G 3/14 - "Klarheitseinwände im Einspruchsverfahren" - Vorlagefragen

Shownotes

In dieser Folge sprechen Lukas Fleischer und Michael Stadler über die Entscheidung G 3/14 der Großen Beschwerdekammer des Europäischen Patentamts aus dem Jahr 2015. Diese Entscheidung beschäftigen sich mit der Frage in welchem Umfang Klarheitseinwände im Einspruchs- und im Einspruchsbeschwerdeverfahren zu prüfen sind.

Erfindung

Die dem Vorlagefall zugrunde liegende Erfindung betrifft eine medizinische Prothese, bzw eine Protheseauskleidung, die auch als Liner bezeichnet wird. Der Liner (38) zeichnet sich einerseits durch eine verbesserte Schirmbefestigung (17, 8 ,9, 10) und andererseits durch einen schützenden und gleitfähigen Überzug aus, wobei diese Überzugsschicht (47) Parylen umfasst.

Vorlagefall

Im Einspruchsverfahren wurden Einwände der mangelnden erfinderischen Tätigkeit und der mangelnden Ausführbarkeit diskutiert, wobei die mangelnde Ausführbarkeit im Wesentlichen auf im unabhängigen Anspruch vorhandene Klarheitsmängel abzielte. Erst im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung legte die Patentinhaberin - nachdem der Hauptantrag wegen mangelnder erfinderischer Tätigkeit zurückgewiesen wurde - einen Hilfsantrag vor, in welchem die Merkmale des abhängigen Anspruchs 3 aufgenommen wurden, welcher wie folgt lautete

"wobei die Prothesenauskleidung (38) im Wesentlichen über ihrer gesamten Oberfläche beschichtet ist."

Die Einspruchsabteilung ließ den Hilfsantrag nicht zum Verfahren zu, da er ihrer Meinung nach verspätet und prima facie nicht gewährbar war. Es wurde auch festgehalten, dass Hilfsantrag 1 mehrere Klarheitsprobleme aufwies, insbesondere hinsichtlich "im Wesentlichen über ihre gesamte Oberfläche".

Im Beschwerdeverfahren wurde die Klarheitsproblematik erst in der mündlichen Verhandlung diskutiert und aufgegriffen. Die Vorlagefragen wurden formuliert, da es zwei unterschiedliche Rechtsprechungslinien gab:

Die "herkömmliche" Rechtsprechungslinie ausgehend von der Entscheidung T 301/87, in der die Klarheitsprüfung für eine reine Zusammenziehung von erteilten Ansprüchen verneint wurde und eine abweichende Rechtsprechungslinie ausgehend von T 459/09, in der im Einzelfall die Klarheitsprüfung als Ermessensfrage zugelassen wurde, auch wenn es sich nur um eine reine Anspruchskombination handelte.

Vorlagefragen

Der Großen Beschwerdekammer wurden folgende Fragen zur Entscheidung vorgelegt:

  1. Ist der Begriff "Änderungen" in der Entscheidung G 9/91 der Großen Beschwerdekammer (s. Nr. 3.2.1 der Entscheidungsgründe) so zu verstehen, dass er die wörtliche Übernahme von a) Elementen aus abhängigen Ansprüchen in der erteilten Fassung und/oder b) vollständigen abhängigen Ansprüchen in der erteilten Fassung in einen unabhängigen Anspruch umfasst, sodass die Einspruchsabteilungen und die Beschwerdekammern nach Artikel 101 (3) EPÜ verpflichtet sind, so im Verfahren geänderte unabhängige Ansprüche immer auf Klarheit zu prüfen?

  2. Falls die Große Beschwerdekammer die Frage 1 bejaht, ist dann eine Prüfung des unabhängigen Anspruchs auf Klarheit in solchen Fällen auf die übernommenen Merkmale beschränkt oder kann sie sich auch auf Merkmale erstrecken, die bereits im unveränderten unabhängigen Anspruch enthalten waren?

  3. Falls die Große Beschwerdekammer die Frage 1 verneint, ist dann eine Prüfung so geänderter unabhängiger Ansprüche auf Klarheit immer ausgeschlossen?

