G 1/24 - Auslegung von Patentansprüchen (Vorlagefragen)
Shownotes
- Fall: G 1/24 – Vorlage der Technischen Beschwerdekammer T 0439/22
- Zentrale Vorlagefragen:
- Soll Artikel 69 (1) Satz 2 EPÜ und das Auslegungsprotokoll bei der Interpretation von Patentansprüchen im Rahmen der Prüfung nach den Art. 52–57 EPÜ angewendet werden?
- Dürfen Beschreibung und Zeichnungen immer oder nur bei Unklarheiten herangezogen werden?
- Dürfen Definitionen in der Beschreibung bei der Beurteilung der Patentierbarkeit ignoriert werden – und wenn ja, unter welchen Bedingungen?
- Diskussion:
- Divergierende Standpunkte der Parteien (Einsprechende, Patentinhaberin, EPA)
- Analyse der zahlreichen Amicus-Curiae-Stellungnahmen
- Inhalt der mündlichen Verhandlung vom 28. März 2025
- „Diamond Standard“
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00:00:07: Willkommen zum IP-Courses Podcast, dem Podcast für gewerblichen Rechtsschutz.
00:00:15: Mein Name ist Michael Stadler. Willkommen zurück zum zweiten Teil unseres Gesprächs
00:00:20: mit Gerd Hübscher zum Verfahren G1 aus 24 vor der Großen Beschwerdekammer. Kurz zur Erinnerung:
00:00:27: In der letzten Folge ging es um die Neuheitsbeurteilung eines Raucherartikels.
00:00:33: Und zwar ging es da ganz konkret um die Auslegung eines bestimmten englischen Begriffs, nämlich Gathered Sheet.
00:00:40: Und so ein Gathered Sheet bildet das aerosolbildende Substrat in diesem Raucherartikel, also beispielsweise das Tabakblatt.
00:00:49: Wie man ein Tabakblatt zusammenfalten kann oder muss, dass ein Gathered Sheet entsteht,
00:00:55: Das war in der vorliegenden Entscheidung strittig.
00:00:59: Einerseits hat der Begriff Gathered Sheet in der Industrie eine ganz bestimmte Bedeutung,
00:01:04: nämlich dass das Blatt ziehharmonikaförmig oder so wie ein Vorhang zusammengefaltet ist.
00:01:11: In der Beschreibung gab es demgegenüber aber eine ganz andere Formulierung,
00:01:16: nämlich dass so ein Gathered Sheet jedes Blatt sein kann, sei es nun gewickelt gefaltet oder auch anderweitig komprimiert.
00:01:24: Es kommt jetzt ganz konkret auf die Auslegung des Patentanspruchs an, ob ein aus dem Stand der Technik bekannter Gegenstand jetzt neuheitsschädlich ist oder nicht.
00:01:35: Wählt man die weitere Auslegung, erweist sich der Stand der Technik als neuheitsschädlich.
00:01:40: Wählt man die engere Auslegung, dann ist die Erfindung neu gegenüber dem Stand der Technik.
00:01:46: In der letzten Folge habe ich mir gemeinsam mit Gerd Hübscher den Werdegang des Patents sowie das Verfahren näher angeschaut.
00:01:53: Dann haben wir auch gesehen, wie sich die Rechtsprechung des Europäischen Patentamts in Bezug auf die Anspruchsauslegung entwickelt hat.
00:02:00: In dieser Folge wollen wir uns jetzt mit der Vorlage an die Große Beschwerdekammer in der Sache G1 aus 24 beschäftigen und vor allem mit den Vorlagefragen.
00:02:11: Jetzt freut es mich, dass du auch in der zweiten Folge zu dieser sehr umfangreichen Entscheidung bei uns bist. Hallo Gerd.
00:02:17: Hallo Michael.
00:02:19: Jetzt, wo wir das Problem einmal aufgerollt haben, was waren jetzt genau die Fragen, die die vorliegende Beschwerdekammer von der großen Beschwerdekammer wissen wollte?
