R 3/15 - Fernrohr (Rechtliches Gehör / Überprüfungsverfahren)

Shownotes

In dieser Folge sprechen Gerd Hübscher und Michael Stadler über die Entscheidung R 3/15 der großen Beschwerdekammer des Europäischen Patentamts aus dem Jahr 2017, die einen Überprüfungsantrag gegen eine Entscheidung einer Beschwerdekammer zum Gegenstand hat.

R-Entscheidungen betreffen keine allgemeinen Rechtsfragen, sondern konkrete Verfahrensfehler in Einzelfällen. Sie sind kein Ersatz für eine dritte Instanz, sondern dienen der Wahrung grundlegender Verfahrensrechte.

Die Erfindung betraf ein Fernrohr, das sowohl große Vergrößerung und ein weiteres Sichtfeld ermöglicht. Die technischen Merkmale wurden später im Prüfungsverfahren deutlich präzisiert und eingegrenzt.

Drei große Unternehmen legten Einspruch gegen das Patent ein und trugen umfangreiches Material zum Stand der Technik vor. Nach intensiver Auseinandersetzung blieb das Patent in eingeschränkter Form auf Grundlage eines Hilfsantrags bestehen.

Mehrere Parteien führten das Verfahren vor der Beschwerdekammer weiter, wobei auch neue Dokumente und Anspruchsfassungen eingebracht wurden. Formale Fehler im Umgang mit verspäteten Anträgen und eine andere - dem Inhaber bis zur Entscheidung unbekannte - Auslegung einzelner technischer Merkmale führten letztlich zum Widerruf des Patents.

Die Patentinhaberin stellte einen Antrag auf Überprüfung wegen Verletzung rechtlichen Gehörs. Die Große Beschwerdekammer erkannte einen schwerwiegenden Verfahrensmangel und hob die Entscheidung der Beschwerdekammer auf.

Nach der Aufhebung durch die Große Kammer wurde das Verfahren formal wieder aufgenommen. Kurz darauf zogen alle Beteiligten ihre Beschwerden und Einsprüche zurück, das Patent blieb in beschränkter Form bestehen.

Das Überprüfungsverfahren ist ein eng begrenztes und selten erfolgreiches Rechtsmittel. Nur in absoluten Ausnahmefällen, wie hier bei R 3/15, führt es zur Aufhebung einer Entscheidung.

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00:00:00: Willkommen zum IP-Courses Podcast, dem Podcast für gewerblichen Rechtsschutz.

00:00:14: Mein Name ist Gerd Hübscher. Heute spreche ich mit Michael Stadler über ein sehr wichtiges Thema,

00:00:19: gerade im Rahmen von mündlichen Verhandlungen, nämlich das rechtliche Gehör. Konkret werden

00:00:24: wir uns mit der Entscheidung R 3/15 der Großen Beschwerdekammer auseinandersetzen. Hallo Michael.

00:00:29: Hallo Gerd. Michael, bis jetzt haben wir ja hauptsächlich über G-Entscheidungen der Großen

00:00:34: Beschwerdekammer und über T-Entscheidungen der Beschwerdekammern der zweiten Instanz gesprochen.

00:00:38: Was ist jetzt eine R-Entscheidung? Eine R-Entscheidung ist das Aktenzeichen,

00:00:42: das die Große Beschwerdekammer für das Überprüfungsverfahren nach Artikel 112a

00:00:47: EPÜ verwendet. Die Große Beschwerdekammer überprüft da im Einzelfall Entscheidungen

00:00:52: der einzelnen Beschwerdekammern auf Verfahrensfehler. Anders als bei den G-Entscheidungen geht es hier

00:00:58: nicht um eine allgemeine Rechtsfrage von besonderer Relevanz, sondern die Große Beschwerdekammer

00:01:04: schaut einfach, ob im Einzelfall ein Verfahrensverstoß vorliegt oder nicht. Das heißt, ich habe eine

00:01:09: rein rechtliche Überprüfung der Verfahrensführung, aber eigentlich keine inhaltliche Diskussion über

00:01:13: den Fall mehr. Genau. Bevor wir uns vielleicht inhaltlich im Detail damit auseinandersetzen,

00:01:18: was war denn jetzt im zugrunde liegenden Fall die Erfindung, um die es gegangen ist? Die Erfindung

00:01:23: betrifft ein Fernrohr, das zwei widersprüchliche Anforderungen erfüllen muss.