  4. Falls die Große Beschwerdekammer zu dem Schluss kommt, dass eine Prüfung so geänderter unabhängiger Ansprüche auf Klarheit weder immer erforderlich noch immer ausgeschlossen ist, welche Kriterien sind dann bei der Entscheidung anzuwenden, ob eine Prüfung auf Klarheit in einem bestimmten Fall infrage kommt?

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00:00:04: Willkommen zum IP-Courses-Podcast, dem Podcast für gewerblichen Rechtsschutz.

00:00:11: Mein Name ist Gerd Hübscher und heute spreche ich mit Lukas Fleischer über die Entscheidung

00:00:15: der Großen Beschwerdekammer G 3/14 aus dem Jahr 2015. Die Entscheidung beschäftigt

00:00:21: sich mit dem Umfang der Prüfung von Klarheitsmängeln im Einspruchs- und im Einspruchsbeschwerdeverfahren.

00:00:27: In dieser Folge werfen wir einen Blick auf die Vorgeschichte, die zu der Entscheidung geführt hat.

00:00:32: Hallo Lukas.

00:00:33: Hallo Gerd.

00:00:34: Lukas, wie immer schauen wir uns im Vorfeld an, welche technische Erfindung eigentlich zu der Entscheidung geführt hat.

00:00:40: Was ist es denn in diesem Fall?

00:00:41: In diesem Fall geht

00:00:43: es um eine medizinische Prothese, eigentlich vielmehr um eine Protheseauskleidung,

00:00:48: die auch Liner genannt wird, die im Inneren so einer Prothese ist.

00:00:53: Und so eine Protheseauskleidung, die wird einerseits über den Amputationsstumpf geschoben und stellt damit den Kontakt mit der Haut her und andererseits wird sie eben in so einen Protheseschaft einer Prothese eingeführt und dort mechanisch mit der Prothese verbunden, sodass das also das Verbindungsstück zwischen dem Amputationsstumpf und der Prothese ist.

00:01:13: Und in der Erfindung, in der es bei dieser Anmeldung geht, werden als Vorteile oder als erstrebenswerte Effekte insbesondere erwähnt, dass diese Prothese oder diese Prothese-Liner einfacher an und ausgezogen werden soll, also beispielsweise auch einhändig und dass ein sogenannter Pumpeffekt verringert werden soll. Und

00:01:32: so ein Pumpeffekt tritt eben dann auf, wenn der Liner beim Be- und Entlasten verformt wird und ist eben nicht erwünscht.

00:01:40: Jetzt stammt diese Anmeldung ja aus einer US-Erstanmeldung, zu der dann eine internationale Anmeldung hinterlegt wurde und in weiterer Folge dann die regionale Phase vor dem EPA eingeleitet worden ist.

00:01:53: Aufgrund dieser Vorgeschichte, welche interessanten Aspekte haben sich denn im Erteilungsverfahren ergeben?

00:01:58: Grundsätzlich hat es einen Einwand gegeben wegen mangelnder erfinderischer Tätigkeit, der konnte aber ausgeräumt werden.

00:02:04: Viel interessanter ist die Anspruchsformulierung, denn es hat schon beim Einleiten der europäischen Phase einen Klarheitseinwand gegeben. Dort war der Anspruch gerichtet auf: "in einer medizinischen Prothese wird die nachfolgend charakterisierte Verbesserung beansprucht", also eine Formulierung, die im europäischen Patentrecht nicht klar ist.

00:02:26: Dieses Problem konnte ausgeräumt werden, hat aber vielleicht darüber hinweg getäuscht, dass noch andere Probleme in dem Anspruch enthalten waren.

00:02:36: Und auch eine von der Prüfungsabteilung vorgenommene Änderung im Druckexemplar konnte über diese Klarheitsprobleme nicht hinweg retten.

00:02:46: Wie hat denn der Anspruch letzten Endes gelautet?

00:02:48: Ja, der Anspruch war gerichtet auf eine medizinische Prothese, die eine Prothesenauskleidung, also diesen Liner, umfasst und eine Schirmbefestigung.

00:02:58: Und auf dieser Prothesenauskleidung oder diesem Liner ist eine Schicht aus einem schützenden und gleitfähigen Überzug aufgebracht und zusätzlich ist eine verbesserte Schirmbefestigung vorgesehen.