00:02:29: Ja, wir erinnern uns, die Beschwerdekammer hatte das Problem, inwieweit jetzt ein an sich klarer Begriff aus den Ansprüchen durch die Beschreibung umdefiniert werden soll oder nicht.
00:02:39: Wir sind also in der Kernthematik, ob Artikel 69 im Erteilungsverfahren angewendet worden soll oder nicht.
00:02:48: Und genau das ist auch die erste Frage, nämlich soll Artikel 69 Absatz 1 zweiter Satz EPÜ und Artikel 1 des Protokolls über die Auslegung des Artikels 69 bei der Interpretation von Patentansprüchen im Rahmen der Prüfung nach den Artikeln 52 bis 57 EPÜ angewendet werden?
00:03:05: Frage 1. Also im Kern ist das eine Frage nach der Rechtsgrundlage.
00:03:08: Es fragt noch nicht unbedingt, soll man jetzt die Beschreibung immer heranziehen, sondern ist Artikel 69 denn die geeignete Rechtsgrundlage dafür?
00:03:16: Die Frage 2 ergänzt das dann und fragt, unabhängig von der Rechtsgrundlage,
00:03:21: dürfen die Beschreibung und die Figuren bei der Interpretation der Ansprüche
00:03:24: zur Beurteilung der Patentierbarkeit herangezogen werden?
00:03:27: Und auch im Lichte jetzt der vorbekannten Entscheidungspraxis,
00:03:32: darf das immer oder muss das immer erfolgen oder darf das nur dann geschehen,
00:03:37: wenn der Fachmann einen Anspruch isoliert gelesen als unklar oder mehrdeutig empfindet?
00:03:42: Und die dritte Frage wendet das Ganze dann auf den konkreten Einzelfall an und sagt,
00:03:47: darf eine in der Beschreibung explizit gegebenen Definition oder ähnliche Informationen
00:03:53: zu einem in den Ansprüchen verwendeten Begriffen bei der Interpretation der Ansprüche
00:03:57: zur Beurteilung der Patentierbarkeit
00:03:58: ignoriert
00:03:59: werden?
00:04:00: Also quasi jetzt die Gegenfrage.
00:04:02: Und wenn ja, unter welchen Bedingungen?
00:04:05: Man sieht also, zumindest bei den Fragen 2 und 3 würde die unterschiedliche Beantwortung
00:04:11: der Vorlagefragen jeweils auch zu einem unterschiedlichen Verfahrensausgang führen.
00:04:16: Ja, definitiv.
00:04:18: Das bedeutet also, wie die Streitparteien in Bezug auf die Frage 2 und 3 stehen, dürfte also halbwegs klar sein.
00:04:26: Jetzt wird dann, nachdem die Vorlagefragen vorgelegt wurden, auch die Möglichkeit gegeben,
00:04:31: amicus courier briefs, also praktisch die Meinungen Dritter einzuholen.
00:04:36: Welche Standpunkte haben denn hier unsere Dritten eingenommen und wer hat sich da überhaupt zu Wort gemeldet?
00:04:44: Ja, das Verfahren hat ziemlich viel Aufmerksamkeit erregt, in nachvollziehbarer Weise. Das hat eine ganz gewaltige Auswirkung auf die künftige Auslegung von Patentansprüchen.
00:04:53: Man muss dazu auch bedenken, dass natürlich in der jetzigen Anspruchsformulierung, vor allem auch der Formulierung von Patentschriften, man sich natürlich darauf verlassen hat, dass man eben solche Klarstellungen machen kann oder auch nicht machen kann, je nachdem.
00:05:05: Aber das ist also etwas, was durchaus eine enorme Auswirkung hat und dementsprechend gab es also mehr als 40 Amicus Curiae Stellungnahmen, darunter eben von Kollegen aus der Patentanwaltschaft, aus der Industrie, aber eben unter anderem auch vom Präsident des EPAs.