00:01:28: Einerseits muss das stark vergrößern, damit ich ein weit entferntes Ziel deutlich näher und

00:01:33: größer sehen kann. Gefordert ist hier eine mehr als vierfache Vergrößerung. Und trotzdem soll ein

00:01:40: weites Sichtfeld bestehen. Das heißt, auch wenn man stark hineinzoomt, sieht man trotzdem einen

00:01:45: großen Bereich der Umgebung, also nicht nur einen extrem kleinen Ausschnitt. Klingt nach einem

00:01:50: idealen Anwendungsfall für ein Scharfschützengewehr, wo ich eben auch die Umgebung im Umfeld im Blick

00:01:55: behalten muss. Ja, dafür kann man die Erfindung sicher verwenden. Es gibt aber auch eine andere

00:01:58: Möglichkeit, aber auch friedlichere Anwendungen, zum Beispiel für Jagd, Sportschützen oder einfach

00:02:02: für die Beobachtung der Natur. Was war der Kern der Erfindung? Welche technischen Merkmale haben

00:02:07: denn diese Vorteile gebracht? Die Erfindung, also der Patentanspruch, mit dem die Anmelderin

00:02:11: ursprünglich ins Verfahren gegangen ist, die bezog sich auf ein Zielfernrohr. In dem Fernrohr gibt es

00:02:17: ein Umkehrsystem, das also bei der Zwei-Linsen-Anordnung dafür sorgt, dass du das Bild

00:02:21: aufrecht und nicht verkehrt siehst. Und es gibt auch eine verstellbare Vergrößerungsoptik, die

00:02:27: eine mehr als

00:02:28: vierfache Vergrößerung bietet, also praktisch ein einstellbarer Zoom. Und als weiteres Merkmal war

00:02:33: im Patentanspruch eben auch noch das Merkmal enthalten, dass eine Strahlumlenkeinrichtung,

00:02:39: also praktisch eine Anordnung von Linsen, vorhanden ist, die bei allen Vergrößerungen ein subjektives

00:02:45: Sehfeld von mindestens 22 Grad gewährleistet. Und gemessen wurde das konkret bei einer Wellenlänge

00:02:52: von 550 Nanometer. Schauen wir uns jetzt den weiteren Verfahrensverlauf an. Nachdem das

00:02:58: Patent

00:02:58: im weiteren Prüfungsverfahren erteilt wurde ist ja eine Vorlage zur Beschwerdekammer nur mehr möglich, wenn ein Einspruch eingelegt wurde. Ich nehme an, das ist auch hier erfolgt. Genau Und das war ein relativ großes Verfahren. Und aus den Eingaben

00:03:11: der Parteien lässt sich auch entnehmen, dass es wohl parallel dazu zumindest eine Streitigkeit

00:03:15: wegen der Verletzung des Patents gegeben hat. Es gab insgesamt drei Einsprechende,

00:03:19: allesamt namhafte Unternehmen aus dem Optikbereich, die das Patent beseitigen wollten.

00:03:24: Und welche Argumente haben Sie dafür vorgebracht? Was waren die Einspruchsgründe?

00:03:27: Also die haben wir uns dann auch noch einmal angeschaut. Wir haben uns dann auch noch einmal

00:03:28: alle Einspruchsgründe vorgebracht, die Ihnen so eingefallen sind. Also mangelnde Ausführbarkeit,

00:03:34: die Überschreitung der Offenbarung. Und das war der umfangreichste Punkt im Verfahren,

00:03:39: mangelnde Neuheit bzw. mangelnde erfinderische Tätigkeit aufgrund von jeder Menge Stand der Technik.

00:03:45: Jeder der drei Einsprechenden brachte ungefähr 20 eigene Veröffentlichungen aus dem Stand der Technik

00:03:49: vor. Es war also ein wirklich umfangreiches Verfahren. Und auch die Inhaberin hat dann

00:03:54: nachgelegt und hat insgesamt 13 Hilfsanträge vorgelegt

00:03:58: und auf alle Einwendungen reagiert.

00:04:00: Man sieht also, dass solche Verfahren ganz schön umfangreich werden, vor allem dann,

00:04:04: wenn eine Verletzung droht oder vielleicht schon ein Verletzungsverfahren anhängig ist.

00:04:07: Wie ist denn das Verfahren ausgegangen?

00:04:09: Was den Hauptantrag betrifft, sind Sie davon ausgegangen, dass eine Offenbarungsüberschreitung

00:04:13: vorliegt. Es war im Prinzip eine Zwischenverallgemeinerungsthematik, die dann im weiteren Verfahren nicht mehr wirklich strittig war.

00:04:21: Der erste Hilfsantrag war dann zulässig? Hat das auch die Bedenken gegenüber Neuheit

00:04:25: und erfinderischer Tätigkeit behoben?

