G 1/93 - "Unentrinnbare Falle" - Vorlagefrage
Shownotes
In dieser Folge sprechen Lukas Fleischer und Michael Stadler über die Entscheidung G 1/93 der Großen Beschwerdekammer des Europäischen Patentamts aus dem Jahr 1994. Diese Entscheidung, bekannt unter dem Schlagwort "beschränkendes Merkmal", prägt den Begriff der "unentrinnbaren Falle" zwischen Art 123 (2) EPÜ und 123 (3) EPÜ, also den Fall dass eine im Anmeldeverfahren eingeführte Offenbarungsüberschreitung im späteren Verfahren, etwa in einem Einspruchsverfahren, nicht mehr saniert werden kann, da das strittige Merkmal nicht aus dem Anspruch gestrichen werden kann, ohne den Schutzbereich unzulässig zu erweitern.
Die dem Patent zugrunde liegende Erfindung betrifft eine optische Membran, die bei der Herstellung von Halbleiter-Chips die Fotomasken vor Verunreinigung schützt, bzw. ein Herstellungsverfahren für eine solche Membran. Im Laufe des Anmeldeverfahrens wurde das Merkmal, dass die hergestellte Membran "im Wesentlichen frei von Schlieren ist" (substantially free of striae), in den Anspruch aufgenommen, ohne dass es eine Grundlage in den ursprünglichen Anmeldeunterlagen dafür gab. Im Prüfungsverfahren wurde dies unkritisch gesehen und es wurde ein Patent mit einem unabhängigen Anspruch erteilt, der dieses Merkmal enthält.
Im Einspruchsverfahren wurde das Patent wegen der Offenbarungsüberschreitung angegriffen und die Einspruchsabteilung folgte der Argumentation der Einsprechenden und widerrief das Patent.
Im nachfolgenden Beschwerdeverfahren wurde erstmals ein Hilfsantrag eingereicht, in welchem versucht wurde das strittige Merkmal durch ein ursrprungsoffenbartes Merkmal zu ersetzen. Die Beschwerdekammer sah jedoch ein Problem darin, dass die Streichung des Merkmals zu einer Schutzbereichserweiterung führen würde, was einen Verstoß gegen Art 123 (3) EPÜ darstellt.
Die Große Beschwerdekammer wurde nun angerufen, um das grundsätzliche Verhältnis zwischen Art 123 (2) EPÜ und Art 123 (3) EPÜ klarzustellen.
Vorlagefrage
Der Großen Beschwerdekammer wurde die folgende Frage zur Entscheidung vorgelegt:
Enthält ein europäisches Patent in der erteilten Fassung Gegenstände, die über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgehen und auch den von den Ansprüchen bestimmten Schutzbereich einschränken, kann dann das Patent im Hinblick auf Artikel 123 (2) und (3) EPÜ im Einspruchsverfahren aufrechterhalten werden?
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Transkript anzeigen
00:00:07: Willkommen zum IP-Courses-Podcast, dem Podcast für gewerblichen Rechtsschutz.
00:00:15: Mein Name ist Lukas Fleischer und heute spreche ich mit Michael Stadler über die Entscheidung
00:00:20: der Großen Beschwerdekammer G1/93 aus dem Jahr 1994, die unter dem Schlagwort
00:00:25: unentrinnbare Falle bekannt geworden ist.
00:00:28: Hallo Michael.
00:00:29: Hallo Lukas.
00:00:30: Jetzt ist es ja eine Entscheidung, die inzwischen schon 30 Jahre alt ist oder über 30 Jahre. Wir nehmen die Folge im Jahr 2025 auf. Warum ist denn so eine alte Entscheidung noch immer relevant? Kannst du uns das kurz erklären?
00:00:42: Sie
00:00:42: betrifft zwei Kriterien, die recht wichtig sind, was die Rechtsbeständigkeit von Patenten betrifft, nämlich den Artikel 123 (2) und den Artikel 123 (3) EPÜ.
00:00:52: Es gab vor dieser Entscheidung unterschiedliche praktische Ansätze, wie man diese Änderungsvorschriften, um die es hier geht, beurteilt.
00:01:01: Das Europäische Patentamt ist seither relativ streng geworden und relativ streng geblieben.
