T 641/00 - Comvik / Dual-Sim (Comvic Approach / CII)
Shownotes
In dieser Folge sprechen Lukas Fleischer und Michael Stadler über die Entscheidung T 641/00 einer Beschwerdekammer des Europäischen Patentamts aus dem Jahr 2002, die auch als Comvik Entscheidung bekannt ist. Es handelt sich um eine Leitentscheidung aus dem Gebiet der computerimplementierten Erfindungen, die den sogenannten Comvic Approach oder Comvic-Ansatz geprägt hat.
Diese Entscheidung legt die Grundsätze fest, an Hand derer das EPA heute die Technizität beurteilt, Ansprüche mit technischen und nicht-technischen Merkmalen behandelt und die erfinderische Tätigkeit von solchen Ansprüchen beurteilt.
Erfindung
Beansprucht wurde ein Verfahren für Mobiltelefone des GSM-Typs mit einem Teilnehmer-Kennungsmodul, sprich einer SIM, wobei die SIM zwei unterschiedliche Kennungen bzw. Identitäten aufweist. Der Benutzer kann eine der Kennungen aktivieren, wobei an Hand der aktiven Kennung zwischen dienstlichen und privaten Anrufen unterschieden wird, um die Gebühren entsprechend abzurechnen. Anmelder war das schwedische Mobilfunkunternehmen Comvik, das namensgebend für den aus der Entscheidung resultierenden Ansatz wurde.
Einspruchsverfahren
Gegen das Streitpatent wurde Einspruch eingelegt und im Rahmen des Einspruchsverfahrens wegen mangelnder erfinderischer Tätigkeit widerrufen, ohne dass die später im Beschwerdeverfahren diskutierten Aspekte der Technizität und der nicht-technischen Merkmale behandelt wurden.
Technizität
Die Beschwerdekammer bestätigte, dass bei Ansprüchen mit technischen und nicht-technischen Merkmalen bereits ein technisches Merkmal ausreicht, um die Technizität zu begründen. Im konkreten Fall war die Technizität bereits dadurch gegeben, dass ein Mobiltelefon involviert war. Dennoch dürfen in einem Patentanspruch auch nicht-technische Merkmale enthalten sein.
nicht-technische Merkmale & erfinderische Tätigkeit
Während bei der Formulierung der objektiven technischen Aufgabe für technische Merkmale eine rückschauende Betrachtung nicht zulässig ist, also die Lösung nicht Teil der Aufgabe sein darf, ist dies bei nicht-technischen Merkmalen nicht der Fall. Nicht-technische Merkmale können Teil der Aufgabe sein. Weiters können nicht-technische Merkmale keinen Beitrag zur erfinderischen Tätigkeit leisten.
Dabei geht die Kammer davon aus, dass die Fachperson immer durch das technische Gebiet festgelegt wird und die nicht-technischen Unterscheidungsmerkmale (also etwa Geschäftsmethoden), der Fachperson in der Aufgabenstellung mitgegeben werden, also ähnlich einem Lastenheft.
Anwendung auf den konkreten Fall: Comvik-Ansatz
Ausgehend vom nächstliegenden Stand der Technik wurden drei Unterscheidungsmerkmale identifiziert:
i) Dem Teilnehmer-Kennungsmodul (SIM) sind zumindest zwei Kennungen zugeteilt, ii) die Kennungen sind wahlweise verwendbar iii) die wahlweise Aktivierung wird zur Aufteilung der Gebühren herangezogen.
Während das Merkmal i) als technisch angesehen wurde, wurden die Merkmale ii) und iii) als nicht-technisch angesehen.
Die von der Beschwerdekammer formulierte Aufgabe lautete dahingehend, dass ein System implementiert werden soll, das es dem Benutzer erlaubt, zwischen Anrufen zu unterschiedlichen Zwecken (oder Anrufen verschiedener Benutzer) zu unterscheiden, wobei das Konzept der Gebührenaufteilung (Merkmal iii) der Fachperson im Rahmen seiner Auftragsinformationen zur Verfügung gestellt werden.
