Prioritätsnachweis.
00:07:14: Bei einem Prioritätsbeleg handelt es um eine Abschrift der
00:07:18: Anmeldung, die ich ursprünglich beim Amt der Erstanmeldung
00:07:21: eingereicht habe.
00:07:23: Es handelt sich da praktisch um einen Beweis dafür,
00:07:26: dass die Erstanmeldung tatsächlich stattgefunden hat.
00:07:29: Wie gesagt, diesen Schritt muss ich innerhalb von 16 Monaten
00:07:32: ab der Erstanmeldung tun.
00:07:34: Man nennt das die Inanspruchnahme des Prioritätsrechts.
00:07:37: Um also eine Priorität in Anspruch nehmen zu können,
00:07:40: muss ich zuerst in einem Verbandsstaat der PVÜ eine
00:07:44: Patentanmeldung einreichen und dort einen Anmeldetag
00:07:48: begründen.
00:07:50: Dann kann ich innerhalb von zwölf Monaten nach dem Anmeldetag
00:07:53: dieser Erstanmeldung in einem oder mehreren Staaten des
00:07:57: Pariser Verbandsübereinkommens eine prioritätsbeanspruchende
00:08:00: Nachanmeldung einreichen.
00:08:02: Im Verfahren vor dem Europäischen Patentamt muss sich das
00:08:04: Prioritätsrecht innerhalb von 16 Monaten nach dem
00:08:08: Prioritätstag in Anspruch nehmen.
00:08:10: Dabei muss ich das Amt und das Land,
00:08:13: das Datum und das Aktenzeichen der Erstanmeldung angeben,
00:08:17: deren Priorität ich beanspruchen möchte.
00:08:20: Um für eine europäische Patentanmeldung wirksam die
00:08:22: Priorität beanspruchen zu können,
00:08:24: muss auch ein Prioritätsbeleg eingereicht werden,
00:08:27: also eine Abschrift der ursprünglich eingereichten Anmeldung
00:08:30: beim Amt der Erstanmeldung.
00:08:32: Also gut, ich reiche jetzt meine Patentanmeldung ein und ich
00:08:35: weiß, ich begründe ein Prioritätsrecht und veröffentliche
00:08:38: dann meine Erfindung.
00:08:39: Wenn ich jetzt also im Ausland in einem beliebigen
00:08:41: PVÜ-Verbandsstaat, eine Patentanmeldung einreiche,
00:08:45: dann habe ich ja durch diese eigene Veröffentlichung bereits
00:08:48: Stand der Technik geschaffen,
00:08:49: die vor dem Anmeldetag dieser Nachanmeldung liegt.
00:08:52: Wie soll denn diese Erfindung dann bitte noch neu sein?
00:08:55: Du hast recht, wenn ich nichts weiter mache und kein
00:08:58: Prioritätsrecht beanspruche,
00:09:00: dann wird meine eigene Veröffentlichung die Patentierung
00:09:03: meiner Nachanmeldung verhindern.
00:09:04: Und genau da kommt jetzt die Wirkung des Prioritätsrechts
00:09:07: ins Spiel.
00:09:08: Das Prioritätsrecht bewirkt nämlich,
00:09:10: dass die später eingereichte Auslandsanmeldung,
00:09:13: also die Nachanmeldung,
00:09:15: auf den Tag der Erstanmeldung zurückdatiert wird,
00:09:19: zumindest was ihren Stand der Technik betrifft.
00:09:22: Das finden wir in Artikel 89 EPÜ näher geregelt.
00:09:26: Das Prioritätsrecht ist jetzt besonders relevant für
00:09:29: Veröffentlichungen,
00:09:30: die zwischen dem Erstanmeldetag und der Nachanmeldung
00:09:33: stattgefunden haben.
00:09:35: Man spricht hier von Zwischenveröffentlichungen und solche
00:09:39: Zwischenveröffentlichungen die du hier angesprochen hast,
00:09:41: die zählen jetzt nicht mehr zum Stand der Technik und die
00:09:43: können unsere Patentierung nicht mehr
00:09:45: gefährden.
00:09:49: Die Wirkung des Prioritätsrechts ist also die,
00:09:51: dass der Anmeldetag,
00:09:52: der maßgebliche Zeitrang der Nachanmeldung auf den Tag der
00:09:56: Erstanmeldung, den sogenannten Prioritätstag,
00:09:59: zurückdatiert wird.
00:10:00: Entsprechend ist der Tag,
00:10:02: der den Stand der Technik festlegt,
00:10:03: der für die Beurteilung der Patentierbarkeit dieser
00:10:05: Nachanmeldung herangezogen wird,
00:10:07: nicht mehr der Anmeldetag der Nachanmeldung,
00:10:10: sondern der Prioritätstag,
00:10:12: also der Tag der Einreichung der Erstanmeldung.
