G 1/03 - "Disclaimer" - Vorlagefrage
Shownotes
In dieser Folge sprechen Lukas Fleischer und Michael Stadler über die verbundenen Entscheidungen G 1/03 und G 2/03 der Großen Beschwerdekammer des Europäischen Patentamts aus dem Jahr 2004, die unter dem Schlagwort "Disclaimer" bekannt geworden ist. Diese Entscheidungen beschäftigen sich mit der Frage ob und vor welchem rechtlichen Hintergrund nicht ursprungsoffenbarte Disclaimer, sogenannte "undisclosed diclaimer", zulässig sind.
erster Vorlagefall: beschichtetes Glassubstrat
Die dem ersten Vorlagefall zugrunde liegende Erfindung betrifft ein mit einem Metallfilm und einer Schutzschicht beschichtetes Glassubstrat, wobei die Beschichtung dazu dient, eine hohe Temperaturbeständigkeit ohne Verlust der optischen Eigenschaften zu erreichen.
Im Einspruchsverfahren wurde ein Stand der Technik Dokument herangezogen, das metallische Beschichtungen offenbarte, deren Zusammensetzung unter den Anspruch fielen, obwohl die Beschichtungen auf einem Glassubstrat aufgebracht waren, um eine Goldfärbung mit möglichst günstigen Materialien zu erreichen.
Der Patentinhaber versuchte sich dadurch abzugrenzen, dass er einen nicht ursprungsoffenbarten Disclaimer einführte, um genau die vorgehaltenen neuheitsschädlichen Kombinationen aus dem Stand der Technik auszuschließen. Dabei berief er sich auf das in der Rechtsprechung geschaffene Rechtsinstitut der "zufälligen Vorveröffentlichung". Im Beschwerdeverfahren wurde die grundsätzliche Zulässigkeit der undisclosed Disclaimer im Lichte der unterschiedlichen Rechtsprechungslinien, insbesondere im Hinblick auf die Problematik mit Art 123 EPÜ, in Frage gestellt, was zur ersten Vorlage führte.
zweiter Vorlagefall: HIV-Test
Dem zweiten Vorlagefall liegt ein Test zur Erkennung von AIDS-bezogenen Krankheiten, konkret die Verwendung synthetischer Peptide zur Virus- oder Antikörperdetektion, als Erfindung zugrunde. Im Einspruchsverfahren wurde ein älteres Recht, also Stand der Technik nach Art 54 (3) EPÜ, eingeführt, das neuheitsschädlich für das erteilte Patent war. Auch hier versuchte sich der Patentinhaber durch nicht ursprungsoffenbarte Disclaimer von dieser Vorveröffentlichung abzugrenzen.
Da bereits die Vorlagefragen aus dem ersten Fall bekannt waren, ergänzte die hier vorlegende Beschwerdekammer lediglich die zusätzliche Frage, ob ein nicht ursprungsoffenbarter Disclaimer zur Abgrenzung von einem älteren Recht zulässig ist.
Vorlagefragen
Der Großen Beschwerdekammer wurden im ersten Vorlagefall (beschichtetes Glassubstrat) die folgende Fragen zur Entscheidung vorgelegt:
Ist die Änderung eines Anspruchs durch die Aufnahme eines Disclaimers schon deshalb nach Artikel 123 (2) EPÜ unzulässig, weil weder der Disclaimer noch der durch ihn aus dem Schutzumfang des Anspruchs ausgeschlossene Gegenstand aus der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung herleitbar ist?
Falls Frage 1 zu verneinen ist, nach welchen Kriterien ist dann die Zulässigkeit eines Disclaimers zu beurteilen?
a) Ist es insbesondere von Bedeutung, ob der Anspruch gegenüber einem Stand der Technik nach Artikel 54 (3) EPÜ oder gegenüber einem Stand der Technik nach Artikel 54 (2) EPÜ abgegrenzt werden soll?
b) Muß der durch den Disclaimer ausgeschlossene Gegenstand strikt auf den in einem bestimmten Dokument des Stands der Technik offenbarten Gegenstand begrenzt sein?
c) Ist es von Bedeutung, ob der Disclaimer erforderlich ist, um dem beanspruchten Gegenstand Neuheit gegenüber dem Stand der Technik zu verleihen?
d) Ist das in der bisherigen Rechtsprechung entwickelte Kriterium anzuwenden, daß es sich um eine zufällige Offenbarung handeln muß, und wenn ja, wann ist eine Offenbarung als zufällig anzusehen, oder
e) ist ein auf die Ausklammerung des Stands der Technik begrenzter und in der ursprünglichen Anmeldung nicht offenbarter Disclaimer zwar nach Artikel 123 (2) EPÜ zulässig, aber bei der Prüfung der erfinderischen Tätigkeit des beanspruchten Gegenstands außer Acht zu lassen?
