Neuheit und Stand der Technik
Shownotes
In dieser Folge sprechen Lukas Fleischer und Michael Stadler über die Begriffe Neuheit und Stand der Technik im Patentrecht. Eine Erfindung gilt als neu, wenn sie nicht bereits zum Stand der Technik gehört. Der Stand der Technik umfasst alles, was vor dem Anmeldetag der Patentanmeldung öffentlich zugänglich gemacht wurde, sei es durch schriftliche oder mündliche Beschreibung, durch Benutzung oder auf sonstige Weise. Auch Veröffentlichungen des Erfinders selbst zählen dazu und können eine Patentanmeldung verhindern, wenn sie vor dem Anmeldetag geschehen. Das EPÜ regelt in Artikel 54, wann eine Erfindung als neu gilt. Wichtig ist, dass alle relevanten Merkmale der Erfindung vor der Anmeldung nicht bekannt sein dürfen, sonst kann die Patentierbarkeit gefährdet sein. Eigene Veröffentlichungen des Erfinders können genauso neuheitsschädlich sein wie fremde Veröffentlichungen. Daher ist wichtig, vor einer Präsentation oder Veröffentlichung – sei es in Journalen, auf Messen, im Internet oder durch öffentliche Vorbenutzung – eine Patentanmeldung einzureichen. Gesetzliche Bestimmungen zu den Patentansprüchen
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00:00:06: Willkommen zum IP Courses Podcast,
00:00:10: dem Podcast für gewerblichen Rechtsschutz.
00:00:18: Mein Name ist Michael Stadler, heute spreche ich mit Lukas Fleischer über das Thema Neuheit und Stand der Technik.
00:00:21: Hallo Lukas.
00:00:22: Hallo Michael.
00:00:23: Neuheit und Stand der Technik sind zwei zentrale Begriffe im
00:00:26: Patentrecht.
00:00:27: Nur wenn man bestimmen kann,
00:00:28: was zu einem relevanten Zeitpunkt zum Stand der Technik gehört
00:00:31: hat, kann man in weiterer Folge beurteilen,
00:00:34: ob eine Erfindung auch tatsächlich neu ist.
00:00:36: Um die zugrundeliegenden Konzepte anschaulicher besprechen
00:00:39: zu können,
00:00:41: werden gleich ein paar beispielhaft ausgewählte kritische
00:00:43: Situationen diskutieren,
00:00:45: in denen wir auf unterschiedliche Aspekte dieser Begriffe
00:00:48: eingehen werden.
00:00:49: Aber bevor wir uns in die Beispiele vertiefen,
00:00:51: wo befindet sich der Begriff der Neuheit und des Standes der
00:00:55: Technik eigentlich im EPÜ?
00:00:56: Die Regelungen zur Neuheit und Stand der Technik liegen am
00:01:00: Anfang des materiellrechtlichen Teils des EPÜ und zwar im
00:01:03: Artikel 54.
00:01:05: Der Artikel 54 Absatz 1 sagt, eine Erfindung gilt als neu,
00:01:09: wenn sie nicht zum Stand der Technik gehört.
00:01:12: Artikel 54 Absatz 2 besagt,
00:01:15: den Stand der Technik bildet alles,
00:01:17: was vor dem Anmeldetag der europäischen Patentermeldung der
00:01:20: Öffentlichkeit durch schriftliche oder mündliche
00:01:23: Beschreibung, durch Benutzung oder in sonstiger Weise
00:01:25: zugänglich gemacht worden ist.
00:01:26: Das heißt,
00:01:27: der Artikel 54 regelt,
00:01:29: wann eine Erfindung neu ist und was ich mir anschauen muss,
00:01:32: um beurteilen zu können, ob eine Erfindung neu ist.
00:01:36: Dann beginne ich vielleicht mit einem ganz
00:01:38: typischen Beispiel.
00:01:39: Ein Erfinder ruft dich an, schildert die folgende Situation:
00:01:42: Er hat einen Becher mit einer wärmesolierenden Manchette
00:01:44: erfunden und er möchte jetzt auch eine europäische
00:01:47: Patentermeldung einreichen, um seine Erfindung zu schützen.
