G 1/93 - "Unentrinnbare Falle" - Entscheidung

Shownotes

In dieser Folge sprechen Lukas Fleischer und Michael Stadler wieder über die Entscheidung G 1/93 der Großen Beschwerdekammer des Europäischen Patentamts aus dem Jahr 1994.

In dieser zweiten und abschließenden Folge werden die Leitsätze und die Auflösung des Ausgangsfalles behandelt. Die Große Beschwerdekammer stellte fest, dass die Voraussetzungen der Offenbarungsüberschreitung gemäß Art 123 (2) EPÜ und der Schutzbereichserweiterung gemäß Art 123 (3) EPÜ unabhängig voneinander zu prüfen sind und beiden die gleiche Wertigkeit zukommt. Zuvor teilweise inhaberfreundliche Rechtsprechungslinien, die eine Sanierung eines solchen Problems erlaubt haben, wurden damit verworfen. Weiters wurde zwar festgehalten, dass es grundsätzlich möglich wäre, Merkmale ohne technischen Beitrag aus dem Anspruch zu entfernen, jedoch wurde nicht definiert, was unter "ohne technischen Beitrag" konkret zu verstehen ist. Die Rechtsprechung hat sich dahingehend entwickelt, dass Merkmale, die in irgendeiner Art geeignet sind, den Schutzbereich einzuschränken, in der Regel als technisch angesehen werden.

Zusammenfassung:

Die gegenständliche Entscheidung bildet die Grundlage für die sogenannte "unentrinnbare Falle" zwischen Art 123 (2) und 123 (3) EPÜ, da sie klarstellt, dass ein im Anspruch eines erteilten Patents befindliches technisches Merkmal, wie eben das Merkmal "schlierenfrei", das aber nicht ursprungsoffenbart war, nicht einfach aus dem Anspruch gestrichen werden kann, da dies eben eine Schutzbereichserweiterung darstellt. Es wäre lediglich möglich, das fragliche Merkmal durch ein ursprungsoffenbartes, engeres Merkmal zu ersetzen. Ist dies jedoch nicht möglich, kann das Patent nicht mehr gerettet werden.

Im vorliegenden Fall wurde nach der Entscheidung der Großen Beschwerdekammer von der Vorinstanz einerseits festgestellt, dass es nicht möglich war das Merkmal "schlierenfrei" durch ein anderes Merkmal zu ersetzen und andererseits entschieden, dass es sich bei diesem Merkmal nicht um ein Merkmal "ohne technische Wirkung" handelt. Entsprechend wurde das Streitpatent im Ergebnis widerrufen, da es aus der im Anmeldeverfahren geschaffenen unentrinnbaren Falle nicht entkommen konnte,

Leitsätze:

  1. Enthält ein europäisches Patent in der erteilten Fassung Gegenstände, die im Sinne des Artikels 123 (2) EPÜ über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgehen und auch seinen Schutzbereich einschränken, so kann es im Einspruchsverfahren nicht unverändert aufrechterhalten werden, weil der Einspruchsgrund nach Artikel 100 c) EPÜ seiner Aufrechterhaltung entgegensteht. Das Patent kann auch nicht durch Streichung dieser beschränkenden Gegenstände aus den Ansprüchen geändert werden, weil eine solche Änderung den Schutzbereich erweitern würde, was nach Artikel 123 (3) EPÜ unzulässig ist. Es kann deshalb nur aufrechterhalten werden, wenn die Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung eine Grundlage dafür bietet, dass diese Gegenstände ohne Verstoß gegen Artikel 123 (3) EPÜ durch andere ersetzt werden können.