00:01:08: Diese unentrinnbare Falle, die also möglich ist, wenn du ein nicht ursprungsoffenbartes Merkmal in den Patentanspruch aufnimmst,
00:01:15: die ist eine einfache und effektive Möglichkeit, mit einer kleinen Änderung, vielleicht sogar mit einer unbedeutenden Änderung,
00:01:22: das gesamte Patent unrettbar zu zerstören.
00:01:25: Das heißt, es ist ein enormes Potenzial da, das Patent kaputt zu machen und deswegen ist die Entscheidung nach wie vor relevant.
00:01:33: Sie wird zwar selten nur noch ausdrücklich in Entscheidungen zitiert, aber der Geist der G1/ 93, der weht weiterhin durch die Praxis des Europäischen Patentamts.
00:01:44: Ja, dieser Geist der strengen Auslegung von Änderungen beim Europäischen Patentamt, den kenne ich sehr gut.
00:01:51: Bei unseren normalen Folgen zu großen Beschwerdekammerentscheidungen haben wir es ja in zwei Folgen aufgeteilt.
00:01:57: Und in dieser Folge schauen wir uns jetzt wie üblich die Vorgeschichte an, die zur Entscheidung geführt hat.
00:02:03: Zunächst einmal wie immer die Frage, warum ist es denn eigentlich bei der Erfindung gegangen, die diesem Streit zugrunde liegt?
00:02:10: Diesmal befinden wir uns in der Halbleiterherstellung.
00:02:13: Und konkret ging es darum, eine Membran herzustellen für die Halbleiterfertigung.
00:02:18: Es geht dabei darum, dass Chips mit Fotomasken erzeugt wurden.
00:02:21: Und die Membran, die es hier herzustellen gilt, die schützt die Fotomaske vor einer Verunreinigung.
00:02:27: Wichtig sind daher diese optischen Eigenschaften der Membran, denn die sollen nach Möglichkeit das Licht jetzt nicht irgendwie verändern.
00:02:33: Schließlich wollen wir einen Chip herstellen, der durch das Licht irgendwie geätzt oder sonst hergestellt wird.
00:02:38: Und da wäre es ungünstig, wenn die Membran uns jetzt hier das Licht verändert.
00:02:43: Die sollte also möglichst transparent und durchlässig sein und eine präzise Lichtprojektion zulassen.
00:02:49: Als Patentanspruch war zunächst die Membran beansprucht.
00:02:53: Für das Verfahren vor der Großen Beschwerdekammer war aber dann das Herstellungsverfahren für diese optische Membran interessant.
00:03:01: Ziel war es hier eine dünne gleichmäßige Membran herzustellen und die Herstellung der Membran funktioniert dann so, dass ein Polymer in einem Lösungsmittel aufgelöst wird.
00:03:13: Und die einzelnen Schritte sind dann, erstens wir tragen die Lösung auf einem Träger auf und der Träger kann sich um seine vertikale Achse drehen.
00:03:21: Und dann rotieren wir den Träger, sodass sich die Lösung hier gleichmäßig verteilt.
00:03:25: Und durch die Drehbewegung entstehen Zentrifugalkräfte, die es dann schaffen, dass die Lösung sich gleichmäßig auf der ganzen Fläche des Trägers aufteilt.
00:03:34: Dadurch bildet sich eine Membran aus, weil das Lösungsmittel verdunstet und das Polymer, das da gelöst war, das bleibt dann auf dem Träger zurück und so bekommen wir eine schöne dünne Membran.
00:03:46: Schön dabei ist auch, dass die Membran besonders glatt und möglichst ohne Fehler und auch ohne Schlieren erzeugt wird.
00:03:55: Danach wird die Membran entfernt und sie kann für die Chip-Herstellung verwendet werden.
00:03:59: Was ist denn dann
00:03:59: im Anmeldeverfahren konkret passiert?
00:04:02: Ich gehe davon aus, das Problem ist wieder nicht sofort aufgepoppt und das geht ja dann wahrscheinlich auch um eine sehr alte Anmeldung aus den Anfangszeiten des EPÜ, oder?
00:04:11: Ja, die Anmeldung ist 1982 eingereicht worden und ursprünglich hat die Anmelderin die Anmeldung auf
00:04:19: eine Membran
00:04:20: und das Verfahren gerichtet.