00:01:50: Er hat auch schon gehört,
00:01:51: dass seine Erfindung neu sein muss, da er eine Chance hat,
00:01:54: damit durchs Verfahren zu kommen.
00:01:56: Und die Frage ist, worauf muss er denn da jetzt konkret
00:01:58: achten, worauf muss er aufpassen,
00:02:00: um sich nicht schon vorher vor der Einreichung seiner
00:02:03: Anmeldung selbst ins Knie zu schießen?
00:02:05: In dieser Situation gibt es zwei Aspekte,
00:02:07: die sehr wichtig sind.
00:02:09: Einmal gibt es den Stand der Technik,
00:02:11: der durch die Veröffentlichung von Dritten gebildet wird.
00:02:14: Also alles das, was in Zeitschriften veröffentlicht worden
00:02:16: ist, in Patentschriften,
00:02:17: in veröffentlichten Patentanmeldungen.
00:02:19: Auf all diese Sachen hat der Anmelder oder der Erfinder
00:02:22: keinen Einfluss.
00:02:23: Das heißt, solche Vorveröffentlichungen werden in der Regel
00:02:26: im Prüfungsverfahren später vielleicht recherchiert und dann
00:02:28: auch relevant,
00:02:30: wenn der Erfinder sich nicht schon selbst vorab kennt oder
00:02:32: vielleicht eine Recherche durchgeführt hat.
00:02:34: Gibt es beispielsweise bereits eine vorveröffentlichte
00:02:36: Patentanmeldung,
00:02:37: die die Erfindung in ihre Gesamtheit beschreibt,
00:02:40: dann ist diese nicht mehr neu.
00:02:41: Gehen wir davon aus, dass der Erfinder selbst eine kurze
00:02:44: Recherche durchgeführt hat und auch das Gebiet der Technik
00:02:47: so gut kennt, dass wir sicher sein können,
00:02:49: dass die Konkurrenz noch keine relevanten
00:02:51: Veröffentlichungen gemacht hat.
00:02:53: Wenn wir jetzt der Einfachheit halber annehmen,
00:02:55: es gibt tatsächlich noch keinen solchen Stand der Technik
00:02:58: gibt es dann trotzdem noch etwas für unseren Erfinder
00:03:00: zu beachten?
00:03:01: Ja tatsächlich. Es gibt noch einen weiteren kritischen
00:03:03: Punkt, denn auch die eigenen Vorveröffentlichungen des
00:03:06: Erfinders, also Informationen,
00:03:08: die der Erfinder selber an die Öffentlichkeit trägt,
00:03:11: gehören genauso zum Stand der Technik wie auch die vorher
00:03:13: erwähnten Veröffentlichungen und Offenbarungen von Dritten.
00:03:17: Wenn man also vor der Einreichung einer Anmeldung schon zu
00:03:19: viele Informationen preisgegeben hat und zu viele Aspekte
00:03:22: der Erfindung selbst an die Öffentlichkeit getragen hat,
00:03:25: dann können auch diese der Patentierung entgegenstehen.
00:03:29: Denn eigene Veröffentlichungen werden bei der Beurteilung
00:03:32: der Neuheit genauso berücksichtigt wie jede andere
00:03:34: Offenbarung.
00:03:35: Das heißt, es gibt keinen Unterschied zwischen eigener
00:03:38: Offenbarung und fremden Veröffentlichungen.
00:03:42: Also wenn jemand in einer solchen Situation bei mir anruft,
00:03:45: dann ist meine erste Frage immer,
00:03:47: haben Sie das vielleicht schon selber veröffentlicht,
00:03:49: weil dann können wir es nicht mehr anmelden.
00:03:51: Das heißt, beim Stand der Technik kommt es also nicht
00:03:53: darauf an, von wem eine Veröffentlichung stammt.
00:03:56: Stand der Technik ist ein objektiver Begriff,
00:03:59: der sich einfach auf alles bezieht,
00:04:00: was öffentlich geworden ist.
00:04:02: Und das, was öffentlich geworden ist,
00:04:04: das kann ich später nicht mehr patentieren.
00:04:06: Und auch eigene Veröffentlichungen können die Patentierung
00:04:09: meiner Erfindung verhindern.
00:04:11: Schauen wir uns dazu vielleicht einmal einen ersten Fall an,
00:04:13: wo es schon ein bisschen kritischer wird.