00:03:09: Problematisch ist hier insbesondere, dass wie es in US-Anmeldungen oft der Fall ist,

00:03:14: einfach wild Begriffe miteinander vermischt werden oder zumindest ein Begriff nicht konsistent verwendet wird.

00:03:20: Also so wird sowohl der Begriff Prothesenauskleidung als auch Auskleidung verwendet

00:03:25: und in einem neu hinzugefügten Merkmal wird sogar auf die Prothese abgestellt

00:03:30: und wird definiert, dass die Prothese ferner zumindest eine Überzugsschicht

00:03:34: enthält.

00:03:35: Das heißt, du bist der Meinung, dass die Ausräumung der Klarheitsmängel, die im Erteilungsverfahren festgestellt worden sind, offensichtlich nicht ausreichend war?

00:03:44: Ja, das würde ich tatsächlich so sehen. Ein grundsätzliches Problem besteht nämlich darin, dass Probleme, die später relevant geworden sind und die ich für wesentlich relevanter halte, von der Prüfungsabteilung gar nicht getackelt wurden.

00:03:59: Der wesentliche Punkt ist für mich der, dass sozusagen nicht klargestellt worden ist, ob diese Schicht, die einen schützenden und gleitfähigen Überzug ausbildet, auch jene Schicht ist, die dann später so definiert wird, dass sie ein zusätzliches chemisches Element oder eine chemische Verbindung, nämlich Parylen, umfasst.

00:04:18: Und das ist ein für die erfinderische Tätigkeit sehr relevantes Merkmal später.

00:04:22: Also hier habe ich schon ein Problem, dass nicht klar ist, wo diese Überzugsschicht dazu gehört.

00:04:28: Jetzt warst offensichtlich du nicht der Einzige, der unglücklich war mit dieser Anspruchsfassung.

00:04:33: Es gab ja ein Einspruchsverfahren.

00:04:35: Im Einspruchsverfahren konnte Klarheit aber nicht wirklich als Einspruchsgrund geltend gemacht werden.

00:04:40: Welche Gründe hat denn die Einsprechende dann stattdessen herangezogen?

00:04:44: Ja, nachdem mangelnde Klarheit kein Einspruchsgrund ist,

00:04:47: hat die Einsprechende dann mangelnde Ausführbarkeit geltend gemacht

00:04:52: und zusätzlich eben auch mangelnde erfinderische Tätigkeit,

00:04:56: aber hat dazu nur Dokumente herangezogen, die schon aus dem Erteilungsverfahren bekannt gewesen sind.

00:05:02: Für die Ausführbarkeit hat sie eben angeführt, dass es nicht ausführbar sei,

00:05:06: weil man nicht weiß, wo diese Parylen-Schicht tatsächlich ist,

00:05:09: ob die einfach nur irgendwo in der Prothese angeordnet ist oder eben auf dem Liner.

00:05:14: Sie hat auch argumentiert, dass man nicht weiß, was denn jetzt eine verbesserte schirmartige Befestigung

00:05:19: oder Schirmbefestigung ist und hat das natürlich im Wesentlichen als Umgehungslösung

00:05:25: für die mangelnde Klarheit verwendet.

00:05:27: Im Hinblick auf die erfinderischer Tätigkeit hat sie dann eben argumentiert,

00:05:31: dass aus der D1 schon alle Merkmale bekannt sind, außer dieser Parylen-Schicht

00:05:36: Und dieses Parylen würde man schon aus der D2 kennen

00:05:39: und das wird der Fachmann auch ohne Weiteres anwenden

00:05:41: und damit sei das nicht erfinderisch.

00:05:45: Jetzt kennen wir aus der Praxis, dass ohne

00:05:47: neuen Stand der Technik

00:05:48: solche Einspruchsverfahren ja doch eher zum Scheitern verurteilt sind.

00:05:52: War das hier, nehme ich an, auch der Fall?

00:05:54: Nein,

00:05:55: hier hat die Einspruchsabteilung vielleicht ein bisschen überraschend reagiert,

00:05:59: denn sie hat durchaus eingesehen, dass der Hauptantrag nicht gewährbar ist,

00:06:05: und zwar aufgrund von mangelnder erfinderischer Tätigkeit,

00:06:07: und zwar gegenüber diesen beiden schon aus dem Recherchenbericht bekannten Dokumenten.