00:10:14: Dadurch ist auch eine später eingereichte Patentanmeldung
00:10:17: neu gegenüber einer sogenannten Zwischenveröffentlichung,
00:10:21: also einer Veröffentlichung,
00:10:22: die zwischen dem Prioritätstag und dem Anmeldetag der
00:10:24: nachgereichten Anmeldung stattgefunden hat.
00:10:27: Eine solche Zwischenveröffentlichung zählt damit nicht mehr
00:10:30: zum Stand der Technik und schadet nicht der Patentierung der
00:10:32: Nachanmeldung.
00:10:34: Wie sieht es jetzt aus, wenn ich meine Erfindung im Laufe
00:10:36: der zwölf Monate weiter verbessere oder abwandle?
00:10:40: Also ich habe beispielsweise neue Ideen oder
00:10:43: Weiterentwicklungen,
00:10:44: kann ich jetzt einfach diese Verbesserungen zu meiner
00:10:46: Nachanmeldung hinzufügen und trotzdem die Priorität,
00:10:49: also den besseren Zeitrang der Erstanmeldung in Anspruch
00:10:52: nehmen, auch wenn diese Sachen noch gar nicht
00:10:54: drinnen gestanden sind?
00:10:55: Zunächst einmal gibt es kein Verbot,
00:10:58: neue Inhalte in eine Nachanmeldung einzufügen bzw.
00:11:02: in einer Nachanmeldung weiter zu verfolgen.
00:11:05: Also anders als in der Anmeldung selbst,
00:11:08: wo es ein sehr striktes Verbot gibt,
00:11:10: dass man nichts hinzufügen darf,
00:11:12: gibt es ein solches Verbot zwischen Erstanmeldung und
00:11:15: Nachanmeldung nicht.
00:11:17: Und auch das Prioritätsrecht ist durch eine solche
00:11:19: Hinzufügung nicht für die gesamte Anmeldung zur
00:11:22: Gänze verloren.
00:11:23: Das Prioritätsrecht gilt aber nur für dieselbe Erfindung.
00:11:28: das heißt Patentansprüche,
00:11:30: die bereits in der Erstanmeldung enthalten waren oder
00:11:32: Erfindungen die bereits in dieser Anmeldung offenbart sind,
00:11:36: bekommen einen besseren Zeitrang.
00:11:39: Für die ist der Stand der Technik durch den Anmeldetag der
00:11:43: früheren Anmeldung bestimmt.
00:11:45: Wann kann ich denn mit Sicherheit sagen,
00:11:47: dass eine Erfindung schon in der Erstanmeldung enthalten war
00:11:49: und wann ist das nicht der Fall?
00:11:51: Das kann zum Teil sehr strittig sein.
00:11:54: Also die Frage,
00:11:55: ist das wirklich ursprünglich schon in der Erstanmeldung
00:11:59: drin gestanden oder nicht?
00:12:01: Diese Frage wird im Prinzip nach den gleichen Maßstäben
00:12:05: beurteilt, die man auch bei Änderungen ansetzt,
00:12:08: also wiederum das Kriterium unmittelbar und eindeutig.
00:12:12: Das Prioritätsrecht gilt nur dann für Patentansprüche oder
00:12:16: Erfindungen, die bereits in der Erstanmeldung unmittelbar
00:12:20: und eindeutig enthalten waren.
00:12:22: Und was ist jetzt mit den neuen zugefügten Teilen? Was gilt
00:12:25: für die für einen Zeitrang?
00:12:27: Wenn du neue Merkmale in den Patentanspruch aufnimmst,
00:12:31: die in der ersten Anmeldung überhaupt noch nicht offenbart
00:12:34: waren, dann bekommt der Patentanspruch nicht das
00:12:37: Prioritätsrecht.
00:12:38: Der Stand der Technik bemisst sich dann einfach am
00:12:41: Anmeldetag der Nachanmeldung.
00:12:43: Das muss aber nicht unbedingt schlimm sein,
00:12:45: denn wenn du diese Weiterentwicklung vor der Nachanmeldung
00:12:49: noch nicht veröffentlicht hast,
00:12:51: dann kann das ja durchaus noch neu sein.
00:12:54: Fassen wir also kurz zusammen.
00:12:56: Es ist grundsätzlich möglich, in
00:12:58: so einer Nachanmeldung neue Inhalte aufzunehmen,
00:13:01: denn es handelt sich ja um eine eigenständige Anmeldung und
00:13:03: es gibt kein Verbot,
00:13:05: neue Gegenstände in eine Nachanmeldung einzufügen,
00:13:07: die nicht bereits in der Erstanmeldung enthalten waren.