00:04:15: Ich versetze mich dafür wieder in die Lage des Erfinders,
00:04:18: der bei dir anruft und angenommen,
00:04:20: ich habe eine geheime Entwicklung und morgen ist eine Messe.
00:04:23: Da würde ich die Entwicklung gern her zeigen.
00:04:25: Und ich stehe jetzt in der unguten Situation,
00:04:27: dass ich hierfür noch keine Patentermeldung eingereicht habe
00:04:30: und trotzdem morgen meine Entwicklung präsentieren möchte,
00:04:33: ja praktisch präsentieren muss,
00:04:35: weil ich will sie ja verkaufen.
00:04:36: Kann ich da noch etwas tun, um meine Erfindung zu schützen?
00:04:39: Wir haben natürlich schon die Möglichkeit,
00:04:41: jetzt noch etwas zu tun, denn entscheidend ist es,
00:04:44: wie wir vorher schon diskutiert haben,
00:04:45: ob die Erfindung bis jetzt geheim gehalten wurde.
00:04:48: Sprich, wenn alle Informationen über die Erfindung und die
00:04:51: Aspekte der Erfindung noch bei dir,
00:04:53: also beim Erfinder liegen,
00:04:54: dann hat es noch keine eigene Veröffentlichung gegeben,
00:04:57: die der Patentermeldung neuheitsschädlich
00:04:59: entgegenstehen würde.
00:05:00: In diesem Fall ist es also möglich, dass ich,
00:05:03: wenn mich der Erfinder beispielsweise zu Mittag anruft,
00:05:05: vielleicht noch am selben Tag eine Patentermeldung
00:05:07: ausarbeiten und einreichen kann.
00:05:09: Nachdem die Messe erst in der Zukunft stattfindet,
00:05:11: nämlich morgen, ist das für die Neuheit kein Problem.
00:05:15: Denn da die Vorstellung des Produkts bzw.
00:05:17: das Zugänglichmachen aller Aspekte der Erfindung für die
00:05:20: Öffentlichkeit noch nicht stattgefunden hat,
00:05:22: ist auch noch kein Stand der Technik geschaffen worden.
00:05:25: Das Einreichen einer Patentermeldung ist damit möglich und
00:05:28: die eigene Vorveröffentlichung gibt es in diesem
00:05:30: Fall ja noch gar nicht.
00:05:31: Das heißt, der relevante Stand der Technik wird nur durch die
00:05:34: Veröffentlichung in dritter gebildet,
00:05:36: den es dann zurück berücksichtigen
00:05:37: Gilt. Das heißt,
00:05:38: wichtig ist, dass man weiß,
00:05:40: welchen Stand der Technik man selbst bereits geschaffen hat.
00:05:43: Denn in der Regel ist das selbst geschaffene Stand der Technik
00:05:46: meistens sehr spezifisch und würde die Patentierung der
00:05:48: eigenen Erfindung wohl in weiterer Folge verhindern.
00:05:52: Jetzt variieren wir den Fall ein wenig und machen ihn noch
00:05:54: ein bisschen kritischer für unseren Erfinder.
00:05:57: Wir stehen gerade auf einer Messe und präsentieren unser
00:05:59: neues Produkt,
00:06:00: also einen Becher mit einer wärmeisolierenden Manschette,
00:06:04: haben aber immer noch keine Patentermeldung eingereicht.
00:06:07: Wie sollte man da jetzt vorgehen?
00:06:09: Wie du richtig gesagt hast,
00:06:10: in dem Fall die Situation natürlich deutlich
00:06:12: kritischer als zuvor.
00:06:14: Denn es hat schon eine eigene Veröffentlichung
00:06:16: stattgefunden.
00:06:17: Das heißt, die Informationen über die Erfindung und die
00:06:19: Aspekte der Erfindung sind bereits vom Erfinder selbst an
00:06:23: die Öffentlichkeit getragen worden.
00:06:24: Und das wurde damit eine eigene Vorveröffentlichung
00:06:26: geschaffen.
00:06:27: In diesem Fall ist also die relevante Frage,
00:06:30: wann wurde denn dieser Stand der Technik geschaffen?