Weiters wurden im zweiten Vorlagefall (HIV Test) die folgenden Fragen der Großen Beschwerdekammer vorgelegt:
Ist die Aufnahme eines von der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung nicht gestützten Disclaimers in einen Anspruch zulässig und dementsprechend der Anspruch nach Artikel 123 (2) EPÜ gewährbar, wenn der Disclaimer dazu dient, einen Neuheitseinwand nach Artikel 54 (3) EPÜ auszuräumen?
Wenn ja, nach welchen Kriterien ist dann die Zulässigkeit des Disclaimers zu beurteilen?
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00:00:07: Willkommen zum IP-Courses Podcast, dem Podcast für gewerblichen Rechtsschutz.
00:00:17: Mein Name ist Lukas Fleischer und heute spreche ich mit Michael Stadler über die verbundenen
00:00:22: Entscheidungen G1 und G2/03 der Großen Beschwerdekammer aus dem Jahr 2004. In dieser
00:00:28: Folge befassen wir uns mit der Vorgeschichte des Falls. Hallo Michael. Hallo Lukas. Wie üblich
00:00:33: meine erste Frage, welche Erfindung lag denn dem ersten von diesen beiden Fällen zugrunde? Bei der
00:00:39: Erfindung ging es um einen vakuumbeschichteten Gegenstand, den kannst du beispielsweise auf
00:00:44: Solarzellen oder bei Gebäudefassaden verwenden, aber auch im Automobilbereich. Das Ziel ist eine
00:00:51: effiziente Sonneneinstrahlungskontrolle und Wärmeregulierung bei den betreffenden Gegenständen.
00:00:56: Das klingt für mich jetzt ein bisschen nach einer Glasscheibe. Wie hat denn der Patentanspruch dazu ausgeschaut?
00:01:02: Ja, das siehst du komplett richtig. Die Merkmale, die der Patentanspruch hatte, waren zunächst ein Glassubstrat und auf dieses Glassubstrat war dann ein Metallfilm aufgebracht und auf dem Metallfilm war dann noch eine Schicht zur Minimierung der Oxidation, die wurde auch als Schutzschicht bezeichnet.
00:01:19: Der Anspruch zeichnete sich dann dadurch aus, dass bestimmte Metallsalze in der Beschichtung genannt wurden.
00:01:27: Und tatsächlich bestand der Patentanspruch eben dann darin, dass auf dem Glassubstrat einfach zwei Schichten aufgetragen waren, die bestimmte Materialien, also bestimmte Metalle enthielten.
00:01:36: Das klingt jetzt mal relativ breit, aber was bringt denn das genau?
00:01:39: Der Effekt, der hier behauptet wurde, war eine hohe Temperaturbeständigkeit ohne Verlust der optischen Eigenschaften.
00:01:47: Das heißt, das Glas bleibt biegbar, ohne dass es seine optischen Eigenschaften verliert und das ist gerade im Automotive-Bereich ganz interessant, wenn du Glasscheiben, die ein bisschen gebogen sind, machen möchtest und die dann halt immer noch ihre optischen Eigenschaften haben, die sie ursprünglich hatten.
00:02:04: Das klingt jetzt einmal grundsätzlich ganz schön. Wie ist denn das Anmeldeverfahren gelaufen?
00:02:09: Das Europäische Patentamt hat die Anmeldung geprüft und dann ein Patent erteilt.
00:02:15: Und dann ist wieder was passiert. Ich würde sagen, ein Einspruch. Ist das richtig?
00:02:19: Ja, ganz genau. Wir hatten also einen Einsprechenden, der dem Patentinhaber sein Patent offenbar nicht gegönnt hat in dieser Breite.
00:02:25: Und der Einsprechende hat auch seine Aufgabe gemacht und unglaublich viel Stand der Technik eingereicht.
00:02:30: Und ein Angriff, der da vorgebracht wurde, war eben wegen mangelnder Neuheit.
00:02:35: Was hat denn der Stand der Technik offenbart, dass das ein Problem war für die Erfindung?