00:06:11: Somit wurde dem Hauptantrag im Endeffekt nicht stattgegeben,

00:06:14: und zwar eben wegen mangelnder erfinderischer Tätigkeit.

00:06:17: Hat sich die Einspruchsabteilung auch mit der Klarheit beschäftigt?

00:06:20: Im Konkreten eigentlich nicht.

00:06:23: Aber trotzdem wurde in der ersten Instanz schon der Grundstein für die spätere Diskussion gelegt.

00:06:28: Denn das Klarheitsproblem, das dann später relevant geworden ist, wurde im Rahmen des Hilfsantrags 1 ins Verfahren eingeführt.

00:06:36: Und dieser Hilfsantrag 1 wurde erst während der mündlichen Verhandlung vorgelegt.

00:06:40: Das problematische Merkmal kommt jetzt aus dem abhängigen Anspruch 3, der definiert hat,

00:06:47: dass dieser Liner im Wesentlichen über seine gesamte Oberfläche beschichtet ist.

00:06:51: Und wir sehen schon, das problematische Merkmal ist hier "im Wesentlichen über die gesamte Oberfläche",

00:06:57: aber dieses Merkmal war eben schon im erteilten abhängigen Anspruch 3 enthalten.

00:07:03: Im Endeffekt wurde diese Problematik dann von der Einspruchsabteilung gar nicht diskutiert,

00:07:07: denn sie hat den Hilfsantrag nicht zugelassen, weil er verspätet war und aus Sicht der Einspruchsabteilung prima facie nicht gewährbar war,

00:07:15: und zwar nicht wegen der mangelnden Klarheit, sondern weil er es nicht geschafft hat, die erfinderische Tätigkeit zu begründen.

00:07:21: Trotzdem hat die Einspruchsabteilung sozusagen als obiter dictum festgehalten,

00:07:26: dass dieser Hilfsantrag eine Reihe von Klarheitsmängeln aufweist und zählt dabei auch die Klarheitsmängel auf,

00:07:32: die schon der Hauptantrag, also der unabhängige Anspruch gehabt hat, den wir schon diskutiert haben.

00:07:37: Jetzt kann ich mir vorstellen, dass die Patentinhaberin mit diesem vollständigen Widerruf alles anderes einverstanden war.

00:07:44: Genau, die Patentinhaberin hat gegen diese Entscheidung der Einspruchsabteilung Beschwerde eingelegt.

00:07:50: Im Hauptantrag hat sie versucht, den erteilten Anspruch ohne Änderungen zu verteidigen

00:07:55: und hat aber auch neun neue Hilfsanträge vorgelegt,

00:07:58: wobei eben der erste Hilfsantrag im Beschwerdeverfahren gleichlautend war zum ersten Hilfsantrag,

00:08:04: der im Rahmen der mündlichen Verhandlung eingereicht wurde.

00:08:07: Im Wesentlichen werden dann im Beschwerdeverfahren die Argumente wiederholt aus dem Vorverfahren.

00:08:14: Zu den Hilfsanträgen trägt dann die Einsprechende vor, dass diese ja alle verspätet seien,

00:08:18: weil ja schon die Einspruchsabteilung im erstinstanzlichen Verfahren richtigerweise festgestellt hat,

00:08:24: dass der Hilfsantrag 1 schon verspätet war.

00:08:26: Zusätzlich trägt er aber auch noch vor, dass der Hilfsantrag 1 auch aus einem anderen Grund nicht zulässig sein soll,

00:08:32: nämlich weil er unklar ist und dieses Merkmal "im Wesentlichen über die gesamte Oberfläche" aufweist.

00:08:39: Jetzt hat die Patentinhaberin im Wesentlichen die Vorbringen vom Einspruchsverfahren wiederholt,

00:08:44: zwar mit neuen Hilfsanträgen, aber im Wesentlichen die gleichen Argumente vorgebracht.

00:08:49: Wie ist die Beschwerdekammer denn damit umgegangen?