00:06:32: Denn heute ist der Tag der Messe,
00:06:35: das Produkt wird ja gerade vorgestellt.
00:06:38: Und der Artikel 54 Absatz 2 sagt aber,
00:06:40: zum Stand der Technik gehört nur das was vor dem Anmeletag der
00:06:44: Öffentlichkeit bekannt gemacht worden ist.
00:06:46: Nachdem der Erfinder ja gerade auf der Messe steht und der
00:06:49: Tag noch nicht vorbei ist,
00:06:51: scheint die Bedingung ja noch nicht erfüllt zu sein, oder?
00:06:54: Ganz genau.
00:06:55: In diesem Fall wäre es möglich,
00:06:56: noch am heutigen Tag eine Patentermeldung einzureichen.
00:06:59: Denn die eigene Veröffentlichung auf dieser Messe wäre für
00:07:02: diese Patentermeldung noch nicht von Relevanz,
00:07:05: weil es ja nicht vor dem Anmeletag stattgefunden hat,
00:07:08: sondern genau am Anmeletag.
00:07:11: Es ist also äußerst relevant zu wissen,
00:07:12: dass das Patentrecht nur in Tagen rechnet.
00:07:15: Das heißt, die Uhrzeit der Veröffentlichung und die Uhrzeit
00:07:18: der Einreichung am selben Tag ist irrelevant.
00:07:21: Die Messe kann beispielsweise um 7 Uhr beginnen und die
00:07:24: Patentermeldung um 23 Uhr eingereicht werden.
00:07:26: Es geht wirklich nur darum,
00:07:28: dass die Einreichung spätestens am Tag der Messe erfolgt,
00:07:31: wobei es in der Praxis natürlich zu bevorzugen wäre,
00:07:34: wenn man es nicht zu dieser kritischen
00:07:35: Situation kommen lässt.
00:07:37: Das heißt, hier wissen also Gesetzesleser mehr.
00:07:40: Wenn man also den Artikel 54 genau liest,
00:07:43: kommt es eben auch darauf an,
00:07:44: dass eine Veröffentlichung vor dem Anmeletag stattgefunden
00:07:48: haben muss, damit sie zum Stand der Technik zählt.
00:08:02: Jetzt machen wir den Fall noch ein wenig schlimmer für
00:08:04: unseren Erfinder.
00:08:05: Stellen wir uns vor, haben zusätzlich noch gestern auf
00:08:08: unserer Homepage eine Ankündigung für unser Produkt
00:08:10: veröffentlicht.
00:08:12: Der Hintergrund ist ja der,
00:08:13: wir wollen ja nicht nur Patente haben,
00:08:15: wir wollen unsere Produkte ja auch verkaufen.
00:08:17: Deswegen muss man auch irgendwie bekannt machen und auch der
00:08:20: Allgemeinheit klar dass wir hier auf dieser Messe eben unser
00:08:23: Produkt zeigen möchten.
00:08:25: Hat uns diese Ankündigung vielleicht schon geschadet?
00:08:28: Tatsächlich ist die Situation noch ein deutlich
00:08:31: schwieriger als davor.
00:08:33: Denn wenn diese Veröffentlichung bereits gestern auf der
00:08:36: Homepage stattgefunden hat,
00:08:38: dann gibt es bereits eine schriftliche Vorveröffentlichung,
00:08:41: die vor dem potentellen Anmeldetag liegt,
00:08:44: der frühestens heute sein kann.
00:08:46: Und auch eine Internetveröffentlichung ist eine schriftliche
00:08:49: Vorveröffentlichung,
00:08:50: so wie es auch ein Buch oder eine veröffentlichte
00:08:52: Patentanmeldung ist und bildet damit den relevanten
00:08:56: Stand der Technik.
00:08:57: Dabei ist es in diesem Fall aber sehr wichtig zu beurteilen,
00:09:00: welche Details der Erfindung denn konkret auf der Homepage
00:09:03: veröffentlicht worden sind.
00:09:05: Denn wurde nur eine sehr allgemeine Veröffentlichung
00:09:07: gemacht,
00:09:08: gewisse spezielle Aspekte der Erfindung vielleicht
00:09:10: tatsächlich noch gar nicht veröffentlicht worden.