00:02:39: Es gab ein Dokument, das der Erfindung strukturell sehr ähnlich war.
00:02:43: wir erinnern uns, Metallbeschichtung mit zwei Schichten und einer bestimmten Zusammensetzung.
00:02:48: Und im Stand der Technik wurde die Beschichtung jetzt dafür verwendet,
00:02:52: um eine Goldfärbung mit möglichst günstigen Metallen herzustellen.
00:02:56: Also gerade nicht mit Gold oder mit einer Kombination aus Kupfer und Silber,
00:03:00: sondern eben mit häufigeren Metallen.
00:03:03: Konkret bestand der Metallfilm aus Titan-Nitrit und die Schutzschicht aus Titan oder Chrom.
00:03:10: Aufgrund der breiten Formulierung fiel dieser Stand der Technik eben unter dem Patentanspruch und war damit auch neuheitsschädlich.
00:03:19: Das klingt jetzt nicht nach einer besonders untypischen Situation.
00:03:22: Man könnte doch jetzt einfach als Patentinhaber hergehen und eine Beschränkung aufnehmen, um die Neuheit herzustellen,
00:03:28: um zum Beispiel eben konkrete Stoffe auszuwählen oder Mengenbereiche oder Verhältnisse.
00:03:32: Was hat denn der Patentinhaber denn für Möglichkeiten?
00:03:35: Das wäre eigentlich genau das, was du heute tun würdest.
00:03:38: Das Problem für unseren Patentinhaber war aber, dass das eine starke Einschränkung bedeutet hätte.
00:03:43: Nachdem die beiden Entscheidungen ja unter dem Stichwort Disclaimer bekannt geworden sind,
00:03:48: gehe ich davon aus, dass es jetzt irgendwann mal dazu gekommen sein muss,
00:03:50: dass so ein Disclaimer ins Verfahren eingeführt wurde.
00:03:53: Ja genau, das ist an dieser Stelle jetzt passiert.
00:03:56: Diesen Disclaimer hat der Patentinhaber jetzt im Verfahren eingeführt,
00:04:01: um den Stand der Technik auszuschließen, den der Einsprechende vorgebracht hat.
00:04:04: Der Disclaimer bestand jetzt konkret in zwei negativ formulierten Merkmalen, die ganz interessant waren. Einerseits ist die Schutzschicht nicht aus Silizium-Zirkonium-Nitrit oder Silizium-Zinn-Nitrit. Und andererseits, wenn der Metallfilm aus Titan-Nitrit besteht, dann enthält die Schutzschicht kein Chrom. Also auf diese logisch etwas komplizierte Weise wurde der Disclaimer jetzt formuliert.
00:04:33: Also hat der Patentinhaber faktisch versucht, das Minimum rauszuholen und die kleinsten möglichen neuheitsschädlichen Offenbarungen hinauszuschneiden.
00:04:45: Das ist ja grundsätzlich total praktisch. Wenn das so einfach ist, dann mache ich das ab jetzt einfach auch immer so und schneide mir nachher das raus, was es vielleicht im Stand der Technik schon gibt.
00:04:54: Ja, genau so hat sich unser Inhaber das eben auch gedacht. Es gibt aber mit dieser Vorgehensweise auch ein gewisses Problem.
00:05:00: Dieses einfach so rausschneiden ist nämlich einfach nur dann zulässig, wenn die Vorveröffentlichung, von der man sich abgrenzen möchte, zufällig ist.
00:05:09: Im vorliegenden Fall wurde das vom Patentinhaber damit argumentiert, dass die Aufgabe, die hier zu lösen war, einfach eine ganz andere war.
00:05:19: Wo kommt denn das Zufällig-Kriterium her?
00:05:22: Das ist eine Erfindung der Rechtsprechung.
00:05:23: Also die Zufälligkeit nimmt so eine gewisse Anleihe an der Frage, ob denn ein Fachmann von diesem Stand der Technik ausgehen würde, beziehungsweise noch ein bisschen weiter im Rahmen der erfinderischen Tätigkeit Diskussion, ob der Fachmann dieses Dokument für die Beurteilung der Schutzfähigkeit, insbesondere der erfinderischen Tätigkeit, heranziehen würde.
00:05:47: Und eine ähnliche Argumentation ist auch hier aufgetreten, wenn es um die zufällige Veröffentlichung geht.