00:04:28: Die Einspruchsabteilung ist dem gefolgt. Das heißt, die Einspruchsabteilung hat das Patent

00:04:33: im Umfang des ersten Hilfsantrags aufrechterhalten. Interessant war da die Diskussion und die

00:04:39: Auslegung. Der Ausgangspunkt, also der nächstkommende Stand der Technik, war eine offenkundige

00:04:44: Vorbenutzung, der drei Unterscheidungsmerkmale hatte, nämlich die mehr als vierfache Vergrößerung.

00:04:50: Dann bei allen Vergrößerungen muss das subjektive Sehfeld mehr als 22 Grad haben und die

00:04:58: Position einer optischen Strahlenumlenkeinrichtung, also wo die genau in dem Strahlengang sich

00:05:03: befindet. Das waren die Unterscheidungsmerkmale und darauf basierend konnte die erfinderische

00:05:08: Tätigkeit bejaht werden.

00:05:09: Ich nehme an, mit dieser Entscheidung, der erste Hilfsantrag aufrechterhalten, werden

00:05:13: die Parteien nicht hundertprozentig zufrieden gewesen sein oder war damit auch das Verletzungsverfahren

00:05:17: schon vom Tisch?

00:05:19: Sowohl der Patentinhaber wie auch zwei der drei Einsprechenden waren mit der Entscheidung

00:05:23: nicht zufrieden.

00:05:24: Welche Anspruchssfassungen waren denn dann für das Beschwerdeverfahren maßgeblich?

00:05:28: Gehen wir es in der Reihenfolge der Anträge und Hilfsanträge der Patentinhaberin durch.

00:05:32: In erster Linie wollte die Patentinhaberin natürlich das Patent in der erteilten Fassung

00:05:37: haben.

00:05:38: Da war ja bereits in erster Instanz entschieden worden, dass der Patentanspruch die ursprüngliche

00:05:42: Offenbarung überschreitet, weil eine Zwischenverallgemeinerung vorliegt.

00:05:45: Das wurde dann auch bestätigt.

00:05:48: Gab es sonst irgendeine Möglichkeit, diese Zwischenverallgemeinerung rückgängig zu machen?

00:05:51: Das war genau das, was die Inhaberin im ersten Hilfsantrag der mündlichen Verhandlung probiert

00:05:57: hat.

00:05:57: Das heißt, sie hat dieses Merkmal dann wieder aufgenommen.

00:06:01: Hier kommen wir zu einer anderen Problematik, nämlich diese Wiederaufnahme des Merkmals

00:06:06: war leider verspätet.

00:06:07: Es liegt nämlich im Ermessen der Kammer, eine solche Wiederaufnahme des Merkmals im

00:06:11: mündlichen Verfahren zuzulassen.

00:06:14: Interessant war da auch, das Problem war natürlich schon seit der Einspruchsentscheidung bekannt

00:06:18: und der Patentinhaber hätte das schon mit der Beschwerde oder spätestens mit der Beschwerdebeantwortung

00:06:23: selbst vorbringen müssen.

00:06:25: Im Ergebnis hat es also die...

00:06:27: Die Patentinhaberin der Kammer einfach gemacht, indem sie einfach einen schon einmal verzichteten

00:06:32: Antrag wieder aufgenommen hat und das war dann im mündlichen Verfahren verspätet.

00:06:36: Gab es noch andere Anträge?

00:06:38: Ja, es gab noch einen zweiten Hilfsantrag und zwar der Hilfsantrag wurde auch erst in

00:06:43: der mündlichen Verhandlung gestellt und der lautete darauf, das Patent so aufrecht zu

00:06:48: erhalten, wie die Einspruchsabteilung das Patent aufrecht erhalten wurde.

00:06:51: Und interessant war auch, dieser Antrag wurde erstmals in der mündlichen Verhandlung vorgebracht.

00:06:57: Fairerweise müsste der dann aber auch verspätet gewesen sein.

00:06:59: Ja, hier war die Kammer ein wenig gnädiger, denn nach Auffassung der Kammer muss ein Einsprechender

00:07:04: oder Beschwerdeführer immer damit rechnen, dass der Patentinhaber einen Antrag auf Zurückweisung

00:07:10: der Beschwerde des Einsprechenden stellt und das ist im Prinzip ja genau das, was damit

00:07:14: gewollt ist.

00:07:15: Er möchte, dass die Beschwerde des Einsprechenden keinen Erfolg hat und im Ergebnis soll dann

00:07:19: das überbleiben, was die Einspruchsabteilung entschieden hat, nämlich genau die Fassung,

00:07:24: die in erster Instanz aufrecht erhalten wurde.