00:09:12: Man muss es also sehr genau anschauen.
00:09:14: Wenn jetzt auf der Homepage also nur steht,
00:09:17: wir stellen auf der Messe unser neues Produkt vor.
00:09:20: Ein Behälter, den man angenehm in der Hand halten kann,
00:09:24: auch wenn er mit einem Heißgetränk gefüllt wurde.
00:09:27: Und kein Bild gezeigt wird.
00:09:29: Schadet das der Neuheit unserer Erfindung?
00:09:32: In diesem Beispiel wurde ja noch nicht offenbart,
00:09:36: dass eine wärmeisolierende Manschette verwendet wird,
00:09:39: damit dieser Behälter angenehm in der Hand gehalten werden
00:09:42: kann, auch wenn er einem Heißgetränk gefüllt worden ist.
00:09:44: Sodass dieses Merkmal noch nicht offenbart wird und noch
00:09:47: nicht zum Stand der Technik gehört und damit die Neuheit
00:09:50: herstellen könnte.
00:09:52: die Frage, man sich bei der Neuheitsbeurteilung immer
00:09:54: stellen muss, ist die,
00:09:56: ob die Gesamtheit aller Merkmale der Erfindung,
00:09:59: sprich alle relevanten Aspekte dieser Erfindung,
00:10:02: zum Anmeldetag bekannt waren und zum Stand der Technik
00:10:05: gehört haben.
00:10:06: Wenn jetzt einzelne Aspekte nicht bekannt werden,
00:10:09: dann kann über diese die Neuheit hergestellt werden.
00:10:11: In diesem Fall müssen wir also überprüfen,
00:10:14: was wurde genau auf der Homepage veröffentlicht,
00:10:17: wie relevant ist diese Offenbarung für die Erfindung und
00:10:19: bleibt noch ein Aspekt übrig,
00:10:21: mit dem ich die Neuheit der Erfindung herstellen kann.
00:10:24: Nach Artikel 54 EPÜ wird der Stand der Technik also durch
00:10:28: alles gebildet, was vor dem Anmeldetag der Öffentlichkeit
00:10:31: bekannt gemacht worden ist.
00:10:33: Man muss sich dabei sehr genau anschauen,
00:10:35: was alles zum Stand der Technik gehört.
00:10:38: Sprich, man muss konkret beurteilen, welche Merkmale bzw.
00:10:41: Aspekte der Erfindung bereits bekannt gemacht worden sind
00:10:43: und welche nicht.
00:10:46: Jetzt gehen wir noch einen Schritt zu Ungunsten unseres
00:10:48: Anmelders weiter.
00:10:49: Stellen wir uns vor, die Messe war gestern und wir haben
00:10:52: bereits Probebecher verteilt.
00:10:55: Hintergrund ist damit auch ganz klar,
00:10:57: wir haben die Becher an Leute verteilt,
00:10:59: die diese Becher wahrscheinlich zu Hunderten kaufen wollen,
00:11:02: idealerweise zu Millionen Stück bestellen wollen.
00:11:05: Damit sie das tun,
00:11:07: wollen die Messebesucher natürlich auch den Becher mit
00:11:10: Manchette ausprobieren können, um zu sehen,
00:11:12: wie das genau funktioniert.
00:11:15: Deswegen muss man die Becher selbstverständlich hergeben,
00:11:18: rein aus wirtschaftlichen Gründen.
00:11:20: Aus patentrechtlicher Sicht gefragt, war das gescheit?
00:11:24: Selbstverständlich war das nicht gescheit,
00:11:26: die Probebecher herzugeben,
00:11:27: denn es ist in dem Fall nicht relevant,
00:11:29: was auf der Messe gesagt wurde oder wie der Becher auf der
00:11:32: Homepage beschrieben wurde,
00:11:34: sondern wie der Becher tatsächlich ist den man
00:11:36: ausgegeben hat.
00:11:37: Wenn ein Dritter diesen Becher mit Manchette vorbehaltlos in
00:11:41: die Hand bekommt, dann ist dieser Gegenstand,
00:11:43: also der Becher selbst,
00:11:45: aufgrund einer stattgefundenen offenkundigen Vorbenutzung
00:11:48: höchstwahrscheinlich nicht mehr patentierbar,
00:11:50: weil die Neuheit nicht mehr gegeben ist.