  2. Ein Merkmal, das in der Anmeldung ursprünglich nicht offenbart war, ihr aber während der Prüfung hinzugefügt wurde und - ohne einen technischen Beitrag zum Gegenstand der beanspruchten Erfindung zu leisten - lediglich den Schutzbereich des Patents in der erteilten Fassung einschränkt, indem es den Schutz für einen Teil des Gegenstands der in der ursprünglichen Anmeldung beanspruchten Erfindung ausschließt, ist nicht als Gegenstand zu betrachten, der im Sinne des Artikels 123 (2) EPÜ über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgeht. Der Einspruchsgrund nach Artikel 100 c) EPÜ steht deshalb der Aufrechterhaltung eines europäischen Patents, das ein solches Merkmal enthält, nicht entgegen.

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00:00:07: Willkommen zum IP-Courses Podcast, dem Podcast für gewerblichen Rechtsschutz.

00:00:15: Mein Name ist Lukas Fleischer. In der letzten Folge habe ich mit Michael Stadler die Vorgeschichte

00:00:20: der Entscheidung der Großen Beschwerdekammer G1/93 aus dem Jahr 1994 besprochen. Und heute

00:00:26: sehen wir uns an, wie die Große Beschwerdekammer geantwortet hat. Kurz vielleicht die Zusammenfassung

00:00:32: aus der letzten Folge. Im Prüfungsverfahren wurde ein Merkmal in den Anspruch aufgenommen,

00:00:38: das nicht ursprungsoffenbart war, nämlich, dass die Membran im Wesentlichen frei von Schlieren

00:00:44: oder schlierenfrei ist. Im Prüfungsverfahren ist das kein Problem gewesen und das Thema ist erst in

00:00:51: einem Einspruch aufgebracht worden und dort wurde der Verstoß gegen den Artikel 123 Absatz 2 EPÜ

00:00:58: festgestellt, also wurde festgestellt, dass es sich tatsächlich um eine Offenbarungsüberschreitung

00:01:02: handelt. Das Merkmal schlierenfrei ist eigentlich nur eine Beschreibung des Resultats in einem

00:01:10: Verfahren zur Herstellung dieser Membran und jetzt stellt sich die Frage, ist es möglich,

00:01:16: dieses Merkmal zu streichen oder durch ein anderes zu ersetzen oder führt das dazu, dass der Schutzbereich überschritten wird.

00:01:24: Jetzt wird uns Michael Stadler die Entscheidung der Großen Beschwerdekammer vorstellen.

00:01:28: Hallo Michael.

00:01:29: Hallo Lukas.

00:01:29: Wie ist denn die Große Beschwerdekammer mit diesem vorliegenden Fall umgegangen?

00:01:35: Was den Umfang der Entscheidung betrifft, beschränkte sich die Große Beschwerdekammer hier ausschließlich auf die Vorlagefrage,

00:01:42: also das hinzugekommene Merkmal schlierenfrei und da war ja schon festgestellt, dass dieses nicht ursprungsoffenbart war

00:01:50: und es war auch schon festgestellt, dass dieses Merkmal beschränkend war.

00:01:54: Das heißt, so weit hat die vorlegende Beschwerdekammer den Fall eigentlich schon aufbereitet gehabt

00:02:00: und in den älteren Entscheidungen hat sich die Große Beschwerdekammer auch immer damit zufrieden gegeben,

00:02:05: die Vorlagefragen zu beantworten, die tatsächlich gefragt wurden, ohne sie zu verändern.

00:02:12: Es ging also nun um einen Hilfsantrag und die Patentinhaberin wollte das einschränkende

00:02:17: und nicht ursprungsoffenbarte Merkmal streichen und durch ein ursprungsoffenbartes Merkmal ersetzen.

00:02:23: Neuheit und erfinderische Tätigkeit waren im Verfahren von der Großen Beschwerdekammer überhaupt kein Thema mehr.

00:02:28: Für die Zulässigkeit zu einer Vorlagefrage ist es ja notwendig,

00:02:32: dass es unterschiedliche Entscheidungen der Beschwerdekammer gibt.

00:02:36: Aus heutiger Sicht ist es ja eher ungewöhnlich, das hier anders zu sehen, als so wie es dann hier in der Entscheidung festgeschrieben worden ist.