00:08:52: In ihrer ersten Möglichkeit, sich zu äußern, also in der vorläufigen Meinung,

00:08:57: hat sie sich eigentlich in der Sache gar nicht geäußert,

00:09:00: sondern hat nur zusammengefasst, was eigentlich die wichtigsten Punkte sind

00:09:04: und was es in der mündlichen Verhandlung zu diskutieren geben wird.

00:09:09: Zum Hilfsantrag 1, also dem Hilfsantrag,

00:09:12: der schon im Einspruchsverfahren nicht zugelassen wurde, wird nur festgehalten,

00:09:18: dass es eben eine Ermessensentscheidung der Einspruchsabteilung war

00:09:22: und dass in der zweiten Instanz jetzt nur geprüft werden kann,

00:09:25: ob die falschen Kriterien angewendet worden sind oder ob die richtigen Kriterien nicht angewendet worden sind

00:09:31: oder ob das Ermessen grundsätzlich nicht angemessen beurteilt worden ist.

00:09:35: Von vornherein hat sich also die BEschwerdekammer nicht bemüßigt gefühlt, eine Vorlageentscheidung zu machen?

00:09:39: Nein, überhaupt nicht. Also dieses Thema ist auch im schriftlichen Verfahren nicht wirklich diskutiert worden. Man findet nur in einem ganz späten Schriftsatz dann einen Hinweis darauf, dass die Klarheit vielleicht auch diskutiert werden sollte, weil eben die Einsprechende zu einem neu eingereichten Hilfsantrag 10, also nach der Ladung eingereichten Hilfsantrag 10, dann ausführt, dass im Einspruchsverfahren grundsätzlich doch eigentlich alle geänderten Patentansprüche immer auch auf Klarheit zu prüfen sein sollen.

00:10:08: Das allein hat aber offensichtlich noch nicht

00:10:09: gereicht.

00:10:10: Was ist denn dann in der mündlichen Verhandlung passiert, das dann wirklich zu der Vorlageentscheidung geführt hat?

00:10:16: In der mündlichen Verhandlung wurde dann zuerst der Hauptantrag diskutiert

00:10:21: und die Beschwerdekammer hat befunden, dass dieser nicht erfinderisch sei.

00:10:24: Da danach dann der Hilfsantrag 1 relevant wurde, wurde über diesen diskutiert

00:10:30: und hier hat der Einsprechende eben vorgebracht oder sein Vorbringen erneuert

00:10:35: und gesagt, dass dieser unklar sei und dass das der Aufrechterhaltung im beschränkten Umfang entgegenstehen würde.

00:10:44: Was dann die Beschwerdekammer wohl tatsächlich zur Vorlage bewegt hat,

00:10:48: war, dass die Einsprechende eine Rechtsprechungslinie zitiert hat, die sich gerade relativ neu entwickelt hatte.

00:10:55: Und diese Rechtsprechungslinie befürwortete jetzt eine wesentlich breitere Prüfungsbefugnis der Einspruchsabteilungen und der Beschwerdekammern,

00:11:04: was die Klarheit angeht.

00:11:06: Welchen

00:11:06: Auslegungsspielraum bietet denn da der Artikel 101,

00:11:09: damit sich an der Stelle zwei Rechtsprechungslinien entwickeln konnten?

00:11:14: Ja, wie du richtig sagst, ist Artikel 101 EPÜ

00:11:17: die maßgebliche Rechtsgrundlage für die Prüfung im Einspruchsverfahren.

00:11:22: In Absatz 2 wird der Fall definiert,

00:11:26: in dem das Patent widerrufen wird,

00:11:29: und zwar in der erteilten Fassung.

00:11:30: Und es wird definiert, dass zumindest ein Einspruchsgrund

00:11:34: also einer der Einspruchsgründe nach Artikel 100 EPÜ vorliegen müssen.

00:11:39: Und wenn das nicht der Fall ist, also wenn kein Einspruchsgrund vorliegt,

00:11:43: dann ist der Einspruch zurückzuweisen.

00:11:46: Von dieser Formulierung unterscheidet sich aber Absatz 3 maßgeblich.

00:11:50: Denn Absatz 3 regelt jetzt, wie damit umzugehen ist,

00:11:54: wenn im Einspruchsverfahren Änderungen vorgenommen werden.