00:13:10: Solche neuen Gegenstände können aber die Priorität nicht
00:13:13: wirksam in Anspruch nehmen,
00:13:15: denn das Prioritätsrecht beschränkt sich auf dieselbe
00:13:17: Erfindung, also im Wesentlichen auf das,
00:13:19: was in der ersten Anmeldung,
00:13:21: in der prioritätsbegründenden Anmeldung schon offenbart war.
00:13:24: Das heißt, ein Prioritätsrecht besteht nur dann,
00:13:26: wenn der Gegenstand auch dieselbe Erfindung betrifft,
00:13:29: die bereits in der Prioritätsanmeldung enthalten war.
00:13:32: Jetzt könnte ich ja auf die Idee kommen,
00:13:33: dass ich alle zwölf Monate eine neue Nachanmeldung einreiche
00:13:37: und jeweils die Priorität der vorangegangenen Anmeldung
00:13:41: beanspruche und so mein Prioritätsrecht praktisch
00:13:43: ewig mitnehme.
00:13:44: Kann ich meinen Parteienschutz jetzt ewig verlängern,
00:13:47: indem ich immer wieder prioritätsbeanspruchende
00:13:49: Anmeldungen hinterlege?
00:13:51: Dieses Problem war auch schon zu der Zeit bekannt,
00:13:54: als man die Pariser Verbandsübereinkunft geschrieben hat.
00:13:57: Man nennt das eine sogenannte Kettenpriorität und man hat
00:14:00: das von dir geschilderte Problem mit einer sehr einfachen
00:14:03: Regelung vermieden.
00:14:05: Denn die Anmeldung von der man sein Prioritätsrecht in
00:14:08: Anspruch nimmt,
00:14:09: die muss tatsächlich die erste Anmeldung sein,
00:14:11: die innerhalb des Pariser Verbands vom betreffenden Anmelder
00:14:15: eingereicht wurde.
00:14:17: Man kann selbstverständlich mehrere Anmeldungen für dieselbe
00:14:19: Erfindung einreichen,
00:14:20: aber das Prioritätsrecht geht nur von der ersten dieser
00:14:24: Anmeldungen aus.
00:14:25: Wenn man also eine Kette von Anmeldungen einreicht,
00:14:28: die du gerade vorgeschlagen hast,
00:14:30: dann geht das genau einmal gut, nämlich zum ersten Mal.
00:14:33: Die zweite Anmeldung kann das Prioritätsrecht der ersten
00:14:36: Anmeldung wirksam in Anspruch nehmen.
00:14:39: Aber schon bei der dritten Anmeldung geht es nicht mehr,
00:14:43: weil die dritte Anmeldung nicht mehr das Prioritätsrecht der
00:14:46: zweiten Anmeldung in Anspruch nehmen kann.
00:14:49: Die zweite Anmeldung ist einfach nicht mehr geeignet.
00:14:51: Von der geht das Prioritätsrecht nicht mehr aus.
00:14:55: Es ist also nur die erste Anmeldung,
00:14:57: die eine Erfindung tatsächlich enthält,
00:15:00: wirklich prioritätsbegründet.
00:15:02: Das heißt, man kann zwar für Nachanmeldungen diese Priorität
00:15:06: öfters in Anspruch nehmen,
00:15:07: aber sobald ich ein zweites Mal denselben Gegenstand in eine
00:15:10: Anmeldung hinein gepackt habe,
00:15:12: dann begründet das nicht ein neues Prioritätsrecht,
00:15:14: wenn bereits eine Priorität in Anspruch genommen wurde.
00:15:17: Entsprechend ist es nicht möglich,
00:15:19: durch eine Kettenpriorität das Prioritätsrecht ewig lang zu
00:15:23: verlängern.
00:15:24: Unter Umständen bin ich gar nicht daran interessiert,
00:15:27: selbst Auslandsanmeldungen einzureichen,
00:15:29: sondern mir reicht mein nationales Schutzrecht.
00:15:31: Vielleicht kann ich auch gar nicht in anderen Ländern
00:15:33: Patentanmeldungen einreichen,
00:15:35: weil ich es mir nicht leisten kann.
00:15:37: Ist es also möglich,
00:15:38: dass ich mein Prioritätsrecht verkaufen kann,
00:15:40: damit jemand anderes als ich dann im Ausland die Anmeldungen
00:15:44: hinterlegen kann und trotzdem die Priorität
00:15:46: in Anspruch nehmen kann?
00:15:47: Ja das ist grundsätzlich möglich.
00:15:50: Es gibt aber die Voraussetzung,
00:15:52: dass jemand das Prioritätsrecht für eine Nachanmeldung nur
00:15:55: dann in Anspruch nehmen kann,
00:15:56: wenn er dazu persönlich berechtigt ist.