00:02:44: Aber damals dürfte das anders gewesen sein. Welche Auffassungen wurden da vertreten?

00:02:50: Ja, dazu muss man sagen, ganz so strikt wie das Europäische Patentamt, das damals und auch heute sieht, sehen das nicht alle Behörden.

00:03:00: Zum Beispiel auch der Deutsche Bundesgerichtshof ist hier um einiges großzügiger.

00:03:05: Aber historisch war Deutschland auch deshalb großzügig, weil es relativ lang kein Verbot der Schutzbereichserweiterung gegeben hat.

00:03:13: Und zum Beispiel das nationale Recht Österreichs kennt bis heute kein Verbot der Schutzbereichserweiterung, zumindest bei nationalen Patenten.

00:03:21: Es gab also durchaus auch Entscheidungen, bei denen die Offenbarungsüberschreitung zum Teil nur zum Prioritätsverlust führte und dann gegebenenfalls Neuheitsprobleme mit sich zog.

00:03:30: Einige Entscheidungen erlaubten sogar das Streichen ursprünglich nicht offenbarter Merkmale und damit ganz ausdrücklich eine Schutzbereichserweiterung.

00:03:38: Und im Schrifttum wurde sogar vertreten, dass ein solches hinzugefügtes Merkmal nichtig ist und daher praktisch wie wegzudenken ist, was natürlich in Bezug auf die Rechtssicherheit und Rechtsklarheit ein Problem darstellt.

00:03:51: Das ist ein guter Punkt, weil Artikel 123 (3) EPÜ, also der Verbot der Schutzbereichserweiterung, hat ja eigentlich den Zweck, die Öffentlichkeit davor zu schützen, dass sich Patente, die schon einmal erteilt worden sind, ausdehnen. Wurde dieser Gedanke hier gar nicht berücksichtigt?

00:04:06: In den älteren Entscheidungen zum Teil überhaupt nicht. Einerseits, weil es vielleicht diese Voraussetzung gar nicht als gesetzliche Voraussetzung gab. Andererseits auch, weil man gesagt hat, dass das irgendwie unfair und weniger wichtig ist als Artikel 123 (2) EPÜ oder die analogen Bestimmungen.

00:04:22: In Deutschland hat man dann einen Mittelweg versucht, auch schon vor der Entscheidung, die wir heute diskutieren, gab es vom Bundespatentgericht die Entscheidung Flanschverbindung. Hier gab es dasselbe Problem und das Bundespatentgericht differenzierte damals zwischen der Frage des Schutzbereichs und der Auslegung einerseits und der Neuheitsfrage.

00:04:42: Wenn es um den Schutzbereich ging, dann spielte das Merkmal mit.

00:04:46: Das heißt, die Allgemeinheit hat ein Recht darauf, dass die Einschränkung, so wie sie erteilt und veröffentlicht wurde, auch tatsächlich gilt.

00:04:54: Wenn es um die Neuheit geht, spielt das Merkmal dagegen nicht mit.

00:04:58: Das heißt, du darfst als Patentinhaber des nicht ursprungsoffenbarten Merkmal nicht verwenden, um dich vom Stand der Technik abzugrenzen.

00:05:05: Das heißt also, der Patentinhaber hat das Schlechteste aus beider Welten.

00:05:09: Er hat keine Neuheit und einen eingeschränkten Schutzbereich.

00:05:12: Ja, aber er hat immerhin ein Patent. Und dieses Patent würde ihm das Europäische Patentamt in der Situation ja nicht geben. Zumindest die Beschwerdekammer aus der Vorlagefrage. In den Entscheidungen wurde dann immer ein Hinweis eingefügt, dass ein bestimmtes Merkmal nicht offenbart war und das wurde dann auch als die Fußnotenlösung aus Deutschland bekannt.

00:05:33: Du hast jetzt viel über nationale Rechtsprechung gesprochen. Gab es denn auch in den Verfahren vor dem Europäischen Patentamt, also von den Beschwerdekammern, solche oder ähnliche Bestrebungen, dieses Problem so zu lösen?