00:11:58: Und zwar hat die Einspruchsabteilung zu prüfen,

00:11:59: ob unter der Berücksichtigung der vorgenommenen Änderungen

00:12:03: das europäische Patent und die Erfindung, die es zum Gegenstand hat,

00:12:06: entweder den Erfordernissen dieses Übereinkommens genügen

00:12:09: und dann die Aufrechterhaltung im beschränkten Umfang zu beschließen ist

00:12:13: oder den Erfordernissen dieses Übereinkommens eben nicht genügen

00:12:17: und das Patent zu widerrufen ist.

00:12:19: Der große Unterschied ist nun der, dass der Absatz 2 auf die Einspruchsgründe abzielt

00:12:25: und der Absatz 3 jetzt sagt, dass die Änderungen

00:12:30: den Erfordernissen dieses Übereinkommens genügen müssen.

00:12:33: Und diese Erfordernisse sind ja eigentlich alle relevanten Artikel des EPÜ.

00:12:37: Also hier wird für die Änderungen ein wesentlich höherer Maßstab angesetzt,

00:12:42: oder zumindest hat es den Anschein, als würde diesen Änderungen ein höherer Maßstab angelegt werden

00:12:49: als der ursprünglichen Prüfung.

00:12:52: Und so könnte es eben sein, dass für die geänderten Unterlagen tatsächlich die Klarheit auch relevant ist

00:12:59: und zu prüfen ist, die eigentlich kein Einspruchsgrund ist.

00:13:03: Im

00:13:04: Einspruchsverfahren selbst oder um ins Einspruchsverfahren zu kommen, habe ich nur die Einspruchsgründe

00:13:08: und aus den Einspruchsgründen heraus kann auch nur ein Patent vernichtet oder eingeschränkt

00:13:13: werden.

00:13:14: Das bedeutet aber nicht, dass ich im Einspruchsverfahren als Patentinhaber Änderungen einbringen kann

00:13:20: und diese Änderungen dann nicht mehr vollständig dem EPÜ genügen müssen, also auch den Voraussetzungen

00:13:26: der Klarheit.

00:13:27: Genau,

00:13:27: das ist eigentlich

00:13:28: der strittige Punkt.

00:13:30: ein Teil der Frage liegt darin, dass man nicht genau weiß, in welchem Umfang und wann jetzt genau geprüft werden muss.

00:13:38: Denn eigentlich scheint der Gesetzestext ja sehr klar zu sein und festzulegen, dass alle Erfordernisse des Übereinkommens zu prüfen sind.

00:13:45: Die Frage ist jetzt, wie geht man damit um, wenn, so wie auch hier im vorliegenden Fall, einfach nur Ansprüche miteinander kombiniert werden,

00:13:54: und zwar ursprünglich erteilte Ansprüche.

00:13:56: In diesem Fall war es so, dass man einfach den Wortlaut des unabhängigen Anspruchs 1

00:14:01: mit dem Wortlaut des erteilten abhängigen Anspruchs 3 kombiniert hat,

00:14:05: also eigentlich sachlich nichts Neues hinzugefügt hat,

00:14:09: also nicht beispielsweise aus der Beschreibung irgendwelche unklaren Merkmale geschöpft hat.

00:14:13: Und die Frage, die sich hier stellt, ist, kann man jetzt trotzdem

00:14:17: diesen schon ursprünglich vorhandenen Klarheitseinwand im Einspruchsverfahren prüfen?

00:14:22: Wenn ich mich im

00:14:22: Einspruchsverfahren auf einen abhängigen Anspruch zurückziehe, dann würde ich mich ja in Summe, also in Kombination mit dem Anspruch 1, nur auf einen Gegenstand zurückziehen, der schon im ursprünglichen Erteilungsverfahren auf Klarheit geprüft worden ist.

00:14:36: Und hier will ich also eine Doppelprüfung vermeiden. Oder eben nicht. Das ist die Frage.

00:14:40: Genau. Das ist sicher ein Teil des Problems, dass man Doppelprüfungen vermeiden möchte.