00:07:25: Wenn

00:07:26: der Hilfsantrag zulässig war, wie hat denn dann die Kammer darauf reagiert?

00:07:30: Wie hat sie entschieden?

00:07:31: Die Kammer hat den Antrag inhaltlich geprüft und mangels erfinderischer Tätigkeit zurückgewiesen.

00:07:36: Jetzt haben wir also eine abschließende Entscheidung der Beschwerdekammer.

00:07:40: Wie kann sich die Patentinhaberin jetzt dagegen wehren?

00:07:43: Im Prinzip gibt es jetzt nur noch die Möglichkeit, einen Antrag auf Überprüfung nach Artikel

00:07:47: 112a EPÜ zu stellen und zwar an die Große Beschwerdekammer.

00:07:51: Und das hat unsere Patentinhaberin in dem Fall auch gemacht.

00:07:56: Was hat sie da

00:07:56: gerügt an der Entscheidung?

00:07:58: Es gab da mehrere Punkte.

00:07:59: Zunächst hat die Patentinhaberin gerügt, dass im Beschwerdeverfahren ein neues Dokument zugelassen wurde.

00:08:07: Was war das für ein Dokument?

00:08:09: Bei dem Dokument handelt es sich um eine schwarz-weiß-Variante eines bereits im Einspruchsverfahren eingereichten Dokuments.

00:08:16: Zusätzlich auch noch eine Vergrößerung eines Ausschnitts aus diesem Dokument.

00:08:20: Das wäre ja nur dann ein Problem, wenn man in der Farbvariante was erkennen kann,

00:08:24: oder auch in der Vergrößerung was erkennen kann, was ursprünglich nicht sichtbar war.

00:08:26: Das Problem, das du hier ansprichst, ist eines in der Sache, nämlich dann bei der Frage,

00:08:32: darf dieses Dokument überhaupt eingebracht werden?

00:08:34: Hier gab es schon davor ein anderes Problem, nämlich das Problem, dass die Patentinhaberin

00:08:41: die Zulassung des Dokuments im Verfahren hätte rügen müssen und das hat sie nicht gemacht.

00:08:46: Das heißt, in Bezug auf diesen Punkt ist der Überprüfungsantrag schon von vornherein unzulässig.

00:08:52: Das heißt, damit müssen wir uns nicht mehr beschäftigen.

00:08:55: Genau.

00:08:56:

00:08:56: Was hat sich sonst gerügt, was übrig geblieben ist?

00:08:59: Interessant war der Punkt, dass in der Beschwerdebegründung eine überraschende Auslegung des Begriffs

00:09:06: "bei allen Vergrößerungen" vorgekommen ist.

00:09:09: Was man sich so üblicherweise darunter vorstellt, ist, wenn ich sage, bei allen Vergrößerungen

00:09:12: muss ein Sichtfeld von einem bestimmten Winkelbereich da sein, dann würde man darunter ja verstehen,

00:09:18: dass es wirklich bei allen Vergrößerungen, die dieses Fernrohr bietet, ist.

00:09:21: Die Beschwerdekammer hat bei allen Vergrößerungen aber etwas anders ausgelegt

00:09:26: und anders interpretiert, nämlich bei allen Vergrößerungen, die größer als das Vierfache sind.

00:09:32: Also bei allen Vergrößerungen, wo dieses Fernrohr praktisch seine speziellen Fähigkeiten ausspielen kann.

00:09:37: Und so hat die Beschwerdekammer das ausgelegt und zwar erstmals in ihrer Endentscheidung.

00:09:43: Es kam dann auch zu einer abweichenden Argumentation bei der erfinderischen Tätigkeit,

00:09:47: die ebenfalls erstmals in der Endentscheidung enthalten ist.

00:09:51: Das klingt merkwürdig.

00:09:52: Es muss doch eine Entscheidung schon am Ende der mündlichen Verhandlung gegeben haben.

00:09:56: Hat sich da die Beschwerdekammer nicht überlegt, wie sie es begründet oder hat sie es überhaupt nicht begründet?

00:10:01: Es kann sein, dass sie es überhaupt nicht begründet hat.

00:10:04: Im Protokoll ist davon jedenfalls nicht die Rede, wie sie es begründet hat.

00:10:08: Und in der mündlichen Verhandlung bringen die Beschwerdekammern mitunter eine mündliche Begründung ihrer Entscheidung.