00:04:22: Die Membran selbst wurde dann gestrichen und im Anmeldeverfahren gab es eben ausschließlich ein Verfahren, das dann eben weiterverfolgt wurde.
00:04:32: Irgendwas ist dann aber im Anmeldeverfahren passiert, dass das Patent nachhaltig geschädigt hat und dann ein ganz großes Problem verursacht hat. Was ist denn da genau passiert?
00:04:42: Im Zuge der Recherche fand das Europäische Patentamt eine britische Vorveröffentlichung und die hat die Prüfungsabteilung ursprünglich als neuheitsschädlich angesehen.
00:04:52: Da war schon einiges bekannt, der Anmelder versuchte es da mit einer Abgrenzung. Er hat also gesagt, im Stand der Technik passiert die Trocknung unseres Polymers erst nach der Rotation und Verteilung auf dem Träger, während bei der Erfindung die Membran schon während der Rotation aushärtet.
00:05:12: Und das liegt eben an der bestimmten Art, wie dieses Verfahren durchgeführt wird, dass also hier schon die Aushärtung während der Rotation stattfindet und das hat auch den Effekt, dass Schlieren vermieden werden.
00:05:26: Ja, so ein technischer Effekt ist doch was sehr Schönes, wenn man über die öffentliche Tätigkeit diskutiert. Das war aber hier nicht das Problem.
00:05:35: Nein, das Problem war in der Situation, dass unser Anmelder den technischen Effekt, also diese Freiheit von Schlieren, die sich aus dem konkreten Verfahren ergibt, auch mit in das Verfahren aufgenommen hat und dass diese Freiheit von Schlieren in den ursprünglichen Anmeldungsunterlagen überhaupt nicht erwähnt wurde.
00:05:58: Normalerweise, wenn du erfinderische Tätigkeit argumentierst, dann kommt der Effekt ja praktisch nicht im Patentanspruch vor, sondern der ist Teil deiner Argumentation und der muss sich natürlich auf ein Merkmal beziehen, das im Patentanspruch steht.
00:06:11: In den Patentanspruch kommt er normal aber nicht hinein.
00:06:14: Hier wurde der Effekt, der so eigentlich auch gar nicht beschrieben war, in den Patentanspruch aufgenommen.
00:06:22: Und das ist etwas, was später zu Problemen geführt hat.
00:06:28: Wenn man sich heutzutage in die Situation versetzt, dass man versucht, ein Merkmal in den Anspruch aufzunehmen, das nicht ursprungsoffenbart ist,
00:06:35: dann würde ich mal mit ganz starkem Widerstand des Europäischen Patentamts rechnen.
00:06:40: Das war damals ja offensichtlich noch anders.
00:06:43: Wie hat denn das Europäische Patentamt da reagiert auf diese Änderung, für die es ja keine Grundlage gibt offensichtlich?
00:06:49: Die Prüfungsabteilung war da sehr entspannt und damals auch noch viel weniger streng, als das heute der Fall wäre.
00:06:56: Die Sache war zwischen Anmelder und Patentamt eigentlich überhaupt nicht strittig.
00:07:02: Das Patentamt hat es ohne Worte zugelassen und die Zulässigkeit der Änderung ist zwischen Anmelder und dem Patentamt überhaupt nicht besprochen worden.
00:07:12: Auch die Angabe der Grundlagen dieser Änderung, die wir heute in Regel 137 (4) finden, die gab es damals überhaupt noch nicht.
00:07:21: Das Europäische Patentamt hat sich dann aufgrund der Argumentation von der erfinderischen Tätigkeit überzeugen lassen.
00:07:28: Das Patent wurde dann letztlich mit dem Merkmal
00:07:30: schlierenfrei erteilt.
00:07:32: Nachdem wir wieder eine Entscheidung der Großen Beschwerdekammer haben, gehe ich davon aus, dass es wieder Einspruch eingelegt worden und dort ist das Thema dann aufgepoppt.
00:07:39: Ja, es wurde tatsächlich Einspruch eingelegt.