00:14:46: Ein anderer Teil, und das ist, glaube ich, der relevantere, ist der, dass mangelnde Klarheit kein Einspruchsgrund ist. Und damit möchte man eben vermeiden, oder muss man sich die Frage stellen, ob es möglich sein soll, durch so eine reine formale Änderung, sage ich einmal ganz salopp, dann eine komplette Klarheitsprüfung auszulösen, die ja nicht möglich gewesen wäre gegen den erteilten Anspruch.

00:15:13: Und hier gibt es eine alte Rechtsprechungslinie, die dann in der Folge auch von der Großen Beschwerdekammer als die "herkömmliche" Rechtsprechungslinie bezeichnet wird.

00:15:23: Die geht zurück auf die Entscheidung T 301/87 aus dem Jahr 1989, also aus der grauen Vorzeit des EPÜ.

00:15:31: Und diese Entscheidung hat eben klargestellt, dass zwar bei Änderungen geprüft werden soll, ob dadurch Klarheitsprobleme entstanden sind, aber eben, dass geringfügige Änderungen nicht dazu führen sollen, dass nicht auf Einspruchsgründe gestützte Einwände jetzt beliebig ins Verfahren eingeführt werden können.

00:15:49: Aber es ist es doch so, dass ich, um überhaupt eine

00:15:52: Änderung hervorzurufen, zunächst einmal den Patentinhaber soweit bringen muss durch meine Einspruchsgründe, dass er den Anspruchsgegenstand überhaupt ändert. Das würde doch eine Neuprüfung dann zulassen.

00:16:03: Aus Sicht des Einsprechenden hast du auf alle Fälle recht. Dann würde man sich wünschen, dass solche Sachen geprüft werden und dass ja kein unklares Patent bestehen bleibt.

00:16:13: Aber aus Sicht des Patentinhabers wäre es dann quasi unmöglich, sich zu verteidigen,

00:16:18: weil das würde ja voraussetzen, dass es einen tatsächlich absolut klaren Anspruch gibt.

00:16:24: Und so wie du es schon mit Michael in der G 1/24 diskutiert hast,

00:16:28: die Klarheit oder die absolute Klarheit, die gibt es ja eigentlich gar nicht.

00:16:32: Das heißt, du meinst zumindest in der Rechtsprechung ist sich das EPA dessen durchaus bewusst

00:16:36: und versucht da die Effekte davon abzumildern?

00:16:38: Ja, durchaus. Man hat den Eindruck, das Europäische Patentamt versucht hier doch einen gewissen Interessensausgleich zwischen den unterschiedlichen Interessen von Patentinhabern und Einsprechenden herzustellen. Auch, dass der Patentinhaber nicht damit rechnen muss, dass jetzt ein Klarheitsproblem vielleicht relevant wird, das vorher noch nie diskutiert worden ist.

00:17:01: Inwieweit gab es jetzt eine Abweichung zu dieser herkömmlichen bekannten Rechtsprechungslinie?

00:17:07: Es gab eben doch Beschwerdekammern, die sich auch an dem Problem gestoßen haben, wie du es aufgezeigt hast, nämlich, dass dann ein unklarer Anspruch übrig bleiben könnte, auch wenn man eben nur einen unabhängigen Anspruch mit einem erteilten abhängigen Anspruch kombiniert.

00:17:24: Und um hier eine erweiterte Prüfungsbefugnis zu rechtfertigen, hat man sich auf die G 9/91 bezogen.

00:17:33: Im Wesentlichen ging es in dieser Entscheidung aber eigentlich um etwas anderes,

00:17:38: nämlich darum, in welchem Umfang das Europäische Patentamt zur Prüfung eines Einspruchs berechtigt ist,

00:17:45: wenn nur im beschränkten Umfang Einspruch eingelegt wurde.

00:17:49: Das heißt, darf das Europäische Patentamt überhaupt so ein Patent im gesamten Umfang widerrufen,

00:17:54: wenn das nie beantragt worden ist.