Ausgang des Verfahrens
Da im nächstliegenden Stand der Technik an einer anderen Stelle offenbart einerseits, dass mehrere Kennungen zur Unterscheidung bzw. zur Identifikation der Teilnehmer vorhanden sein müssen und andererseits, dass multifunktinale SIM-Karten bekannt sind, die zwei oder mehr Kennungen (IMSI-Nummern) enthalten. Dass der nächstkommende Stand der Technik die Gebührenabrechnung nicht thematisierte war nicht relevant, da es sich dabei um nicht-technische Merkmale handelte.
Der beanspruchte Gegenstand war damit nach Anwendung des Comvik-Ansatzes nicht erfinderisch.
weiterführende Links
Transkript anzeigen
00:00:05: Willkommen zum IP-Courses-Podcast, dem Podcast für gewerblichen Rechtsschutz.
00:00:13: Mein Name ist Lukas Fleischer. Heute werde ich mir gemeinsam mit Michael Stadler eine der
00:00:17: Leitentscheidungen des Europäischen Patentamts zu computerimplementierten Erfindungen ansehen.
00:00:22: Diese Entscheidung hat das Aktenzeichen T 641/00 und stammt aus dem Jahr 2002. Sie ist besser
00:00:28: bekannt geworden unter dem Namen Comvik. Es geht in der Entscheidung im Detail um die Abrechnung von
00:00:34: privaten und beruflichen Telefonaten und um die Frage, wie man mit Erfindungen umgeht, die auch
00:00:39: nicht technische Merkmale enthalten. Hallo Michael. Hallo Lukas. Die Comvik-Entscheidung, die kennt man
00:00:46: ja sehr gut aus den Prüfungsrichtlinien. Jetzt meine Frage, das habe ich mir bis jetzt auch selber
00:00:50: noch nicht angeschaut, worum ist es denn tatsächlich gegangen, inhaltlich? Die Erfindung kommt eigentlich
00:00:55: aus dem Mobilfunkbereich. Der Hintergrund ist die Kostenaufteilung zwischen Privat- und Dienstgesprächen.
00:01:02: Irgendwann am Beginn der 1990er Jahre hat man offenbar begonnen, die Mitarbeiter mit Mobiltelefonen
00:01:08: auszustatten und aufgrund der hohen Kosten gab es dann offenbar auch die Notwendigkeit zwischen Privatgesprächen
00:01:13: und Dienstgesprächen unterschiedlich abzurechnen. Das war davor offenbar problematisch
00:01:19: und immer mit großem Mehraufwand verbunden. Die Erfindung
00:01:22: basiert auf dem, was wir heute Dual SIM nennen. Wir haben hier zwei unterschiedliche Identitäten pro
00:01:29: Gerät und der Benutzer kann die wahlweise auswählen. Eine Identität betrifft eben das
00:01:35: Dienstgespräch und die andere Identität das Privatgespräch.
00:01:38: Schon bereits aus dem Inhalt,
00:01:40: wenn man an das heutige Flatrate-Zeitalter denkt, erkennt man, dass die Entscheidung schon deutlich
00:01:46: älter ist. Warum wollen wir uns heute dann trotzdem damit beschäftigen?
00:01:50: Die Entscheidung
00:01:51: selbst stammt aus dem Jahr 2002 und wie du völlig richtig sagst, die Erfindung ist wirklich alt. Die
00:01:56: Erstanmeldung stammt aus 1991 und das Patent wurde in den späten 1990er Jahren erteilt. Die Entscheidung
00:02:04: ist aber die Leitentscheidung, was computerimplementierte Erfindungen betrifft. Wenn man sich die Entscheidung
00:02:10: auf der Seite des Europäischen Patentamts ansieht, merkt man, die ist über 500 Mal zitiert worden. Die
00:02:15: Liste der zitierten Entscheidungen ist länger als die Entscheidung selbst. Die Entscheidung legt immer
00:02:19: noch fest, wie das Europäische Patentamt heute die Technizität beurteilt, wie das Europäische
00:02:26: Patentamt Ansprüche behandelt, die technische und nicht-technische Merkmale enthalten und wie man
00:02:31: die erfinderische Tätigkeit einer solchen Merkmalskombination beurteilt. Alle Leitentscheidungen
00:02:37: seither haben diesen Ansatz dogmatisch bestätigt.