00:11:52: Die Voraussetzungen dafür sind natürlich die,
00:11:54: dass ein Fachmann sich diesen Becher anschauen kann und
00:11:57: durch die Struktur des Bechers oder durch seine
00:11:59: Beobachtungen auf alle Aspekte der Erfindung
00:12:01: rückschließen kann.
00:12:03: Das heißt, wenn er den Becher aufschneidet und sieht,
00:12:05: dass beispielsweise die Wärmeisolation durch eine
00:12:07: Wabenstruktur in dieser Manchette erreicht wird,
00:12:09: dann ist dieses Merkmal nicht mehr neu.
00:12:11: Wenn er eine chemische Analyse durchführen könnte und das
00:12:14: Material der Wärmeisolierung einfach herausfinden kann,
00:12:17: dann ist auch dieses Merkmal des Bechers nicht mehr neu,
00:12:20: auch wenn man das mit freiem Auge vielleicht
00:12:21: gar nicht sehen kann.
00:12:22: Wichtig ist dabei,
00:12:24: dass eine offenkundige Vorbenutzung bereits dann
00:12:26: stattgefunden hat,
00:12:27: und ein Fachmann die Möglichkeit zu seiner Untersuchung
00:12:29: hatte, ob er diese tatsächlich gemacht hat,
00:12:31: darauf kommt es nicht an.
00:12:33: Dadurch haben wir also in der geschilderten Situation das
00:12:36: Problem, dass diese offenkundige Vorbenutzung auf der Messe
00:12:39: mit hoher Wahrscheinlichkeit die Patentierbarkeit
00:12:40: verhindert, weil der Gegenstand eben nicht mehr neu ist.
00:12:44: An diesem Beispiel sehen wir, dass es ziemlich egal ist,
00:12:47: auf welche Weise man eine Erfindung veröffentlicht.
00:12:49: Man kann das schriftlich tun,
00:12:50: man kann das mündlich tun oder,
00:12:52: wie das Gesetz es vorschlägt, auch auf sonstige Weise,
00:12:56: in unserem Fall durch öffentliche Vorbenutzung.
00:12:59: Damit eine solche offenkundige Vorbenutzung stattgefunden
00:13:02: hat, reicht es auch aus,
00:13:04: dass ein Mitglied der Öffentlichkeit die Möglichkeit hatte,
00:13:07: den Gegenstand genauer zu analysieren.
00:13:09: Wandeln wir das noch ein wenig ab.
00:13:11: Sagen wir, die Messe war gestern.
00:13:13: Wir haben aber den Becher mit der Manschette nicht
00:13:15: hergegeben,
00:13:17: sondern der Becher war nur sichtbar für alle Messebesucher
00:13:20: in einer Vitrine ausgestellt.
00:13:22: Und wir haben uns auch insgesamt in den Gesprächen mit den
00:13:26: Messekunden sehr bedeckt gehalten,
00:13:28: wie der Becher genau aufgebaut ist und wie wir diese
00:13:30: Wärmesolierung tatsächlich erreichen.
00:13:33: Wie schaut es in so einer Situation aus?
00:13:36: Diese Situation ist eigentlich sehr ähnlich in der
00:13:39: Beurteilung,
00:13:40: wie es mit der Vorveröffentlichung auf der Homepage war,
00:13:42: die wir vorher diskutiert haben.
00:13:44: Denn es geht immer darum,
00:13:46: welche Informationen der Öffentlichkeit bekannt
00:13:48: gemacht worden sind.
00:13:49: Hier hat offensichtlich der Anmelder ein Gefühl dafür
00:13:52: gehabt, dass es nicht gut ist, alles auszuplaudern.
00:13:55: Dadurch, dass dieser Becher mit Manschette ausgestellt
00:13:57: wurde, aber die Besucher keine Möglichkeit hatten,
00:14:00: den Becher selber zu untersuchen oder den mitzunehmen und
00:14:04: auch vom Anmelder nicht erklärt worden ist,
00:14:06: wie denn dieser Effekt erreicht wird,
00:14:08: dann ist es sehr wahrscheinlich, dass die Erfindung noch
00:14:11: innere Merkmale enthält, die die Neuheit begründen können.