00:05:46: Ja, sonst wäre die Vorlage ja insgesamt unzulässig gewesen.

00:05:51: Zunächst gab es da eine Entscheidung, in der ein nicht ursprungsoffenbartes Merkmal eingefügt wurde,

00:05:57: das keinen technischen Beitrag zum Patentanspruch leistete oder das angeblich keinen technischen Beitrag hier leistete.

00:06:06: Und die Frage, was dieser technische Beitrag jetzt wirklich ist, das war auch in der Rechtsprechung davor strittig.

00:06:12: Hier bedeutete es jedenfalls irrelevant für die Neuheit und es bedeutete nicht nicht einschränkend.

00:06:18: Aus dem Grund hat eine Beschwerdekammer in der Entscheidung T231/89 es erlaubt, dass das Merkmal im Patentanspruch verbleiben konnte.

00:06:30: Ich paraphrasiere jetzt kurz, was die Beschwerdekammer gesagt hat.

00:06:32: Es wäre unbillig, ein Patent zu widerrufen, nur weil eine Änderung die Offenbarung überschreitet,

00:06:38: während die Streichung dieses Merkmals aber dann nach Artikel 123 (3) EPÜ nicht zulässig ist.

00:06:45: Vor allem dann, wenn das mit Zustimmung des Patentamts oder sogar vielleicht auf Empfehlung des Patentamts passiert ist, wäre eine solche drastische Konsequenz unzulässig.

00:06:58: Das heißt, in solchen Fällen bedarf es nach der Auffassung dieser Kammer einer angemessenen und ausgewogenen Auslegung der beiden Absätze 2 und 3 des Artikels 123 EPÜ.

00:07:09: Es bedeutet weiterhin, bei der Neuheitsprüfung darf das Merkmal keine Rolle spielen, aber diese Kammer hat die Auffassung vertreten, dass so eine unentrinnbare Falle, die sich ja durch die beiden Vorschriften ergibt, ein paradoxes Ergebnis darstellt.

00:07:24: Und auch andere Literaturstimmen haben das als unlogisch oder benachteiligend, sogar als unzumutbar bezeichnet.

00:07:33: Im vorliegenden Fall war es daher möglich, dass das Merkmal aus dem Patentanspruch gestrichen werden konnte.

00:07:39: Welche Feststellungen hat denn jetzt die große Beschwerdekammer gemacht, um diese Frage zu lösen?

00:07:45: Zunächst hat sie sich einmal den gesetzlichen Grund von Artikel 123 (2) und 123 (3) angeschaut.

00:07:52: Artikel 123 (2), also das Verbot, neue Merkmale aufzunehmen, die nicht ursprungsoffenbart sind, hat den Zweck, einen ungerechtfertigten Vorteil für den Patentinhaber zu vermeiden.

00:08:03: Man soll sich eben nicht mit fremden Federn schmücken und kein Merkmal verwenden, das man nicht am Anmeldetag auch schon hinterlegt hatte.

00:08:10: Artikel 123 (3) hat ganz andere Hintergründe.

00:08:14: Hier geht es um Verkehrsschutzinteressen. Jede Erweiterung des Patents und der Patentansprüche eines erteilten Patents sollen verboten sein, damit sich die Allgemeinheit darauf verlassen kann, dass ein Patent nicht mehr erfasst als das, was man in der erteilten Fassung mitgeteilt bekommt.

00:08:32: Die große Beschwerdekammer musste jetzt letztendlich das Verhältnis dieser beiden Vorschriften bestimmen.

00:08:39: Sie hat eben auch gesucht, ob es Anhaltspunkte dafür gibt, dass es irgendeine Wechselbeziehung oder irgendein Verhältnis zwischen den Vorschriften des Verbots der Schutzbereichserweiterung und des Verbots der Überschreitung der Offenbarung gibt.