00:07:42: Zum ersten Mal in dem Lebenslauf dieses Patents ist also irgendwer auf die Idee gekommen, Artikel 123 (2) EPÜ zu argumentieren.
00:07:51: Nämlich es war unser Einsprechender.
00:07:53: Der hat nämlich behauptet, dass von der Schlierenfreiheit in der ursprünglichen Anmeldung überhaupt nicht die Rede war.
00:07:59: Ja, wieder aus heutiger Sicht habe ich da ein ganz schlechtes Gefühl, denn es wurde ein beschränkendes Merkmal aufgenommen, das ursprünglich nicht offenbart war.
00:08:09: Und das kriegt man jetzt ja nicht mehr wirklich heraus, oder?
00:08:12: Ja, das wurde damals weniger kritisch gesehen. Erstens hat man damals Artikel 123 (2) noch nicht so streng gesehen, wie man das heute tut, nämlich dass annähernd nur wortwörtliche Aufnahme von Merkmalen aus der Beschreibung zulässig war.
00:08:30: Andererseits war man sich auch noch nicht darüber im Klaren, wie das Verhältnis zwischen Artikel 123 (2) und 123 (3) überhaupt ausgestaltet war.
00:08:40: Es war letztlich erst die Entscheidung, die wir dann besprechen werden, die die Lage hier ausdrücklich geklärt hat.
00:08:48: Und auch aus der Sicht des Kollegen, der diese Änderung vorgenommen hat, rückblickend aus der heutigen Sicht war das natürlich etwas, was das Patent zerstört hat, das ist da eh klar. Zu dem Zeitpunkt, wo diese Änderung gemacht wurde, war das noch gar nicht so klar. Erstens, dass die Änderung wirklich unzulässig war und zweitens, dass man das nicht hätte wieder beheben können.
00:09:11: Man muss sich da immer in Erinnerung halten, dass das noch war in einer Zeit, bevor es den Goldstandard gegeben hat, was die Änderungen betrifft.
00:09:18: Genau, ja.
00:09:19: Ich gehe aber davon aus, dass der Patentinhaber trotzdem versucht hat, sich da irgendwie dagegen zu wehren und zu argumentieren, warum das ursprungsoffenbart war oder warum diese Änderung zulässig ist.
00:09:29: Was ist denn da an Argumenten vorgebracht worden?
00:09:31: Ja, der Patentinhaber ist natürlich in Beschwerde gegangen und wollte das überprüft wissen.
00:09:37: Und er hat natürlich argumentiert, dass hier überhaupt keine Überschreitung von Artikel 123 (2) vorliegt.
00:09:45: Er hat einfach behauptet, dass Schlieren im Prinzip das Gleiche bedeutet wie räumlich-periodische Variationen in der Dicke,
00:09:54: die auch in D1 so definiert sind.
00:09:58: Demgemäß muss das ursprungsoffenbarte "gleichmäßige Dicke" auch schlierenfrei bedeuten, sodass wir hier zwei Merkmale mit gleicher Bedeutung haben.
00:10:24: Wie hat sich jetzt denn die Einspruchsabteilung verhalten und hat sie dem Argument des Einsprechenden was abgewinnen können?
00:10:31: Ja, hat sie. Sie hat sich dieses Artikel 123 (2)-Problems sehr intensiv angenommen.
00:10:39: Und man muss natürlich dazu sagen, es ist für die Einspruchsabteilung natürlich auch ein einfacher Ausweg, hier einfach dieses mehr oder weniger formale Offenbarungsproblem zu betrachten und das Patent auf dieser Grundlage zu widerrufen, als mit den Parteien umfangreich Stand der Technik zu diskutieren.
00:10:57: Das heißt, für die Einspruchsabteilungen besteht ein großer Anreiz, ein Widerruf eines Patents unmittelbar auf dieser Vorschrift zu basieren und dann sich praktisch die gesamte Diskussion von Neuheit und erfinderischer Tätigkeit zu sparen.
00:11:14: Auch das klingt sehr vertraut aus der Praxis. Gab
00:11:16: es denn in der ersten Instanz
00:11:18: Hilfsanträge, um zu versuchen, dieses Problem zu sanieren?
00:11:22: In erster Instanz tatsächlich noch nicht. Und auch das klingt aus heutiger Sicht ein wenig unvorsichtig.