00:10:14: Die ist aber keinesfalls abschließend und so hinreichend, dass man da jetzt erkennen könnte,

00:10:19: dass sie das Wort "bei allen Vergrößerungen" jetzt irgendwie anders ausdrückt.

00:10:22: Was sie da rausgelegt hätten, als die Einspruchsabteilung das tut.

00:10:25: Gab es sonst noch Möglichkeiten zur Rüge oder war das alles?

00:10:29: Es gab noch einen Punkt, der aber dann im späteren Verfahren überhaupt nicht relevant wurde.

00:10:33: Nämlich es soll angeblich Widersprüche in der schriftlichen Entscheidung gegeben haben.

00:10:38: Mir wären die jetzt nicht aufgefallen.

00:10:40: Aber wie gesagt, es war für die weitere Entscheidung nicht so relevant.

00:10:43: Wir haben jetzt also diesen Überprüfungsantrag an die Große Beschwerdekammer.

00:10:46: Wie ist denn der weitere Ablauf verfahrensrechtlich?

00:10:48: Wenn so ein Überprüfungsantrag eingebracht wird, dann befindet er sich zunächst im Vorprüfungsantrag.

00:10:52: Das heißt, die Große Beschwerdekammer prüft, ist ein Antrag überhaupt gestellt?

00:10:57: Ist die Gebühr bezahlt?

00:10:58: Danach kommt es zu einer Prüfung der Zulässigkeit und einer gewissen inhaltlichen Vorprüfung.

00:11:04: Also ist der Antrag überhaupt zulässig oder ist der Antrag offenkundig unbegründet?

00:11:09: Und das macht die Kammer in einer Besetzung mit drei Mitgliedern.

00:11:13: Der Regelfall ist, dass die Anträge auf Überprüfung offenkundig unbegründet sind.

00:11:17: Aber diesen Fall haben wir ausgewählt, weil es da anders war.

00:11:20: Genau.

00:11:21: Die drei Mitglieder

00:11:22: der großen Beschwerdekammer, die die Vorprüfung durchzuführen hatten,

00:11:25: sahen also keinen dieser Zurückweisungsgründe gegeben.

00:11:28: Der Antrag war gestellt, er war zulässig und es war auch nicht von der Hand zu weisen,

00:11:32: dass hier tatsächlich eine Verletzung des rechtlichen Gehörs stattgefunden hatte.

00:11:35: Deshalb wurde der Fall dann an die Große Beschwerdekammer in einer Besetzung mit fünf Mitgliedern verwiesen,

00:11:41: und zwar zur Entscheidung in der Sache.

00:11:43: Wir haben ja vorher schon besprochen, was die Anmelderin alles gerügt hat.

00:11:47: Inwieweit ist sie denn mit ihren Rügen durchgedrungen?

00:11:50: Wenn wir uns die erste Rüge oder die erste Bemängelung hier konkret anschauen,

00:11:55: nämlich die Zulassung des Dokuments, einer neuen Veröffentlichung im Verfahren,

00:11:59: dann ist festzuhalten, dass das im Verfahren unmittelbar nicht gerügt wurde.

00:12:04: Und die Kammer ist auf diesen Mangel damit überhaupt nicht mehr eingegangen,

00:12:08: hat den als unzulässig zurückgewiesen, weil eben eine solche Rügeverpflichtung besteht.

00:12:13: Das bedeutet, die Große Beschwerdekammer schaut sich ausschließlich an,

00:12:16: ob das Verfahren korrekt abgewickelt wurde.

00:12:18: Und wenn was bereits im Beschwerdeverfahren nicht bemängelt worden ist,

00:12:23: dann kann ich das nicht neu aufwerfen.

00:12:25: Ja, es gab nämlich sogar interessanterweise eine ganz allgemeine Rüge im Beschwerdeverfahren.

00:12:31: Aber die betraf nicht konkret die Zulassung der Dokumente,

00:12:35: sondern es war nur eine ganz allgemeine Rüge,

00:12:37: dass da in irgendeiner Weise das rechtliche Gehör der Patentinhaberin nicht gewahrt wurde.

00:12:43: Und die Große Beschwerdekammer sagt dazu, es reicht nicht aus,

00:12:46: nur das Verfahren als solches zu rügen.

00:12:48: Die Partei muss der Kammer schon ganz genau sagen,

00:12:51: was die Kammer jetzt ihrer Ansicht nach konkret falsch macht.

00:12:54: Und der Hintergrund ist auch der, dass mit der Rüge auch der Kammer die Möglichkeit gegeben wird,

00:12:59: diesen Punkt, diesen Rügepunkt einfach auszuräumen

00:13:02: und eine Überprüfung praktisch unnötig zu machen.