00:02:39: Jetzt ist mir mal klar, um welches technische
00:02:41: Gebiet es geht. Jetzt stellt sich für mich natürlich die Frage, wie schaut denn so ein
00:02:46: Anspruch aus, der technische und nicht-technische Merkmale enthält.
00:02:50: Der Patentanspruch betrifft ein
00:02:52: Verfahren, das in einem Mobiltelefonsystem des GSM-Typs verwendet wird. Wir sehen also auch hier
00:03:00: den Verweis auf ältere Zeiten. Wir haben hier Endgeräte und in den Endgeräten ist ein SIM
00:03:07: vorhanden, so wie wir das auch aus heutigen Mobiltelefonen noch kennen. Was dann schon Teil
00:03:12: der Weiterentwicklung der Erfindung ist, ist, dass dem SIM zumindest zwei wahlweise verwendbare
00:03:19: Kennungen zugeteilt sind. Das heißt, in einer SIM-Karte gibt es bereits zwei Identitäten, mit
00:03:24: denen man dann später im Mobiltelefonsystem kommunizieren kann. Die Erfindung stellt dann
00:03:29: auch klar, dass zu einem Zeitpunkt immer nur eine dieser Kennungen aktiviert sein kann. Das heißt,
00:03:35: ich kann auch immer nur mit einer dieser Identitäten im Netz auftreten. Dann wird
00:03:39: weiters noch klargestellt, dass es der Benutzer des Endgeräts ist, der sich also aussuchen kann,
00:03:46: welche der beiden Kennungen er im Rahmen der Kommunikation verwendet. Und dann haben wir zum
00:03:52: Schluss das Merkmal, das die Aufteilung der Gebühren betrifft. Und zwar ist es so, dass die
00:03:56: wahlweise Aktivierung, die durch den Benutzer erfolgt, dazu verwendet wird, dass man zwischen
00:04:01: privaten Anrufen und dienstlichen Anrufen unterscheidet. Und je nachdem, welche der
00:04:06: Identität nicht verwende, gebe ich dem
00:04:09: Abrechnungssystem zu verstehen, ob ich
00:04:11: dieses Gespräch jetzt aus dienstlichen oder
00:04:13: aus privaten Gründen führe.
00:04:14: Hat es denn jetzt im Anmeldeverfahren
00:04:17: schon eine Diskussion gegeben
00:04:19: darüber, wie mit den technischen und nicht-
00:04:21: technischen Merkmalen umgegangen werden soll?
00:04:24: Nein, überhaupt nicht.
00:04:25: Also wir haben einen ganz normalen
00:04:26: Verfahrensablauf mit einer Erstanmeldung in
00:04:29: Schweden. Anmelder war wie gesagt
00:04:31: Comvik, ein schwedisches Unternehmen.
00:04:33: Die haben eine internationale Anmeldung durchgeführt,
00:04:35: die zum Europäischen Patentamt übergeleitet und mehr oder weniger ohne Änderungen ihr Patent erteilt bekommen.
00:04:41: Die Prüfungsabteilung hat diesen konkreten Punkt der Mischung der technischen und nicht-technischen Merkmale eigentlich überhaupt nicht ins Spiel gebracht.
00:04:49: Wie ist denn das Einspruchsverfahren danach abgelaufen?
00:04:52: Ist das da ein Thema geworden mit den technischen und nicht-technischen Merkmalen?
00:04:55: Im erstinstanzlichen Einspruchsverfahren war es auch noch überhaupt kein Thema.