00:14:15: Zwar wird ein allgemeiner Schutz für den Becher mit
00:14:18: wärmesolierender Manschette nicht mehr möglich sein,
00:14:20: aber beispielsweise die Wabenstruktur oder die chemische
00:14:23: Zusammensetzung der Manschette gehört noch nicht zum
00:14:25: Stand der Technik.
00:14:27: Wiederum sehen wir also, es kommt sehr darauf an,
00:14:30: was tatsächlich der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde
00:14:34: und ob ein Fachmann, wenn auch nur theoretisch,
00:14:37: die Möglichkeit zur genaueren Analyse des Gegenstands
00:14:39: gehabt hätte.
00:14:41: Jetzt noch ein letzter Fall.
00:14:43: Wie würde es denn aussehen,
00:14:44: wenn wir den Becher zwar kurz aus der Hand gegeben hätten,
00:14:47: damit der Kunde den Becher ausprobieren kann,
00:14:50: wenn der Kunde aber nicht den Becher mit nach Hause hat
00:14:52: nehmen können?
00:14:54: Da kommt es dann darauf an,
00:14:55: was hat denn der Messebesucher gesehen und was konnte er
00:14:59: wahrnehmen von diesem Produkt?
00:15:01: Geht es um die innere Struktur oder geht es um die chemische
00:15:04: Zusammensetzung der Manschette?
00:15:06: Merkmale, die der Messebesucher nicht durch das bloße in die
00:15:09: Hand nehmen des Bechers erkannt haben kann,
00:15:11: gehören ja nicht zum Stand der Technik.
00:15:13: Wenn aber jetzt die Erfindung sein sollte,
00:15:15: dass ein Becher mit einer Manschette aus Pappe versehen
00:15:18: worden ist, dann ist das nicht mehr neu,
00:15:20: denn den Becher mit der Manschette hat der Messebesucher
00:15:23: gesehen, der ist beschrieben worden und der Messebesucher
00:15:26: hatte den in der Hand und konnte damit auch klar erkennen,
00:15:28: dass diese Manschette aus Pappe ist.
00:15:31: Für diesen Gegenstand wäre die Neuheit also nicht
00:15:33: mehr gegeben.
00:15:35: Wenn also Maßnahmen getroffen werden,
00:15:36: durch die verhindert wird,
00:15:38: dass ein Fachmann die Möglichkeit einer genaueren
00:15:40: Untersuchung hat,
00:15:41: dann gehören nur die Aspekte der Erfindung tatsächlich zum
00:15:44: Stand der Technik, die auch wahrgenommen werden konnten.
00:15:47: Passen wir das nochmal kurz zusammen.
00:15:50: Die Begriffe Neuheit und Stand der Technik sind in Artikel
00:15:53: 54 Abs.
00:15:54: 1 und 2 EPÜ definiert.
00:15:56: Neu ist eine Erfindung nur dann,
00:15:58: wenn sie noch nicht öffentlich bekannt ist und daher nicht
00:16:01: zum Stand der Technik gehört.
00:16:03: Sie darf der Öffentlichkeit weder schriftliche oder
00:16:07: mündliche Offenbarung,
00:16:08: noch in sonstiger Weise zugänglich gemacht worden sein,
00:16:11: wie etwa durch offenkundige Vorbenutzung.
00:16:15: Der Stichtag ist dabei der Anmeldetag.
00:16:18: Das heißt Stand der Technik für eine Patentanmeldung ist nur
00:16:21: das, was vor dem Anmeldetag dieser Patentanmeldung
00:16:24: öffentlich bekannt war.
00:16:27: Dabei sind auch Veröffentlichungen durch den Anmelder
00:16:30: selbs trelevant.
00:16:33: Es kommt nicht darauf an,
00:16:35: in welcher Weise die Anmeldung veröffentlicht wird,
00:16:38: solange zumindest ein Mitglied der Öffentlichkeit die
00:16:40: relevanten Aspekte der Erfindung wahrnehmen konnte.
00:16:44: Das war eine Folge zum Thema Neuheit und Stand der Technik.
00:16:48: Vielen Dank Lukas und vielen Dank für Ihr Interesse.
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