00:15:59: Das heißt, dieses Recht zur Durchführung von Anmeldungen,
00:16:01: das kommt grundsätzlich dem Anmelder der ersten Anmeldung zu.
00:16:06: Dieser Anmelder kann sein Prioritätsrecht allerdings auch
00:16:09: verkaufen oder sonst veräußern.
00:16:11: Wenn man die Nachanmeldung durchführt, ist es auch sinnvoll,
00:16:14: den Erwerb dieses Prioritätsrechts nachweisen zu können.
00:16:18: Das Prioritätsrecht ist also ein eigenes Privatrecht,
00:16:21: das auch verkauft und übertragen werden kann.
00:16:24: Man kann die Priorität aber nur in Anspruch nehmen,
00:16:27: wenn man dazu auch persönlich berechtigt ist und diese
00:16:29: Rechte entweder durch Einreichung der Erstanmeldung oder
00:16:32: durch eben Kauf oder Übertragung erworben hat.
00:16:35: Fassen wir also zusammen.
00:16:37: Aufgrund des Prioritätsrechts kann man den Zeitrang einer
00:16:40: Anmeldung von einer eigenen älteren Anmeldung übernehmen und
00:16:45: bewirkt somit,
00:16:46: dass der Stand der Technik der zur Beurteilung der
00:16:48: Patentierbarkeit dieser späteren Anmeldung herangezogen
00:16:51: wird, auf den Prioritätstag zurückdatiert wird.
00:16:54: Eine solche Erstanmeldung die prioritätsbegründend für
00:16:58: Nachanmeldungen wirkt, kann
00:17:00: grundsätzlich in jedem Verbandstaat der PVÜ eingereicht
00:17:04: werden.
00:17:05: Innerhalb von zwölf Monaten,
00:17:07: nachdem ich diese Prioritätsanmeldung wirksam eingereicht
00:17:09: habe,
00:17:11: also der prioritätsbegründenden Anmeldung ein Anmeldetag
00:17:14: zugesprochen wurde,
00:17:15: kann ich die Priorität dieser Erstanmeldung in Anspruch
00:17:18: nehmen und Anmeldungen im Ausland hinterlegen,
00:17:20: die dann eben diesen besseren Zeitrang in Anspruch
00:17:22: nehmen können.
00:17:24: Im Verfahren vor dem Europäischen Patentamt kann ich das
00:17:27: Prioritätsrecht innerhalb von 16 Monaten nach dem
00:17:30: Prioritätstag in Anspruch nehmen.
00:17:32: Dabei muss ich das Land,
00:17:33: den Tag und das Aktenzeichen nennen,
00:17:36: aus dem diese Erstanmeldung stammt.
00:17:39: Zusätzlich muss auch ein Prioritätsbeleg vorgelegt werden,
00:17:42: also eine Bestätigung des entsprechenden Patentamts der
00:17:44: Erstanmeldung,
00:17:46: dass diese Anmeldung eingereicht wurde und was deren
00:17:48: Inhalt war.
00:17:49: Das Prioritätsrecht kann auch auf Dritte übertragen werden.
00:17:52: Es ist also ein frei übertragbares Privatrecht und
00:17:55: so kann das Prioritätsrecht gesondert von dem Schicksal der
00:17:59: Erstanmeldung übertragen werden.
00:18:01: Ein Prioritätsrecht gilt nur für jene Erfindung oder jene Erfindungen,
00:18:05: die bereits in der prioritätsbegründeten Anmeldung
00:18:08: enthalten waren.
00:18:09: Ist jedoch in dieser prioritätsbeanspruchenden Nachanmeldung
00:18:12: etwas Neues dazugekommen,
00:18:14: das ursprünglich in der prioritätsbegründenden Anmeldung
00:18:17: nicht offenbart war,
00:18:18: dann kann ich für diese zusätzliche Erfindung jedoch nicht
00:18:21: wirksam die Priorität beanspruchen.
00:18:23: Der Zeitrang für diese zusätzliche Erfindung entspricht dann
00:18:26: dem Anmeldetag der Nachanmeldung.
00:18:29: Die Anmeldung, deren Prioritätsrecht in Anspruch genommen
00:18:32: wird, muss die erste Anmeldung des Anmelders gewesen sein,
00:18:35: in der dieser Gegenstand enthalten war.
00:18:37: Auf diese Weise werden sogenannte Kettenprioritäten
00:18:40: vermieden, also die zeitlich unbeschränkte Mitnahme von
00:18:43: Prioritätsrechten und Zeiträngen über unbestimmt lange
00:18:45: Zeiträume.
00:18:48: Das war eine Folge zum Thema Prioritätsrecht.
00:18:51: Vielen Dank, Michael, und vielen Dank für Ihr
00:18:53: Interesse.
00:18:59: Das war ein IP Courses Podcast. Für Feedback
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