00:05:21: Und wenn wir uns das im Detail anschauen, dann war zur Frage 1 die Entscheidung noch eher teils, teils gespalten.
00:05:32: Die Mehrheit von etwa mehr als 60 Prozent haben die Anwendung des Artikels 69 Absatz 1 Satz 2 auch für die Beurteilung der Patentierbarkeit bejaht oder befürwortet.
00:05:44: Einfach aus Gründen der Konsistenz und Rechtssicherheit.
00:05:48: 35 Prozent haben das abgelehnt und zwar aufgrund einfach der historischen Bedeutung, darunter auch der Präsident des Europäischen Patentamts,
00:05:57: die eben gesagt haben, Artikel 69 ist nur für die Auslegung im Verletzungsverfahren gedacht und nicht für die Prüfung auf Patentierbarkeit.
00:06:04: Würde das denn im Ergebnis dann bedeuten, dass es in Bezug auf die Auslegung von Patentansprüchen bei der Frage der Patentierbarkeit überhaupt keine geschriebenen Auslegungsregeln gäbe?
00:06:15: Na, tatsächlich gibt es die auch nicht.
00:06:18: Es ist dramatisch, aber es ist so.
00:06:20: Es wird ja immer der Artikel 84 genannt als mögliche Auslegungsregel, aber da steckt doch eigentlich nichts dahinter, außer die Forderung, dass der Anspruch klar sein muss,
00:06:30: oder siehst du da vielleicht mehr?
00:06:32: Nein, ich sehe da auch nicht mehr. Also ich verstehe aus dem Artikel 84 nur die Forderung nach Klarheit, Knappheit, wiewohl das aus meiner Sicht ein Widerspruch ist.
00:06:41: Also je knapper was wird, umso unklarer wird es und umgekehrt.
00:06:45: Und der lässt sich also per se nicht wirklich erfüllen.
00:06:47: Aber abgesehen von Artikel 69 gibt es eigentlich keine geschriebenen Auslegungsregeln.
00:06:53: Nein.
00:06:53: Schauen wir weiter zu Frage 2. Gab es denn da eine einheitlichere Meinung?
00:07:00: Ja, Gott sei Dank. Also da waren sich fast alle einig, nämlich mehr als 90 Prozent,
00:07:06: dass Beschreibung und Zeichnungen generell herangezogen werden sollen.
00:07:11: und zwar nicht nur bei Unklarheiten.
00:07:13: Das wäre für eine kohärente und umfassende Prüfung erforderlich.
00:07:16: Das heißt, der Hintergrund wäre dann, dass das Patent im Einspruchsverfahren
00:07:21: oder überhaupt im Verfahren vom Europäischen Patentamt und im Verletzungsverfahren
00:07:25: die gleiche Bedeutung und die gleiche Reichweite haben würde.
00:07:30: Genau. Also schon allein aus der Überlegung heraus macht das durchaus Sinn.
00:07:35: Und wie war es bei Frage 3?
00:07:37: Bei der Frage 3 war die Sache schon wieder etwas gespalten.
00:07:41: Da war die Minorität eigentlich, also nur etwa 40 Prozent der Ansicht, dass die Definition in den Ansprüchen nicht ignoriert werden sollte, also herangezogen werden sollte.
00:07:52: Die Mehrheit war der Meinung, dass die Definition unter bestimmten Voraussetzungen, also dann, wenn sie eben im klaren
00:07:59: Widerspruch steht zum Anspruchswortler, dass sie dann ignoriert werden kann.
00:08:03: Nachdem wir jetzt gesehen haben, wie Dritte in ihren Amicus Curiae-Schriftsätzen die Vorlagefragen behandelt haben,
00:08:11: wie sieht es denn jetzt mit der vorläufigen Stellungnahme der großen Beschwerdekammer aus?