00:04:59: Die Einsprechende war die Deutsche Telekom, die das System offenbar selbst verwenden wollte.
00:05:03: Die hat im Einspruch mehrere Dokumente vorgelegt und zwar als Stand der Technik zwei Identitäten,
00:05:09: die auf demselben SIM-Chip abgespeichert wurden und das europäische Patent wurde wegen fehlender erfinderischer Tätigkeit widerrufen.
00:05:17: Bei der Entscheidung zeigt die Einspruchsabteilung mit dem Aufgabelösungsansatz, dass die Erfindung nahe liegt.
00:05:23: Sie hat sich dogmatisch nicht besonders mit den technischen und nicht-technischen Merkmalen beschäftigt.
00:05:28: Artikel 52 Absatz 2 EPÜ, der die Technizität betrifft, war eigentlich überhaupt kein Thema.
00:05:34: Aus der Sicht war es eigentlich eine ganz normale Entscheidung
00:05:36: und auch die Merkmale wurden überhaupt nicht getrennt behandelt.
00:05:40: Das heißt, aus Sicht der Einspruchsabteilung war es gar nicht erforderlich,
00:05:44: hier zwischen technischen und nicht technischen Merkmalen zu unterscheiden.
00:05:48: Jetzt ist natürlich der Elefant im Raum:
00:05:50: Wie ist es denn mit der Technizität und den Ausnahmen des Artikels 52 Absatz 2 EPÜ?
00:05:57: War das nicht schon ein Problem?
00:05:59: Obwohl die Erfindung so softwarelastig klingt, eigentlich nicht.
00:06:03: Aus anderen Entscheidungen, die davor ergangen waren, war schon klar,
00:06:06: dass Mischungen von technischen und nicht technischen Merkmalen in einem Anspruch enthalten sein können
00:06:11: und dass die Gesamtheit grundsätzlich dem Technischen zuzurechnen ist.
00:06:17: Die Kammer ließ es also zu, dass man eine Mischung von technischen und nicht-technischen Merkmalen im Patentanspruch hat.
00:06:24: Bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit werden aber dann immer nur die technischen Merkmale verwendet.
00:06:30: Das heißt, im Unterschied zu den Ausnahmen der Patentierbarkeit gemäß Artikel 53 EPÜ,
00:06:36: wo ein einziges Merkmal schon dazu führt, dass der gesamte Anspruch fällt,
00:06:40: sind nicht-technische Merkmale im Patentanspruch grundsätzlich akzeptabel?
00:06:45: Wenn man das mit den rein biologischen Verfahren vergleicht,
00:06:48: dann bemerkt man, dass schon ein einziger rein biologischer Züchtungsschritt dazu führt,
00:06:52: dass der gesamte Patentanspruch fällt.
00:06:55: Auch bei den therapeutischen Verfahren haben wir ähnliche Situationen.
00:06:58: Ein ausgeschlossener Schritt führt dazu, dass der gesamte Patentanspruch weg ist
00:07:03: beziehungsweise nicht patentierbar ist.
00:07:05: Bei den Ausschlusstatbeständen des Artikel 52 Absatz 2 EPÜ mit der Sonderregel des Absatz 3
00:07:12: haben wir ein bisschen eine andere Situation.
00:07:14: Hier zerstört uns das eine nicht-technische Merkmal nicht den gesamten Patentanspruch.
00:07:20: Es nutzt uns aber auch nichts.
00:07:22: Das heißt also, damit ein Anspruch gegen Artikel 52 Absatz 2 EPÜ verstößt, müssten alle Merkmale die Ausnahmetatbestände erfüllen.
00:07:33: Im Umkehrschluss, es reicht also, wenn ein einziges Merkmal technisch ist, um Technizität herzustellen.
00:07:38: Also in unserem Fall, weil ein Mobiltelefon involviert ist, ist es einfach technisch.
00:07:43: So einfach geht es beim EPA, stimmt das so?