00:05:52: Also weil es zufällig ist, dass man eine goldähnliche Schicht aus genau den Materialien herstellen kann, die auch unter Umständen zu einer besseren Biegbarkeit führen oder die in diese Summe reinfallen von diesen zwei Listen, wo diese Kombination drinnen steckt.
00:06:09: Ganz genau, das klingt jetzt nicht besonders plausibel für den Ausgangsfall.
00:06:13: Insgesamt hat die Argumentation aber schon was, wenn man sagt, wenn das wirklich komplett fernliegend ist und zufällig neuheitsschädlich,
00:06:22: dann soll man sich davon einfacher abgrenzen können, als wenn es etwas ist, was auch für die erfinderische Tätigkeit notwendig ist.
00:06:31: Und deswegen hat man also argumentiert, na gut, hier sollte man vielleicht den Disclaimer einfügen können, um dem Patentinhaber mehr Spielraum zu geben.
00:06:39: Und ohne dem Ergebnis jetzt vorgreifen zu wollen, im vorliegenden Fall wirkt das ein bisschen an den Haaren herbeigezogen.
00:06:45: Jetzt wieder einen Schritt zurück zu unserer vorliegenden Entscheidung.
00:06:50: Wir sind jetzt im Einspruchsverfahren. Wie hat denn die Einspruchsabteilung das mit den Disclaimer gesehen?
00:06:56: Die hat den Disclaimer einfach akzeptiert und auch keine besonderen Probleme mit Artikel 123 Absatz 2 EPÜ gesehen.
00:07:03: Auch der Einsprechende stelle die Zulässigkeit des Disclaimers zunächst nicht in Frage und das Patent wurde mit dem Disclaimer aufrechterhalten.
00:07:11: Das heißt, das Patent ist im geänderten Umfang aufrechterhalten worden und dem Einsprechenden hat es nicht gepasst und er hat Beschwerde eingelegt, richtig?
00:07:18: Ja genau, nicht nur der Einsprechende, sondern auch der Patentinhaber, weil der hat ja mit dem Disclaimer, den er aufgenommen hat, natürlich auch einen Teil seines Schutzbereichs verloren.
00:07:27: Der war beschwert, der hat natürlich auch gern sein Patent zurück wollen.
00:07:31: In der Beschwerde des Einsprechenden kam jetzt aber auch der Einwand gegen den Disclaimer, einfach mit dem Hinweis, der war nicht ursprungsoffenbart. Und da gab es auch so ein wenig die Diskussion im Sinne der G 1/93 war das auch ein beschränkendes Merkmal. Und hier war natürlich die Frage, hat sich der Patentinhaber mit dem Disclaimer in eine unentrinnbare Falle hinein manövriert?
00:07:57: Wenn man jetzt von der sehr formalistischen Herangehensweise der heutigen Rechtsprechung ausgeht, wenn es um die Auslegung von Artikel 123 geht, dann erscheint diese erstinstanzliche Entscheidung ja wirklich extrem großzügig. Wie genau ist denn argumentiert worden, dass so ein Disclaimer zulässig sein soll?
00:08:13: Da gab es eine längere Rechtsprechungslinie, die solche Disclaimer erlaubt hat.
00:08:20: Zum Beispiel in der T4 aus 80 hat eine Kammer angenommen, dass man einen Disclaimer einführen dürfte, wenn es um eine Abgrenzung von einem älteren Recht ging.
00:08:31: Dann gab es auch mehrere Entscheidungen, die für den Fall der mangelnden Neuheit nach Artikel 54 (2) EPÜ insgesamt einen Disclaimer zugelassen hatten.
00:08:40: Und dann war in der Rechtsprechung auch der Fall der sogenannten zufälligen Vorveröffentlichung entwickelt worden. Zufällig war dabei eine Vorveröffentlichung, wenn ein Fachmann sie bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit nicht berücksichtigen würde.
00:08:56: Entweder, weil sie in einem völlig weit abliegenden technischen Gebiet lag, da gab es die Entscheidung T 608/96, die das formulierte, oder andere Variante, weil die Vorveröffentlichung angesichts ihres Gegenstands nicht zur Lösung der in der Erfindung beanspruchten Aufgabe beiträgt.
00:09:19: Eine andere Entscheidung, T 863/96, sah eine Veröffentlichung dann als zufällig an, wenn sie für eine weitere Prüfung der beanspruchten Erfindung einfach keine Relevanz hat.