00:08:16: Hat dies sich denn jetzt auch schon dazu herabgelassen, vielleicht einzelne der Fragen zumindest teilweise
00:08:21: zu beantworten?
00:08:23: Nein, die vorläufige Stellungnahme der großen Beschwerdekammer ist gewohnt nebulös.
00:08:29: Sie ist aber formal. Insofern klar ist, dass sie sagt, die Frage 1 sind eigentlich zwei Teilfragen, nämlich Teilfrage 1, sind denn jetzt diese Auslegungsgrundsätze nach Artikel 69 und Auslegungsprotokoll bei der Prüfung auf Patentierbarkeit heranzuziehen, ja oder nein? Und Frage 2, ist denn der Artikel 69 die korrekte rechtliche Grundlage dafür? Also mehr oder weniger das, was ohnehin schon auch in der Frage 2 drinnen steht.
00:08:54: Bezüglich der Frage 2 hat die Kammer die Ansicht vertreten, die vorläufige, dass die Beschreibung und die Figuren bei der Auslegung herangezogen werden können.
00:09:03: Man muss dazu aber auch sagen, die Frage war auch auf ein Kann und nicht Muss gestellt, also insofern jetzt der Erkenntnisgewinn bei der Beantwortung, selbst bei einer Beantwortung der Frage, fragwürdig.
00:09:12: Und zu Frage 3 äußerte sich die große Beschwerdekammer insofern, dass sie im Zweifel der Zulässigkeit gehegt hat, weil das mehr oder weniger redundant wäre mit den ersten beiden Fragen.
00:09:24: Gut, dann hat ja letzten Freitag, wir nehmen ja heute am 31.
00:09:30: März auf, also letzten Freitag am 28. März, die Verhandlung vor der Großen Beschwerdekammer stattgefunden. Mal ganz generell, wie läuft so eine Verhandlung vor der Großen Beschwerdekammer ab? Wer nimmt da teil und worüber wird da diskutiert?
00:09:51: Grundsätzlich läuft die Verhandlung vor der Großen Beschwerdekammer ähnlich ab wie jede andere Verhandlung
00:09:56: auf einem europäischen Patentamt.
00:09:58: Das heißt, vom Ablauf her ist es so, dass die Verhandlung eröffnet wird.
00:10:01: Dann gibt es mehrere Vortragsrunden zu einzelnen Themen, also in unserem Fall jetzt zu den einzelnen Fragen.
00:10:07: Eine Abschlussrunde, was da ein bisschen anders ist als bei normalen Einspruchsverhandlungen,
00:10:11: ist, dass es normalerweise keine Beratungen gibt, sondern das einfach in einem durchgeht.
00:10:15: Es gibt nur Pausen zwischendurch, weil natürlich diese Vorträge schon ziemlich intensiv sind.
00:10:21: Auch da hat die ganze mündliche Verhandlung, ich glaube am Vormittag drei Stunden, am Nachmittag noch einmal zwei, drei Stunden gedauert mit Pausen dazwischen. Und inhaltlich ist es im Wesentlichen so, dass alle Parteien ihre bisher vorgetragenen Standpunkte im Wesentlichen wiederholen, vielleicht ein bisschen vertiefen, noch substanzieren, aber im Wesentlichen hat jeder das gesagt, was er auch schon vorher schriftlich im schriftlichen Verfahren vorgetragen hat.
00:10:45: In der ersten Runde ging es ja um die Zulässigkeit. Da gab es ja im Wesentlichen keine Überraschungen. Wir wollen uns daher jetzt die weiteren Runden
00:10:53: näher
00:10:53: ansehen. In der zweiten Fragerunde ist es dann praktisch zusammengefasst um die Fragen 1 und 2 gegangen. Welche Argumente haben denn die Parteien hier vorgebracht?
00:11:04: Zunächst muss man sich mal vor Augen führen, welche Positionen denn die Parteien in dieser Situation haben.
00:11:09: Wir haben einerseits einmal die Einsprechende, die ein Interesse hat, das Patent zu vernichten.