00:07:45: Ja, du hast recht. Dieses Erfordernis ist
00:07:47: eigentlich relativ einfach zu überspringen.
00:07:50: Ich kann dich beruhigen, es gibt noch weitere, vor allem den Artikel 56 EPÜ, die erfinderische Tätigkeit, bei der all das nochmal auf den Tisch kommen wird.
00:07:59: Ich muss auch dazu sagen, diese relativ geringe Hürde, die das Europäische Patentamt in Artikel 52 Absatz 3 EPÜ sieht, die hat ihm auch relativ viel Kritik eingebracht,
00:08:10: weil es, wie du aufgezeigt hast, scheinbar so einfach geht, eine Anmeldung technisch zu machen.
00:08:15: Also einfach ein Mobiltelefon zu erwähnen, führt schon dazu, dass die Anmeldung insgesamt technisch ist.
00:08:22: Wie gesagt, das ist allerdings nicht das einzige Hindernis.
00:08:26: Die Frage der technischen Merkmale wird später noch einmal auf uns zurückkommen, wenn es dann um erfinderische Tätigkeit geht.
00:08:32: Wir halten also fest, die Erfindung ist jedenfalls technisch, weil ein Mobiltelefon im Verfahren verwendet wird
00:08:38: und die anderen Merkmale müsste ich mir grundsätzlich gar nicht anschauen, um über die Technizität des Anspruchs zu entscheiden.
00:08:43: Genau. Als nächstes schauen wir uns dann die Neuheit der Erfindung an. Was hat denn die Kammer zur Neuheit gesagt?
00:08:50: Die Kammer hat den Punkt eigentlich ausgelassen und ist gleich zur erfinderischen Tätigkeit weitergesprungen.
00:08:56: Aus rein dogmatischer Sicht kann man sich den Punkt der Neuheit getrennt anschauen.
00:09:00: Zum Beispiel, wenn es nur ältere Rechte gibt, müsste man das sogar.
00:09:04: Jedenfalls hat sie festgestellt, die Unterschiede zwischen dem Hauptantrag und dem nächstkommenden Stand der Technik liegen eben darin,
00:09:10: dass die SIM-Karte zumindest zwei Kennungen enthält, dass diese zwei Kennungen wahlweise verwendbar sind
00:09:17: und auch, dass diese wahlweise Aktivierung dazu verwendet werden kann, die Gebührenaufteilung zu triggern,
00:09:24: indem man aufgrund der Kennung das einzelne Gespräch dem Dienstlichen oder dem Privaten zuordnet.
00:09:29: Nachdem ich mir grundsätzlich beim Aufgabe-Lösungs-Ansatz immer die Unterscheidungsmerkmale heraussuchen will,
00:09:35: ist ja die Neuheitsprüfung implizit im Aufgabe-Lösungs-Ansatz ja sowieso drinnen.
00:09:39: Also die Neuheit ist in unserem Fall klar, der Anspruch ist neu.
00:09:44: Du hast aber vorher schon den technischen Effekt angesprochen, der uns auch bei der erfinderischen Tätigkeit begegnet.
00:09:49: Wie modifiziert jetzt diese Entscheidung den Aufgabe-Lösungs-Ansatz, um diesen Aspekt Rechnung zu tragen?
00:09:54: Wie gesagt, die Einspruchsabteilung hat sich auf die Diskussion überhaupt nicht eingelassen und hat den Aufgabe-Lösungs-Ansatz unmodifiziert durchgezogen.
00:10:02: Die Kammer nimmt das jetzt ein bisschen genauer auseinander und beim Aufgabelösungsansatz schaut sich die Kammer jetzt die einzelnen Unterschiedsmerkmale genauer an und basiert darauf eben die Aufgabe.
00:10:13: Und besonders ist jetzt, dass diese Aufgabe im Bereich des Technischen liegen muss.
00:10:19: Wenn ich den Merkmalen überhaupt keine technische Aufgabe zuordnen kann, dann ist die Erfindung einfach nicht erfinderisch, verstößt also gegen Artikel 56 EPÜ.