00:09:33: Andere Entscheidungen bezogen sich darauf, dass der Stand der Technik, der mit Disclaimer ausgeschlossen werden soll, keinen Beitrag zur Lösung des Problems beinhalten darf.
00:09:44: Auch wenn es eine Reihe von verschiedenen Voraussetzungen sind, klingt das ja trotzdem noch immer sehr großzügig dem Patentinhaber gegenüber. Heißt das, dass jetzt so ein Disclaimer immer alle Probleme lösen kann?
00:09:56: Ich denke, alle Kammern waren sich darüber einig, dass man bei der Neuheit ein Auge zudrücken kann, wenn man das will, das aber spätestens bei der erfinderischen Tätigkeit Schluss war. Das wurde schon Ende der 1980er Jahre in der Entscheidung T 170/87 ausdrücklich so festgehalten.
00:10:14: Jetzt trotzdem noch meine Frage, gab es nicht damals schon solche dogmatischen Hardliner, wie man sie heute vom EPA kennt, die sagen, sowas geht ganz und gar nicht mit den Disclaimer?
00:10:23: Ja, natürlich, die gab es damals auch schon. Diese Haltung findest du wunderbar abgebildet in der Entscheidung T 323/97.
00:10:33: Und aus dogmatischer Sicht ist diese Entscheidung natürlich sehr sauber.
00:10:37: Auf der einen Seite, und da sehen wir jetzt natürlich auch wieder den rigorosen Zugang des Europäischen Patentamts, gibt es im EPÜ keine Grundlage für Disclaimer, die nicht ursprungsoffenbart sind und daher sollte das einfach nicht zugelassen werden.
00:10:50: Also praktisch das Argument, hätte der Konventionsgeber sowas gewollt, dann hätte er es hingeschrieben und solange es das nicht gibt, wird das Europäische Patentamt das auch nicht zulassen.
00:11:00: Andererseits ist auch die Frage, wann jetzt eine Vorveröffentlichung zufällig ist, gar nicht so einfach zu beantworten.
00:11:06: Die Kammer lehnte den Ansatz daher schlechthin ab, so wie man das eigentlich auch von einer guten Beschwerdekammer des Europäischen Patentamts gewohnt ist, wenn es um Artikel 123 Absatz 2 EPÜ geht.
00:11:18: Und aus rechtlicher Sicht ist es meiner Ansicht nach auch die sauberste Herangehensweise.
00:11:22: Man vermeidet da auch die Schaffung von zusätzlichen Rechtsfiguren wie die der zufälligen Vorveröffentlichung.
00:11:30: Ich meine, man muss ja insgesamt sagen, dass was die Kammern dagegen Position gemacht haben, war doch, dass sie praktisch neue Rechtsfiguren geschöpft haben, die so nirgendwo gestanden waren, einfach nur um den Patentinhaber zu bevorzugen. Und mit dieser Auffassung räumt die Entscheidung T 323/97 auf und sagt, das gibt es einfach nicht.
00:11:53: Gut, ich sehe jetzt ganz klar zwei unterschiedliche Rechtsprechungslinien des Europäischen Patentamts. Die eine, die sagt, Disclaimer sind möglich und auch undisclosed Disclaimer, also nicht ursprungsoffenbarte Disclaimer sollen in irgendeinem Bereich möglich sein und die andere Sichtweise, die sagt, sowas gibt es einmal gar nicht.
00:12:15: Bevor wir uns jetzt den Vorlagefragen widmen, wie hat denn der zweite Fall ausgeschaut, der zum zweiten Teil der Großen Beschwerdekammerentscheidung geführt hat? Um was ist es denn da gegangen?
00:12:26: Bei dieser Erfindung ging es um einen Test zur Erkennung von AIDS-bezogenen Krankheiten, konkret um die Verwendung synthetischer Peptide zur Virus- oder Antikörperdetektion.
00:12:38: Auch hier haben wir ein erteiltes Patent, gegen das Einspruch eingelegt wurde.
00:12:42: Anders als im ersten Fall gab es aber jetzt ein älteres Recht im Sinne des Artikel 54 (3) EPÜ, das die Neuheit gefährdete.
00:12:51: Im älteren Recht war jetzt ein Peptid gezeigt, das alle Merkmale des erteilten Patentanspruchs aufwies.
00:13:00: Damit das mit unserer ersten Entscheidung zusammenpasst, gehe ich davon aus, dass auch hier ein Disclaimer eingesetzt worden ist, um sich abzugrenzen.