00:11:15: Das heißt, in ihrem Interesse liegt es, dass die Beschreibung herangezogen wird,
00:11:19: womit eben dem Begriff dieses Get-A-Sheets eine breitere Bedeutung als rein aus den Ansprüchen heraus gegeben wird
00:11:24: und somit das Dokument D1 neuheitsschädlich wird.
00:11:27: Und dementsprechend hat die Einsprechende eben auch, ja wenig überraschend möchte ich sagen,
00:11:33: die Auffassung vertreten, dass Artikel 69 natürlich heranzuziehen ist.
00:11:39: Auch noch eben das Wort nevertheless im zweiten Satz Artikel 69 hervorgehoben,
00:11:44: dass also die Ansprüche zwar primär sind, die Beschreibung aber immer heranzuziehen ist.
00:11:49: Die Patentinhaberin hat dementsprechend natürlich genau gegenteilig argumentiert.
00:11:55: Wir erinnern uns, in ihrem Interesse ist es ja, dass rein der Anspruchswort laut für sich genommen wird
00:11:59: und die Beschreibung nicht herangezogen wird.
00:12:01: Damit würde eine engere Auslegung des Begriffs gathered sheet herangezogen werden und dementsprechend wäre auch der Anspruch neu gegenüber D1.
00:12:08: Dementsprechend hat die Patentinhaberin argumentiert, dass Artikel 69 eben nicht die einschlägige Rechtsgrundlage ist,
00:12:15: sondern nur für die Bestimmung des Schutzbereichs nach der Erteilung gilt,
00:12:18: dass Artikel 84 die einschlägige Rechtsgrundlage ist bei der Prüfung auf Patentierbarkeit,
00:12:23: dass eine Symmetrie auch gar nicht erforderlich wäre, hat da auf ein Urteil auch aus Großbritannien verwiesen,
00:12:31: auch mit der Argumentation, dass Äquivalente bei der Verletzung relevant seien,
00:12:36: nicht aber bei Neuheit oder erfinderischer Tätigkeit.
00:12:39: Das Patentamt hat dazu dann eine differenziertere Ansicht vertreten.
00:12:44: Es hat zunächst einmal noch einmal darauf hingewiesen, dass die Spruchpraxis wohl
00:12:48: uneinheitlich
00:12:49: sei,
00:12:50: dass die systematische Auslegung vom Artikel 69 und eben auch der Wiener Vertragsrechtskonvention,
00:12:57: der G3 aus 19, aber eine direkte Anwendung des Artikel 69 nicht möglich mache
00:13:04: und selbst wenn er nicht direkt anwendbar ist, aber trotzdem im Zusammenspiel verschiedener EPÜ-Rechtsvorschriften
00:13:10: ein einheitlicher Auslegungsansatz wünschenswert ist.
00:13:14: Das heißt, das Europäische Patentamt hätte gern eine Auslegung analog zu Artikel 69,
00:13:21: sodass wir also eine harmonische Auslegung sowohl für die Fragen der Patentierbarkeit
00:13:26: wie auch für die Fragen der Patentverletzung haben.
00:13:29: Im Prinzip wäre der Präsident des Europäischen Patentamts dann eigentlich auf der Linie des Einsprechenden.
00:13:37: Ja, das klingt tatsächlich so, wenngleich aber aus anderen Gründen.
00:13:42: Also man muss sich überlegen, was es für das EPA bedeuten würde,
00:13:45: wenn jede Entscheidung an der Beschwerdekammer oder Abteilung unmittelbar vom UPC umgedreht werden würde.
00:13:51: Und es gibt nun einmal diese Nanostring-Entscheidung des UPCs, die zwar die Primärrolle der Ansprüche zugesteht, sehr wohl aber eben die Auslegung nach Beschreibung und Zeichnung zwingend darstellt.