00:08:53: Die Kammer kommt dabei zum Schluss, dass es solche Anhaltspunkte für eine Wechselbeziehung gerade nicht gibt.

00:08:58: Beide Vorschriften sind ziemlich apodiktisch und allgemeingültig formuliert.

00:09:03: Sie gelten also gleich und es ist nicht eine bedeutsamer als die andere.

00:09:07: Es ist nicht die eine wichtiger als die andere.

00:09:10: Und daher müssen beide Vorschriften immer unabhängig voneinander erfüllt sein.

00:09:15: Das heißt, die große Beschwerdekammer ist von dieser Anmelder- oder Patentinhaber-freundlichen Rechtsprechungslinie abgewichen,

00:09:21: die gesagt hat, es wäre ja eine unfaire Situation, wenn man sich da aus diesem Problem nicht herauslösen könnte,

00:09:29: weil sie gesagt hat, es müssen beide Voraussetzungen des Artikels 123 gleichzeitig eingehalten werden.

00:09:37: Ja, genau. Also letztlich ging es der Kammer jetzt nicht darum, ob das besonders fair oder unfair ist.

00:09:44: Die Große Beschwerdekammer hat festgestellt, dass diese beiden Vorschriften einfach unabhängig voneinander gelten

00:09:51: und dass es auch keine Fairness-Argumente hier geben kann oder dass es keine Auslegung geben kann,

00:09:57: die auf Fairness-Argumenten beruht, die dann dazu führt, dass diese Vorschriften vernachlässigt werden.

00:10:04: Das heißt also, du bist als Anmelder und Patentinhaber selbst dafür verantwortlich zu schauen, welche Änderungen du im Prüfungsverfahren einführst, weil wenn ich da nicht aufpasse, dann komme ich in eine unentrinnbare Falle.

00:10:16: Jetzt gibt es in der Entscheidung noch einen zweiten Aspekt, den wir bis jetzt nicht betrachtet haben, nämlich er bezieht sich auch auf Merkmale ohne technischen Beitrag. Was ist denn darunter zu verstehen?

00:10:28: Im Prinzip ging es darum, wenn ein solches Merkmal keinen technischen Beitrag leistet,

00:10:33: dann führt es auch nicht zu einer Offenbarungsüberschreitung.

00:10:36: Das heißt, nur technische Merkmale können dazu führen, dass die Offenbarung überschritten wird.

00:10:42: Im Prinzip gibt es zwei Auslegungsmöglichkeiten des Ganzen.

00:10:45: Du kannst davon ausgehen, dass es entweder bedeuten kann,

00:10:50: dass das Merkmal nichts zur Neuheit und zur erfinderischen Tätigkeit beiträgt,

00:10:54: Oder es könnte auch heißen, dass das Merkmal überhaupt für sich ungeeignet ist, Neuheit oder erfinderische Tätigkeit herzustellen.

00:11:02: Also praktisch ein technisches Merkmal.

00:11:04: Oder irgendwas dazwischen.

00:11:06: Und das hat die Beschwerdekammer hier nicht klargestellt.

00:11:10: Das heißt also, dieser Aspekt ist insofern noch offen, dass eine neue Große Beschwerdekammer Entscheidung das noch klarstellen müsste, wenn jemals wieder so eine Situation auftritt.

00:11:21: Ja, ich glaube, es gibt ohnehin in der Praxis der Beschwerdekammern das extrem streng zu sehen,

00:11:26: sodass es da keine Diskrepanz mehr gibt und dass die Frage eigentlich gelöst ist.

00:11:30: Aber das werden wir dann, glaube ich, erst bei der Entscheidung sehen.

00:11:34: Gut, also der wichtigere Aspekt der Entscheidung ist der, dass die unentrinnbare Falle als solches definiert worden ist,

00:11:41: nämlich, dass der Artikel 123 Absatz 3 das Streichen eines Merkmals verbietet,

00:11:49: das ich aber nach Artikel 123 Absatz 2 nicht im Anspruch behalten kann,

00:11:54: weil es nicht ursprungsoffenbart war.