00:13:05: Das heißt, die Kammer wusste ganz einfach nicht, was das Problem ist

00:13:07: und konnte dementsprechend auch nicht darauf reagieren.

00:13:09: Genau. Und es wäre für die Kammer auch nicht wirklich möglich gewesen,

00:13:13: jetzt draufzukommen aufgrund dieser Rüge,

00:13:15: dass es die Zulassung von dem Dokument ist, der ein Problem darstellt.

00:13:18: Gut, das bedeutet, mit ihrer ersten Rüge oder ersten Bemängelung

00:13:21: ist die Anmelderin nicht durchgedrungen.

00:13:23: Wie sieht es mit der zweiten Rüge aus in Bezug auf die Anspruchsauslegung?

00:13:28: Das Überprüfungsverfahren ist ja kein Verfahren,

00:13:30: mit dem du die Anspruchsauslegung der Beschwerdekammer überprüfen lassen kannst.

00:13:35: Was man allerdings schon im Rahmen des Überprüfungsverfahrens anführen und bemängeln kann,

00:13:39: ist, dass die Auslegung "bei allen Vergrößerungen",

00:13:42: so wie sie die Beschwerdekammer hier vorgenommen hat,

00:13:44: erst in der Endentscheidung wirklich für die Patentinhaberin,

00:13:48: offenbar wurde, sodass die eigentlich während des gesamten Verfahrens gar nicht wusste,

00:13:53: was sich die Beschwerdekammer konkret unter dem Merkmal "bei allen Vergrößerungen" vorgestellt hat.

00:13:58: Das heißt, sie konnte das im Verfahren weder bemängeln, rügen,

00:14:02: noch sonst irgendwie dazu Stellung nehmen.

00:14:03: Genau, darum besteht hier auch keine Rügepflicht.

00:14:05: Es ist einfach schlicht nicht möglich zu reagieren,

00:14:08: weil die Entscheidung ja in der Verhandlung nicht bekannt ist.

00:14:11: Und nachdem die Entscheidung ergangen ist, ist die ja sofort rechtskräftig.

00:14:14: Das heißt, es gibt schlicht keine Möglichkeit für den Patentinhaber, da einzugreifen.

00:14:18: Und deshalb gibt es auch keine Rügepflicht.

00:14:20: Wie ist jetzt die Große Beschwerdekammer inhaltlich damit umgegangen?

00:14:23: Die Große Beschwerdekammer hat sich zunächst einmal ein Bild davon gemacht,

00:14:27: dass dieser Begriff "bei allen Vergrößerungen" unterschiedlich ausgelegt werden kann.

00:14:31: Die Große Beschwerdekammer schaut sich einfach nur an,

00:14:34: gibt es unterschiedliche Auslegungen, ja oder nein.

00:14:36: Nur zur Erinnerung, es ging ja um ein Fernrohr mit einer einstellbaren Vergrößerung.

00:14:41: Und die Vergrößerung konnte jedenfalls auch größer als vier sein.

00:14:45: Die Einspruchsabteilung war der Auffassung, bei allen Vergrößerungen,

00:14:48: heißt, alle Vergrößerungen, die das Fernrohr insgesamt bietet,

00:14:52: seien sie jetzt größer oder kleiner als vier.

00:14:54: Also alle diese müssen ein subjektives Sehfeld von mindestens 22 Grad bilden.

00:14:59: Die Beschwerdekammer hat aber jetzt eine etwas andere Auslegung vorgenommen.

00:15:03: Die hat nämlich gemeint, alle Vergrößerungen bedeutet im konkreten Kontext der Erfindung,

00:15:08: alle Vergrößerungen des Fernrohrs, die größer als vier sind,

00:15:11: müssen ein subjektives Sehfeld von mindestens 22 Grad bilden.

00:15:16: Das heißt, das ist eine Auslegung,

00:15:17: die den Patentanspruch etwas weiter auslegt,

00:15:21: weil die Beschränkung des Patentanspruchs nur für die Vergrößerungen gilt,

00:15:24: die eben größer als vier sind.

00:15:26: Das heißt, wir haben hier zwei unterschiedliche Sichtweisen.

00:15:28: Nach der einen Sichtweise, nämlich der der Einspruchsabteilung,

00:15:31: ist die Erfindung neu und erfinderisch.

00:15:33: Nach der anderen Sichtweise der Beschwerdekammer ist die Erfindung eben nicht mehr erfinderisch.

00:15:37: Aber es gibt ja in jedem dieser Verfahren typischerweise zwei Auffassungen.