00:11:28: Die Frage der Zulässigkeit von Hilfsanträgen und deren Verspätung war aber damals weitaus weniger streng, als man das heute sehen würde,
00:11:38: sodass es durchaus nachvollziehbar ist, dass die Inhaberin nicht schon in erster Instanz hier einen Hilfsantrag eingebracht hat.
00:11:44: Aus heutiger Sicht würde ich zu diesem Vorgehen allerdings keinesfalls raten.
00:11:48: Wiederum, die Zeiten waren damals andere und auch die Verfahrensordnung der Beschwerdekammern hatte noch nicht so strenge Präklusionsvorschriften, wie das heute der Fall ist.
00:11:57: Das heißt jetzt, die Einspruchsabteilung ist den Argumenten des Einsprechenden gefolgt und hat dann den Widerruf des europäischen Patents beschlossen.
00:12:07: Genau, der wurde ausschließlich auf Artikel 123 (2) basiert und die Einspruchsabteilung brauchte sich also mit den
00:12:15: Argumenten zur
00:12:16: Neuheit und erfinderischen
00:12:18: Tätigkeit überhaupt nicht mehr auseinandersetzen.
00:12:20: Vielleicht kurz zur zeitlichen Einordnung. Das Streitpatent hat einen Anmeldetag aus 1982. Wir befinden uns jetzt im Jahr 1991.
00:12:27: An dem Zeitpunkt ist die Widerrufsentscheidung dann getroffen worden.
00:12:31: Damit das wieder zur großen Beschwerdekammer kommt, brauchen wir auch ein Beschwerdeverfahren. Was ist denn da passiert?
00:12:36: Naja, die Patentinhaberin hat ihr Patent verloren, das wurde ja widerrufen und deswegen hat sie sich auch beschwert.
00:12:42: Zum ersten Mal gab es jetzt auch einen Hilfsantrag, nämlich dahingehend, dass das Merkmal schlierenfrei durch das Merkmal von im Wesentlichen gleicher Dicke ersetzt wurde.
00:12:55: Also das, was in erster Instanz als ungleich oder nicht mit gleicher Bedeutung angesehen wurde, hat man jetzt versucht zu sanieren.
00:13:06: Wie hat denn das jetzt die Beschwerdekammer gesehen, dieses grundlegende Problem mit der Offenbarungsüberschreitung von diesem Merkmal schlierenfrei?
00:13:14: Die Kammer sah das als nicht
00:13:16: ursprungsoffenbart.
00:13:18: Sie ist dabei davon ausgegangen, dass schlierenfrei als Merkmal in einem Verfahrensanspruch eine technische Bedeutung hat, wenn auch nur eine geringe.
00:13:28: Und sie hat es damit auch als einschränkendes Merkmal gesehen.
00:13:31: Das bedeutet, der Hauptantrag in der vorliegenden Form kann so nicht bestehen bleiben.
00:13:37: Jetzt ist aber dann dieser Hilfsantrag interessant, von dem du gesprochen hast,
00:13:40: in dem er versucht hat, das zu sanieren, indem er das Merkmal schlierenfrei durch ein anderes Merkmal setzen wollte.
00:13:46: Das ist eine Diskussion, die hat es vor der Einspruchsabteilung gar nicht gegeben.
00:13:50: Was sagt denn die Beschwerdekammer dazu?
00:13:52: Ja, die Beschwerdekammer hat sich also da mit dem Hilfsantrag auseinandergesetzt
00:13:57: und hat einmal gesagt, okay, die gleiche Bedeutung der beiden Wörter ist nicht gegeben,
00:14:01: sonst wäre es ja ohnehin ursprungsoffenbart und die gesamte Angelegenheit wäre uninteressant.
00:14:07: Der nächste Punkt ist, sie ist davon ausgegangen,
00:14:10: dass das Merkmal von im Wesentlichen gleicher Dicke ursprungsoffenbart gewesen wäre.
00:14:15: Im Prinzip teilt sie da dem Patentinhaber die bittere Wahrheit mit.