00:17:56: Aber auch in dieser Entscheidung gab es ein obiter dictum der Großen Beschwerdekammer,

00:18:01: die eben darauf hingewiesen hat, dass Änderungen der Ansprüche, die im Einspruchs- oder Beschwerdeverfahren vorgenommen werden, in

00:18:08: vollem Umfang auf die Erfüllung der Erfordernisse des EPÜ zu prüfen sind. Und

00:18:12: diesen Umstand hat jetzt diese abweichende Rechtsprechungslinie aufgegriffen, und

00:18:17: zwar zum ersten Mal in der Entscheidung T 459/05 und hat dort gesagt, dass

00:18:23: ausnahmsweise die Unklarheit in abhängigen Ansprüchen auch geprüft werden kann

00:18:28: und dass es sich dabei um eine Ermessensentscheidung der Beschwerdekammer handelt.

00:18:33: Und als Rechtfertigung hat sie unter anderem angegeben,

00:18:36: dass die Prüfungsabteilungen aufgrund der hohen Anzahl von Ansprüchen

00:18:40: diese Abhängigkeiten und etwaige Klarheitsprobleme gar nicht umfassend prüfen können.

00:18:45: Und es gab dann noch eine zweite Entscheidung, die in dieselbe Richtung geht,

00:18:49: nämlich die T 1440/08, die ist sogar noch einen Schritt weitergegangen

00:18:55: und hat gesagt, dass es im Ermessen der Einspruchsabteilung oder der Beschwerdekammer liegt,

00:19:01: einen jeden Klarheitsmangel zu untersuchen.

00:19:03: Und zwar insbesondere dann, wenn diese vermutete Unklarheit Merkmale betrifft,

00:19:08: die für die Beurteilung der Neuheit und der erfinderischen Tätigkeit entscheidend ist.

00:19:12: Wir haben also zwei unterschiedliche

00:19:14: Rechtsprechungslinien,

00:19:16: was ja eine Voraussetzung ist für eine Vorlagefrage.

00:19:19: Was war denn jetzt die Vorlagefrage, die die Beschwerdekammer daraus

00:19:22: gemacht hat?

00:19:23: Tatsächlich hat die Einsprechende bereits in der mündlichen Verhandlung eine Vorlagefrage formuliert

00:19:29: und auch die Vorlage an die Große Beschwerdekammer beantragt,

00:19:33: wobei diese Frage natürlich sehr konkret an den Fall angelehnt war.

00:19:37: Die vorlegende Kammer hat jetzt diese Fragen etwas breiter formuliert,

00:19:41: um mehrere Fallkonstellationen abzudecken.

00:19:44: Die zentrale Frage für die Große Beschwerdekammer war die,

00:19:48: wie denn der Begriff Änderungen, wie er in der G 9/91 verwendet worden ist, zu verstehen sei.

00:19:55: Und zwar hat er hier zwei mögliche Fälle unterschieden, nämlich A,

00:20:00: was ist, wenn Elemente oder Merkmale aus ursprünglich erteilten abhängigen Ansprüchen

00:20:05: in den unabhängigen Anspruch aufgenommen werden?

00:20:08: Soll dann die Einspruchsabteilung bzw. die Beschwerdekammer dazu verpflichtet sein,

00:20:13: die Klarheit zu prüfen von diesem kombinierten Anspruch?

00:20:17: Und in Fall B, wie schaut es aus, wenn ein abhängiger Anspruch vollständig in einen unabhängigen Anspruch aufgenommen wird?

00:20:24: Muss da jetzt die Einspruchsabteilung bzw. die Beschwerdekammer sich die Klarheit dieses neu geschaffenen Anspruchs anschauen?

00:20:32: Es wurden dann zusätzlich noch weitere Fragen formuliert, die sich eben dann auf die unterschiedlichen Möglichkeiten zur Beantwortung dieser ersten Frage beziehen.

00:20:40: Die sind aber im Weiteren nicht mehr relevant.

00:20:43: Die Antwort auf diese Frage und damit die Entscheidung der Großen Beschwerdekammer und die Gründe dafür,

00:20:48: werden wir uns in der nächsten Folge des IP-Courses Podcast näher ansehen.

00:20:53: Bis dahin, vielen Dank Lukas und vielen Dank für Ihr Interesse.

00:21:00: Das war ein IP-Courses Podcast.

00:21:04: Für Feedback schreiben Sie uns an podcast@ipcourses.org,

00:21:08: Abonnieren Sie den Podcast und entdecken Sie weitere Informationen und Kursangebote auf www.ipcourses.org.

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