00:15:41: Meistens die des Anmelders, der sein Patent verteidigen will,

00:15:44: der es entsprechend eng auslegt, so dass der Stand der Technik ist,

00:15:47: der eigentlich eben gerade nicht neuheitsschädlich beziehungsweise patenthindernd ist

00:15:51: und die Auslegung des Einsprechenden, der eben das Patent vernichten möchte

00:15:55: und entsprechend breit auslegt.

00:15:56: Was ist das Problem?

00:15:57: Du hast völlig recht.

00:15:58: Den Streit gibt es praktisch immer.

00:15:59: Und es ist auch völlig in Ordnung, dass sich die Kammer ein Bild zu der Sache macht

00:16:04: und der einen oder anderen Auffassung folgt oder ihre völlig eigene Auslegung heranzieht.

00:16:09: Das einzige Problem in der Situation ist,

00:16:11: wenn die Entscheidung auf eine Sichtweise der Kammer gestützt ist,

00:16:14: dann muss der Patentinhaber irgendwie im Verfahren,

00:16:17: erkennen können, was das bedeutet und was diese Auslegung konkret ist.

00:16:21: Sonst tappt er bei seiner Argumentation völlig im Dunkeln

00:16:24: und muss sich eine Vorstellung davon machen.

00:16:25: Wie sieht die Kammer denn dieses Merkmal jetzt?

00:16:28: Das heißt, es war eigentlich gar nicht notwendig, sich inhaltlich damit auseinanderzusetzen,

00:16:32: sondern es ging schlicht und ergreifend um die Frage,

00:16:34: dass dazu der Patentinhaber einfach keine Stellung nehmen konnte.

00:16:37: Das bedeutet, zumindest mit dieser Rüge in Bezug auf diese neu vorgebrachten Argumente

00:16:44: der Beschwerdekammer müsste die Inhaberin durchgedrungen sein.

00:16:47: Genau, das stellt eine Verletzung des rechtlichen Gehörs dar,

00:16:49: weil unsere Patentinhaberin die relevanten Punkte der Entscheidung,

00:16:53: nämlich die Auslegung dieses Merkmals, nicht kennen konnte,

00:16:57: haben wir einen Verfahrensfehler, nämlich eine Gehörsverletzung

00:17:00: und die Entscheidung wurde daher aufgehoben.

00:17:03: Jetzt stellt sich natürlich schon die Frage,

00:17:05: hat denn das irgendetwas in der Sache gebracht?

00:17:08: Wie ist das Verfahren weitergegangen?

00:17:09: Wir hatten die Entscheidung der Großen Beschwerdekammer in der Überprüfungssache Ende 2017.

00:17:15: Im Prinzip muss dann

00:17:16: das Verfahren vor der Beschwerdekammer weitergeführt werden.

00:17:19: Nach der Aufhebung gibt es ja keine Entscheidung mehr.

00:17:22: Das heißt, das Verfahren ist wieder offen

00:17:24: und die Beschwerdekammer muss jetzt neuerlich eine Entscheidung herbeiführen.

00:17:28: Aber die Parteien haben sich dann doch geeinigt,

00:17:30: ihren Streit beigelegt und Ende 2018

00:17:34: wurden dann die einzelnen Beschwerden und Einsprüche zurückgezogen.

00:17:37: Was bedeutet das jetzt für das zugrundelegende Patent?

00:17:40: Dadurch, dass die Beschwerde zurückgezogen wird,

00:17:42: bleibt letztlich die Erstentscheidung über.

00:17:45: Das heißt, das Patent,

00:17:46: bleibt in dem Umfang aufrecht,

00:17:49: in dem es die Einspruchsabteilung aufrechterhalten hat.

00:17:52: Das heißt, das ganze aufwendige Verfahren war umsonst?

00:17:56: Nein.

00:17:57: Also in dem Fall hat es natürlich für unsere Patentinhaberin

00:18:00: wirklich den Unterschied gemacht zwischen Patent behalten und Patent verlieren.

00:18:04: Jetzt selbst, wenn die Entscheidung aufgehoben wird, wie in unserem Fall,

00:18:07: wie wahrscheinlich ist es dann, dass die Beschwerdekammer dann

00:18:10: von ihrer bereits gefassten Meinung abweicht?

00:18:13: Also selbst, wenn ich dann noch einmal die Möglichkeit habe,

00:18:15: gegen diese Auffassung zu argumentieren.

00:18:17: Ich meine, wir kennen das ja selbst aus der Praxis.