00:13:07: Genau, eine völlig andere Erfindung, rechtlich aber fast dieselbe Situation und die Lösung, die unser Patentinhaber hier gewählt hat, war auch ein Disclaimer zur Abgrenzung vom älteren Recht. Auch hier gab es einen Stand der Technik, den der Inhaber ursprünglich noch nicht kannte und auch hier hat der Anmelder eben eine Abgrenzung versucht, die den Stand der Technik einfach mit einem Disclaimer wegschneidet.
00:13:33: Das klingt ja noch immer nach einem sehr tollen Ansatz für den Patentinhaber, dass er einfach eine ganze Erfindung einreichen kann und dann später, wenn er Stand der Technik findet, sich Stücke rausschneidet durch einen Disclaimer, um dann die Neuheit herzustellen.
00:13:48: Ja, auch die vorliegende Kammer war sich hier nicht allzu sicher, ob das ein guter Weg oder eine gute Idee ist. Und angesichts der unterschiedlichen Ansichten war eine Vorlage an die Große Beschwerdekammer hier sicherlich sehr sinnvoll.
00:14:01: Jetzt, nachdem wir diese zwei Fälle schon gut kennen, was wollten denn die vorliegenden Kammern genau von einer Großen Beschwerdekammer wissen?
00:14:08: Schauen wir uns zunächst den Fall G 1/03 an. Da ging es um die generelle Zulässigkeit von Disclaimern.
00:14:15: Und dazu muss man sagen, als Disclaimer wird im Zusammenhang mit dieser Entscheidung ja nicht bloß ein Merkmal bezeichnet, das negativ formuliert ist,
00:14:23: sondern das Besondere an diesen Disclaimern ist ja, dass sie in den ursprünglichen Anmeldungsunterlagen einfach nicht enthalten waren,
00:14:30: sondern dass sie erst zu einem späteren Zeitpunkt im Anmeldeverfahren eingefügt wurden.
00:14:35: Und die Frage ist, kann ich einen solchen nicht ursprungsoffenbarten Disclaimer zur Abgrenzung vom Stand der Technik heranziehen und wenn ja, unter welchen Voraussetzungen?
00:14:44: Und besonders relevant war es hier im Zusammenhang mit sogenannten zufälligen Veröffentlichungen,
00:14:50: also Veröffentlichungen, die irgendwie weit ab von der zu beurteilenden Erfindung liegen.
00:14:56: Und wenn das bejaht wird, ist natürlich auch die Abgrenzungsfrage interessant. Wann ist denn eigentlich eine Vorveröffentlichung zufällig?
00:15:04: Und wie schaut es mit dem zweiten Fall aus? Welche neuen Fragen haben sich da ergeben?
00:15:09: Hier ging es um die Frage, ob ich mich mit einem solchen Disclaimer auch vor einem älteren Recht abgrenzen kann.
00:15:14: Also wieder ein Disclaimer, der ursprünglich nicht offenbart war, weil man das ältere Recht zu dem Zeitpunkt ja gar nicht kannte, vielleicht noch gar nicht kennen konnte, als man die Anmeldung eingereicht hat.
00:15:25: Kann so ein Disclaimer zur Abgrenzung von einem älteren Recht zulässig sein?
00:15:29: Im Übrigen gab es dann keine neuen substanziellen Fragen im Vergleich zur G 1/03.
00:15:36: Bis jetzt ist es ja eigentlich immer um die Neuheit gegangen und die Frage,
00:15:39: ob Disclaimer zur Herstellung von Neuheit herangezogen werden können.
00:15:43: Gab es auch Fragen zur erfinderischen Tätigkeit, was das angeht?
00:15:46: Ja, das wollten die vorlegenden Kammern auch wissen, nämlich auch die Frage,
00:15:50: wie weit kann denn diese Verwendung von nicht ursprungsoffenbarten Disclaimer funktionieren?
00:15:57: Und da wurde auch gefragt, ist es vielleicht auch möglich, erfinderische Tätigkeit dadurch herzustellen,
00:16:04: dass ich einen nicht ursprungsoffenbarten Disclaimer einfüge?
00:16:07: Die Entscheidung der Großen Beschwerdekammer und die Gründe dafür werden wir uns in der nächsten Folge des IP-Courses in gewohnter Weise näher ansehen.
00:16:14: Bis dahin, herzlichen Dank für Ihr Interesse und herzlichen Dank, Michael!
00:16:21: Das war ein IP-Courses-Podcast.
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