00:14:03: Und dem jetzt unmittelbar zu widersprechen, wäre im Lichte eben einer künftigen Harmonisierung des europäischen Patentrechts nicht zielführend.
00:14:12: Das heißt also, ich nehme an, dass für das EPA eher die Frage im Vordergrund steht, aus welchem Grund ist denn dieses Prinzip anwendbar, aber an sich unstrittig ist, dass es irgendwo angewendet werden muss.
00:14:25: Also es ist selbst die T438 aus 22 zitiert worden, in der eben stand, dass die Idee, dass die Beschreibung bei der Auslegung bedeutungslos sei, unrealistisch und ein Wunschdenken sei.
00:14:36: Gut, dann gab es noch eine separate Diskussionsrunde zur Frage 3, ganz interessant, weil die ja eigentlich nur praktisch die negative Formulierung von Frage 2 ist, aber möglicherweise auch deswegen, weil sie als unzulässig betrachtet wurde. Wie haben denn da die Parteien und auch das Patentamt reagiert?
00:14:58: Ja, auch
00:14:58: da
00:14:59: einigermaßen vorhersehbar. Die Einsprechende hat natürlich argumentiert, dass Definitionen in der Beschreibung bewusst vom Anmelder gewählt werden, dass sie daher nicht einfach ignoriert werden können und auch in Bezug auf die Rechtsprechung, dass es eben anerkannte Grundsatz sei, dass das Patent sein eigenes Wörterbuch ist.
00:15:14: Die konträre Stellungnahme dazu natürlich von der Patentinhaberin.
00:15:18: Frage 3 ist gar nicht entscheidungserheblich, wirft mehr Fragen auf, als sie beantwortet.
00:15:22: Es sei auch unklar, was ähnliche Informationen allein aus der Fragestellung heraus seien.
00:15:27: Im Ergebnis, also klare Begriffe im Anspruch dürfen nicht durch vage Definitionen in der Beschreibung verwässert werden.
00:15:34: Wird das Amt diese Frage jetzt gesehen?
00:15:38: Das Amt hat wieder versucht, das etwas differenzierter zu betrachten, hat gesagt,
00:15:42: Also Definitionen müssen berücksichtigt werden, wenn die Beschreibung zur Auslegung herangezogen wird,
00:15:47: aber die Beschreibung darf nicht genutzt werden, um an sich klaren Anspruchsbegriffen eine abweichende Bedeutung zu geben.
00:15:54: Entscheidend ist, das ist glaube ich auch ein ganz interessanter Aspekt,
00:15:57: dass es eben auf die objektive Auslegung durch die Fachperson ankommt und nicht auf die subjektive Intention des Anmelders.
00:16:05: Und aus dieser Dialektik heraus ergibt sich glaube ich auch ein ganz interessantes Bild,
00:16:10: dass man sagt, wenn ich jetzt als Allgemeinheit, Öffentlichkeit den Anspruch lese und ein gewisses Bild habe,
00:16:16: dann darf die Beschreibung nicht dazu führen, dass eben dieses Bild konterkariert wird.
00:16:22: Da wir die Folge noch vor der Entscheidung aufnehmen, haben wir naturgemäß nicht das Privileg, die lesen zu können.
00:16:28: Deshalb wollen wir hier am Ende dieser Folge noch ein wenig spekulieren.
00:16:32: Die erste Frage daher an dich, wie glaubst du, wird das ausgehen? Welche Antworten haben wir
00:16:38: zu erwarten?
00:16:39: Ich weiß es natürlich nicht. Aber wenn ich mir die zentralen Argumente nochmal vor Augen führe, also die Einsprechende, die sagt, es ist ein einheitlicher Auslegungsansatz notwendig, auch im Prüfungsverfahren, dass Inkonsistenten beseitigt werden müssen, die eben sowas wie den Diamantenstandard einführt, in dem eben Beschreibung und Zeichnung immer heranzuziehen sind und in dieser Meinung im Wesentlichen auch vom EPA bestätigt wird.