00:11:56: Jetzt mit dieser Leitlinie der Großen Beschwerdekammer, wie hat denn die Beschwerdekammer den Fall tatsächlich entschieden?

00:12:04: Nach der Entscheidung der Großen Beschwerdekammer kam der Fall dann wieder zur vorliegenden Beschwerdekammer zurück.

00:12:09: Und da gab es dann eine mündliche Verhandlung.

00:12:12: Und was hier sehr interessant war aus den Protokollen zu sehen, ist, die dauerte nur drei Stunden,

00:12:17: was angesichts der notwendigen Diskussion dieser Entscheidungen über die Vorlagefragen sehr, sehr kurz ist.

00:12:24: Die Inhaberin versuchte hier insgesamt noch drei Hilfsanträge.

00:12:29: Im Wesentlichen wurde schlierenfrei gestrichen und eben durch das andere Merkmal von im Wesentlichen gleicher Dicke ersetzt.

00:12:37: Es war jetzt schon klargestellt, dass die unentrinnbare Falle, so wie wir sie heute kennen, jetzt hier auch gilt.

00:12:43: Das Einzige, was noch offen war, war, ob die Beschränkung auf die Schlieren eine Beschränkung ohne technischen Beitrag ist,

00:12:52: weil hier hat die Große Beschwerdekammer ja eine Definition offen gelassen.

00:12:56: Die vorliegende Kammer hat das aber verneint vor dem Hintergrund, dass das Merkmal der Schlierenfreiheit mit den anderen Merkmalen zusammenwirkt.

00:13:05: Und die Kammer ist davon ausgegangen, dass technischer Beitrag bedeutet, dass der Patentanspruch mit irgendeinem technischen Merkmal eingeschränkt ist,

00:13:14: nicht notwendigerweise einem, mit dem auch Neuheit hergestellt werden kann.

00:13:19: Schlierenfrei, so die Kammer, ist nicht nur ein reiner Effekt, sondern er hat eben auch bestimmte technische Wirkungen,

00:13:26: die schlierenfreie Membranen von anderen Membranen auf technische Weise unterscheiden können.

00:13:32: Damit lag im Endeffekt im Merkmal schlierenfrei ein Merkmal mit technischem Beitrag, das nicht ohne weiteres gestrichen werden konnte.

00:13:40: Und wir haben in dieser Fassung einen Verstoß gegen Artikel 123 (3) EPÜ.

00:13:45: Das heißt also, der Patentinhaber hat sich nicht aus dieser unentrinnbaren Falle retten können.

00:13:51: Der erteilte Anspruch, der angefochten worden ist, hatte das Problem der Offenbarungsüberschreitung und die Rettungsversuche hätten zur Erweiterung des Schutzbereichs geführt.

00:14:04: Genau.

00:14:05: Für den Fall, dass einem das jetzt selber im Verfahren passiert und man unvorsichtig war mit seinen Änderungen, gibt es denn noch irgendeine Chance, wie ich dieses Problem beheben kann?

00:14:17: Naja, solange du dich noch im Anmeldeverfahren befindest, besteht immer noch die Möglichkeit, entweder die Patentansprüche zu ändern, denn das Schutzbereichserweiterungsverbot gilt ja erst nach der Erteilung, oder wenn es das nicht mehr möglich sein sollte, eine Teilanmeldung einzureichen, das geht natürlich auch nur, während die Patentanmeldung anhängig ist.

00:14:39: In beiden Fällen kannst du dann neu probieren und möglicherweise eine Anspruchsfassung finden, die eben nicht gegen Artikel 123 (2) verstößt.

00:14:49: Wenn das Patent bereits erteilt ist, würde ich dazu raten, einen Einspruch gegen das Europäische Patentamt zu vermeiden.

00:14:57: Vor allem dadurch, dass man möglicherweise nicht bereits innerhalb der Einspruchsfrist beginnt, hier Verletzer zu verwarnen.