00:14:19: Hättet ihr dieses Merkmal im Patentanspruch drinnen gehabt,
00:14:23: wäre die ganze Angelegenheit für euch positiv ausgegangen und es wäre ursprungsoffenbart gewesen
00:14:29: und ein Patent hätte so bestehen können, eben mit dem Merkmal von im Wesentlichen gleicher Dicke.
00:14:35: Die nächste Frage, die sich jetzt natürlich noch stellt, ist,
00:14:38: verstößt die Streichung des Merkmals schlierenfrei gegen Artikel 123 (3)?
00:14:46: Da geht die Kammer grundsätzlich davon aus, dass schlierenfrei keinen Unterfall von gleichmäßig dick bedeutet,
00:14:52: sondern geringfügig was anderes, sodass wir hier so überlappende Bereiche haben.
00:14:56: Die Konsequenz für den Hilfsantrag wäre also, der wäre neu, erfinderisch,
00:15:01: er wäre 123 (2) konform, also ursprungsoffenbart,
00:15:05: aber leider verstößt er gegen Artikel 123 (3),
00:15:08: weil der Schutzbereich geringfügig verschoben wird.
00:15:11: Im Prinzip ist da die Herangehensweise, es würden Dinge unter Schutz gestellt werden,
00:15:16: die von der erteilten Fassung
00:15:17: nicht geschützt werden.
00:15:19: Also hat sich die Problematik jetzt insoweit verschoben, als dass es nicht mehr um die Änderung an sich geht,
00:15:25: sondern es geht darum, um den Unterschied zwischen der erteilten Fassung und der Fassung,
00:15:32: die jetzt durch die neue Änderung, durch die Ersetzung hervorgerufen worden ist. Verstehe ich das richtig?
00:15:36: Ganz genau. Wir haben
00:15:37: eben für die erteilten Patente zusätzlich zum Verbot der Überschreitung der Offenbarung
00:15:43: jetzt auch noch das Verbot der Schutzbereichserweiterung nach Artikel 123 (3).
00:15:47: Und unser Hilfsantrag verstößt jetzt gegen dieses
00:15:50: Verbot.
00:15:51: Aus heutiger Sicht klingt der Fall ja glasklar.
00:15:55: Für die Kammer war aber jetzt offensichtlich etwas unklar und war die Sachlage nicht so eindeutig.
00:16:00: Warum denn eigentlich?
00:16:02: Ja, bis vor dieser Entscheidung war das Verhältnis
00:16:04: zwischen den Änderungsvorschriften von Artikel 123 (2) und Artikel 123 (3) EPÜ noch gar nicht so geklärt.
00:16:13: Das, was wir heute unter dem Begriff unentrebbare Falle kennen und fürchten, das war damals unbekannt
00:16:20: und einige Kammern haben auch versucht, solche Patente aufrecht zu erhalten
00:16:25: und hier ein Verhältnis oder eine Subsidiarität von Artikel 123
00:16:29: (3) zu konstruieren,
00:16:31: sodass das Patent eben bestehen bleiben kann.
00:16:33: Wie lautet denn nun die konkrete Frage, die die Kammer der Großen Beschwerdekammer vorgelegt hat?
00:16:38: Im Prinzip stellt die Beschwerdekammer die Frage danach,
00:16:41: ob ein europäisches Patent aufrechterhalten werden kann,
00:16:44: wenn es in der erteilten Fassung die Offenbarung überschreitet und die Merkmale, also die Schlierenfreiheit,
00:16:51: die die Überschreitung der Offenbarung verursachen, den Schutzbereich einschränken.
00:16:56: Vor allem stellt sich da die Frage, können diese einschränkenden und nicht ursprungsoffenbarten Merkmale wieder gestrichen werden,
00:17:03: damit man im Endeffekt das Patent sanieren
00:17:05: kann.
00:17:06: Die Entscheidung der Großen Beschwerdekammer und ihre Gründe und Auswirkungen werden wir unserer nächsten Folge des IP-Courses Podcasts näher ansehen.
00:17:14: Bis dahin, herzlichen Dank für Ihr Interesse und vielen Dank Michael.
00:17:21: Das war ein IP-Courses Podcast.
00:17:24: Für Feedback schreiben Sie uns an podcast@ipcourses.org, abonnieren Sie den Podcast und entdecken Sie weitere Informationen und Kursangebote auf www.ipcourses.org.
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