00:17:04: Auch das EPA sagt, Harmonisierung ist wesentlich, war schon jeher Ziel des EPÜs,
00:17:08: Konsistenz zwischen Anspruch und Beschreibung ist wichtig für Qualität und Rechtssicherheit.
00:17:12: Das hat schon was unheimlich Bestechendes.
00:17:15: Die Patentinhaberin nimmt interessanterweise in dem Ganzen die bisher vertretende Rolle in der Praxis des Patentamts ein
00:17:23: und sagt, Artikel 69 gilt nur für die Beurteilung der Patentierbarkeit,
00:17:27: Primatanspruch ist unbestritten, Symmetrie ist nicht erforderlich
00:17:30: und klare Begriffe sollen auch nicht
00:17:31: verunklart
00:17:32: werden durch die Beschreibung.
00:17:33: Das ist an sich die praktische Herangehensweise vom Amt derzeit.
00:17:37: Also auch die Prüfungsabteilungen argumentieren genauso, wenn man als Anmelder versucht,
00:17:42: dass man ihm sagt, ja, aber was dieser Begriff im Anspruch meint, ist ganz klar in der Beschreibung da
00:17:46: und deswegen ist das so auszulegen.
00:17:48: Dann würde die Prüfungsabteilung genau das heranziehen, würde sagen, ja, aber die 69 ist nicht anwendbar,
00:17:53: dann bitte diese Klarstellung in den Anspruch.
00:17:55: Also wie gesagt, meine Vorhersage würde sein, dass die Entscheidung in Richtung Einsprechend
00:18:00: in Richtung Europäisches Patentamt geht.
00:18:02: Also sprich, die Grundsätze des Artikel 69 sind immer heranzuziehen.
00:18:06: Die Frage ist eben, was die Rechtsgrundlage dafür ist.
00:18:08: Da lasse ich mich gerne überraschen, wahrscheinlich aus der Gesamtheit des IPÜs.
00:18:12: Es wird aber wohl die Einschränkung bleiben, dass wenn der Anspruch aus sich heraus klar ist,
00:18:19: was immer das bedeutet, dann ist die Beschreibung und die Beschreibung im Widerspruch dazu steht,
00:18:24: dann ist sie nicht mehr heranzuziehen und das wird uns noch sehr viel lustige Arbeit bescheren als Patentanwälte.
00:18:30: Das heißt, der Präsident des Europäischen Patentamts bzw. seine Vertreter haben hier eigentlich gegen die Amtslinie argumentiert.
00:18:40: Ich habe so den Eindruck, ja.
00:18:42: Okay. Der Vertreter des Einsprechenden bzw. Beschwerdeführers hat in großen Worten immer seinen Diamantstandard angeführt und bezeichnet.
00:18:52: Wenn du die Vorlagefrage beantworten solltest, was wäre denn dein Diamantstandard? Wie sollte es denn ausgehen?
00:18:58: Ich
00:18:59: finde eigentlich die Position des Einsprechenden sehr verlockend.
00:19:02: Also eben genau diesen Diamantstandard, der nichts anderes sagt,
00:19:05: als dass ich eben, egal in welcher Lebenslage eines europäischen Patents,
00:19:10: Beschreibung und Zeichnung immer zur Auslegung heranzuziehen ist.
00:19:13: Und zwar aus folgender Überlegung heraus.
00:19:15: Ob ein Anspruch klar ist oder nicht, kann ich immer nur beurteilen anhand eines konkreten Beispiels,
00:19:21: also anhand eines konkreten Standes der Technik oder anhand eines konkreten Eingriffsgegenstandes.
00:19:26: Jetzt kann aber das Prüfungsverfahren nicht jede beliebige Beurteilungssituation vorwegnehmen.
00:19:32: Also aus meiner Sicht ist es tatsächlich ein Wunschdenken und vielmehr noch Irrglaube,
00:19:37: dass ein Anspruch jemals in jeder Situation von sich heraus klar sein kann.