00:18:20: Wenn einmal eine vorgefasste Meinung in einer Kammer herrscht,

00:18:23: dann ist es schwer, sie davon abzubringen, egal mit welchen Argumenten.

00:18:26: Wie siehst du das?

00:18:27: Ja, ich habe mir zwei der neun Fälle angesehen.

00:18:30: Die sind alle relativ komplex.

00:18:32: Eine Änderung der Entscheidung, so wie in dem Fall,

00:18:35: habe ich nicht beobachten können.

00:18:37: Und auch in dem Fall ist die Entscheidung ja nicht deswegen geändert worden,

00:18:39: weil die Kammer es sich anders überlegt hätte,

00:18:41: sondern weil sich die Parteien verglichen haben.

00:18:43: Kann man da nicht sagen, die Kammer ist eigentlich in der Sache dann schon, ich möchte nicht sagen befangen, aber vorhengenommen?

00:18:48: Das sehen die Parteien des Verfahrens, gerade die Überprüfungswerber, auch so.

00:18:54: Es ist allerdings so, dass die Beschwerdekammern

00:18:57: und auch ehrlicherweise das Gesetz das anders sehen,

00:18:59: denn es ist möglich, nach einer solchen Überprüfung

00:19:02: einzelne Mitglieder der Beschwerdekammern zu ersetzen.

00:19:06: Das allerdings nur, wenn ein bestimmter Grund besteht.

00:19:09: Die Gründe, die hierfür herangezogen werden,

00:19:11: sind eigentlich die,

00:19:12: die auch bei einer

00:19:13: Befangenheit eines Mitglieds gelten.

00:19:15: Und das ist relativ schwierig.

00:19:17: Es gibt auch einige Entscheidungen der Großen Beschwerdekammer in Vorlagefragen,

00:19:21: wo tatsächlich über Befangenheiten entschieden wurde.

00:19:24: Der Normalfall ist es allerdings nicht.

00:19:26: Das heißt, man kann davon ausgehen, dass die Beschwerdekammer-Mitglieder

00:19:29: die nötige Größe haben, auch eine revidierte Entscheidung entsprechend zu rezipieren

00:19:33: und dann gegebenenfalls von ihrer Meinung abzuweichen.

00:19:36: Das ist zu hoffen.

00:19:37: Es muss, ehrlicherweise sagen, es fordert sicherlich einiges an menschlicher Größe.

00:19:42: In einer Position als Beschwerdekammer, wo man eigentlich immer Recht hat,

00:19:47: jetzt mal anzuerkennen, nicht nur meine Entscheidung wurde aufgehoben

00:19:51: und von der Großen Beschwerdekammer wegen eines Verfahrensfehlers vernichtet,

00:19:55: sondern dann den Fall auch noch nachträglich unbefangen zu beurteilen.

00:19:59: In dem Fall war das aber gar nicht notwendig,

00:20:02: sondern da lag der Erfolg darin genau, dass die Beschwerdekammer eben nicht mehr darüber entscheiden konnte.

00:20:08: Was kann man von der Entscheidung jetzt für die Praxis mitnehmen?

00:20:11: Der erste Punkt ist, man kann Entscheidungen von Beschwerdekammern grundsätzlich überprüfen lassen.

00:20:16: Die Große Beschwerdekammer ist dabei allerdings keine dritte Instanz,

00:20:19: die ihre eigene Rechtsmeinung an die Stelle der Beschwerdekammer setzt,

00:20:23: sondern die prüft eben nur Verfahrensfehler.

00:20:26: Zweiter Punkt, den unser Überprüfungswerber auch hier zu spüren bekommen hat.

00:20:31: Wenn man einen Verfahrensfehler vor der Beschwerdekammer nicht rügt,

00:20:34: dann kann man ihn auch im Überprüfungsverfahren nicht mehr geltend machen.

00:20:38: Insgesamt muss man sagen, die Erfolgschancen eines Überprüfungsverfahrens, sind relativ gering.

00:20:44: Von den bislang, also Stand 2025, durchgeführten 250 Überprüfungsverfahren,

00:20:50: haben nur neun zur Aufhebung geführt.

00:20:52: Und selbst wenn man mit einer Überprüfung durchdringt und eine Beschwerdekammerentscheidung beseitigt,

00:20:57: ist eine Änderung der eigentlichen Sachentscheidung relativ unwahrscheinlich.

00:21:02: Das war eine Folge zur Überprüfung von Einzelentscheidungen der Beschwerdekammern vor der Großen Beschwerdekammer,

00:21:08: konkret der Fall R 3/15.

00:21:12: Vielen Dank Michael und vielen Dank für Ihr Interesse.

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