00:15:04: Wenn nämlich das Europäische Patentamt keine Zuständigkeit mehr für das europäische Patent hat, wenn die Einspruchsfrist abgelaufen ist, dann kann ich das Patent möglicherweise noch national durchsetzen, wenn es Gerichte gibt, die möglicherweise weniger streng vorgehen, was diese unentrinnbare Falle betrifft, beispielsweise Deutschland oder auch in Österreich.

00:15:26: Für Österreich ist es auch nach der Erteilung des europäischen Patents noch möglich, Gebrauchsmuster abzuzweigen und diese neu zu registrieren, das allerdings nur befristet.

00:15:36: Eine Möglichkeit, die es immer gibt, ist zu sehen, ob es ein Merkmal gibt, das noch enger ist als das erteilte, aber nicht ursprungsoffenbarte Merkmal.

00:15:45: Auf dieses kann man sich nämlich auf jeden Fall zurückziehen, weil man damit ja auch das Verbot der Schutzbereichs-Erweiterung nicht verletzt.

00:15:53: Aber jetzt aus umgekehrter Sicht, wenn ich ein Patent umbringen möchte als Einsprechender, dann ist es besonders effektiv zu schauen, hat es im Verfahren Änderungen gegeben, die vielleicht die ursprüngliche Offenbarung überschreiten und kann ich daraus eine unentrinnbare Falle konstruieren, um das Patent auf alle Fälle umzubringen?

00:16:11: Ja, das ist glaube ich auch aus Sicht des Einsprechenden der einfachste Sieg in einem Einspruchsverfahren und die Verhandlungen sind dann relativ kurz.

00:16:23: Kannst du uns jetzt vielleicht noch einmal die wesentlichen Punkte der Entscheidung der

00:16:26: Großen Beschwerdekammer zusammenfassen? Mit der Entscheidung G1/93 nimmt das

00:16:30: Europäische Patentamt die strengstmögliche Haltung in einer Situation ein, in der ein

00:16:36: europäisches Patent in einer erteilten Fassung die Offenbarung überschreitet und zwar mit einem

00:16:44: Merkmal, das den Schutzbereich beschränkt. In der Situation ist die Aufrechterhaltung des Patents

00:16:50: im Einspruch wegen Überschreitung der Offenbarung nicht möglich. Die Streichung des beschränkenden

00:16:56: Merkmals ist aber ebenfalls unzulässig, weil dadurch nämlich der Schutzbereich erweitert

00:16:59: würde. Das Patent kann damit nur aufrechterhalten werden, wenn es noch weiter beschränkt wird

00:17:06: gegenüber der erteilten Fassung und zwar mit ursprungsoffenbarten Merkmalen. Die Kammer

00:17:11: beschäftigt sich auch mit der Frage von Merkmalen, die keinen technischen Beitrag leisten. So ganz

00:17:16: trennscharf ist die Kammer hier aber nicht. Was damit wahrscheinlich nicht gemeint ist, sind

00:17:21: Merkmale, die zur Neuheit nichts beitragen. Die Kammer versteht darunter wahrscheinlich technische

00:17:28: Merkmale, die den Schutzbereich technischerweise beschränken und daher zumindest theoretisch dazu

00:17:34: in der Lage sind, Neuheit gegenüber irgendeinem Stand der Technik herzustellen. Ganz generell kann

00:17:39: man sagen, dass eine solche Beschränkung aber fast immer vorliegt, sodass die Aufnahme eines

00:17:44: nicht ursprungsoffenbarten Merkmals stets mit einer großen Gefahr des Totalverlusts des Patents

00:17:50: verbunden ist. Das war eine Folge zur Entscheidung G1/93 aus dem Jahr 1994. Vielen Dank Michael

00:17:57: und vielen Dank für Ihr Interesse. Das war ein IP-Courses Podcast. Für Feedback schreiben Sie

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