00:19:43: Wir müssen also damit leben, dass Ansprüche mitunter nicht klar sind in Bezug auf eine konkrete Fragestellung.
00:19:49: Ich glaube, das lässt sich nicht korrigieren, dieses Problem.
00:19:53: Wenn dem aber so ist, dann brauche ich eine Auslegungsrichtschnur.
00:19:57: Ich brauche irgendeine Hilfslinie, wie ich denn das auslegen kann.
00:20:00: Und also wenn ich schon jetzt in meiner wort-sinngemäßen Interpretation,
00:20:05: wenn die Fachperson das liest, die ja der Adressat eines Patents,
00:20:08: seines Patentanspruchs ist, wenn die schon ihr nicht klares Fachwissen heranziehen kann,
00:20:14: um dem Ganzen eine Bedeutung zu geben,
00:20:17: warum soll ich dann nicht auch die Beschreibung und die Zeichnung,
00:20:19: die ja eigentlich viel konkreter und viel näher an dem Ganzen liegen,
00:20:22: heißt dieses abstrakte Wissen der Fachperson, warum soll ich das nicht auch immer heranziehen?
00:20:27: Und aus meiner Sicht steht das nicht in einem Widerspruch zum Erteilungsverfahren,
00:20:30: weil natürlich soll das Erteilungsverfahren den Anspruch haben, dass der Anspruch möglichst klar ist,
00:20:36: anhand eines konkreten Standes der Technik.
00:20:39: Das heißt aber nicht, wenn auch durch durchaus subjektives Versagens im Prüfungsverfahren,
00:20:45: wenn das nicht gelingt, dann soll deswegen nicht einfach die argumentative Grundlage entzogen sein,
00:20:51: weil da stimme ich doch auch der Einsprechenden zu.
00:20:54: Die Beschreibung gibt ja auch das wieder, was der Anmelder geschützt haben will, geschützt haben wollte.
00:21:01: Also warum soll ich das nicht heranziehen?
00:21:03: Also zusammengefasst, ich halte sehr viel von diesem Diamond-Standard,
00:21:07: den die Einsprechende vorgeschlagen hat.
00:21:09: Ich sehe auch in Wahrheit überraschenderweise für mich die Position des Europäischen Patentums auf dieser Linie.
00:21:15: Natürlich mit dem Vorbehalt, dass also klare Widersprüche da irgendwie auszunehmen sind.
00:21:20: auch das hat was für sich, führt aber in meiner Meinung durchaus zu Problemen.
00:21:25: Und zwar geht auch diese Überlegung von dem Problem aus,
00:21:29: dass ein Wort im Anspruch immer eine klare Bedeutung haben kann oder nicht.
00:21:35: Und auch das ist vom Einzelfall abhängig.
00:21:37: Also ob für mich klar ist, was eben so ein Gathered Sheet ist,
00:21:41: kann in einem Fall, wo es eben überhaupt nicht darauf ankommt, völlig klar sein,
00:21:45: in einem anderen Fall überhaupt nicht klar sein.
00:21:48: und es würde dann vom Einzelfall abhängen, ob ich jetzt die Beschreibung heranziehen darf oder nicht.
00:21:54: Und das finde ich problematisch.
00:21:55: Aber ich befürchte fast, dass es darauf hinauslaufen wird,
00:21:59: weil das einfach zum Schutz der Öffentlichkeit notwendig sein wird.
00:22:03: Dann vielen herzlichen Dank, Gerd.
00:22:05: Das war eine Folge des IP-Kurses Podcast zur anhängigen Vorlagefrage G1 aus 24.
00:22:12: Ich freue mich schon drauf, mit dir die endgültige Entscheidung der Großen Beschwerdekammer zu diskutieren.
00:22:20: Vielen Dank, Gerd, und vielen Dank für Ihr Interesse.
00:22:27: Das war ein IP-Courses-Podcast.
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