00:10:28: Das bedeutet auch, wenn ein Merkmal nicht zur Lösung der Aufgabe beiträgt, dann wird es bei der erfinderischen Tätigkeit entweder überhaupt nicht beachtet oder wenn ein zweites Problem angesprochen ist, dann habe ich eben diesen zwei Aufgaben, zwei Lösungsansatz.
00:10:42: Wie formuliert man denn jetzt die objektive technische Aufgabe? Gibt es da jetzt einen Unterschied zum normalen klassischen Aufgabe-Lösungs-Ansatz, der dieser Problematik mit den technischen und nicht-technischen Merkmalen jetzt Rechnung trägt?
00:10:55: Grundsätzlich habe ich ja das Erfordernis, dass ich keine nachträglichen Erkenntnisse aus der Lösung in die Aufgabe einfügen kann.
00:11:03: Das heißt, ich muss mir die Frage stellen, was bringen mir die Unterschiedsmerkmale, was ist also der technische Effekt dieses Unterschieds?
00:11:09: Und die einfachste Aufgabenstellung ist dann, bewirke den technischen Effekt beim nächstkommenden Stand der Technik.
00:11:15: Das kann man darüber hinaus auch noch ein bisschen abstrahieren.
00:11:20: Diese Herangehensweise gilt aber nur für die technischen Aspekte der Erfindung.
00:11:25: Die nicht-technischen Merkmale können durchaus Teil der Aufgabe sein, die man der Fachperson sozusagen zu lösen aufgibt.
00:11:33: Und das auch dann, wenn sie direkt im Anspruch stehen.
00:11:36: In Bezug auf diese nicht-technischen Merkmale ist also eine rückschauende Betrachtungsweise durchaus in Ordnung.
00:11:42: Umgekehrt gesagt, ich kann also aus den nicht-technischen Merkmalen keine erfinderische Tätigkeit herleiten.
00:11:49: Man kann sich das etwa so vorstellen, dass die Fachperson, die ja hier die Aufgabe lösen soll, keine Kenntnisse in diesem nicht-technischen Bereich hat.
00:11:57: Das heißt, der Fachperson werden diese nicht-technischen Merkmale einfach als Teil der technischen Aufgabe mitgeteilt und dann schaut man sich an, ob die Fachperson die Aufgabe lösen könnte.
00:12:11: Das heißt aber auch für unsere Fachperson, die wir dem Aufgabe-Lösungs-Ansatz zugrunde legen, die ist immer Fachperson auf einem technischen Gebiet und gerade nicht im geschäftlichen Bereich.
00:12:22: In unserem Fall wäre das dann beispielsweise der Telekommunikationsbereich.
00:12:27: Kann ich mir das also so vorstellen, dass diese nicht-technischen Merkmale so wie ein Lastenheft sind, das sozusagen an den Entwickler gegeben wird, wo jemand sagt, ich möchte gern, dass diese nicht-technische Aufgabe technisch gelöst wird oder dass das Produkt dann später das kann?
00:12:41: Ganz genau. Der Techniker, die Fachperson ist kein Experte auf dem Gebiet, in dem das Lastenheft geschrieben wird, also zum Beispiel im Bereich der finanziellen Abrechnung von Telefonaten. Da kriegt die Fachperson einfach als Aufgabe gesetzt, macht doch bitte eine Unterscheidung zwischen den Privatgesprächen und den dienstlichen Gesprächen.
00:13:04: Wie ist denn das jetzt auf den vorliegenden Fall angewendet worden von der Kammer?
00:13:07: Wie gesagt, wir haben drei Unterschiede zwischen unserer Erfindung und dem nächstkommenden Stand der Technik.
00:13:13: Das erste ist, dass das SIM zwei Kennungen zugeteilt erhält.
00:13:18: Das zweite ist, dass die Kennungen wahlweise verwendbar sind.
00:13:21: Und das dritte ist, dass die wahlweise Aktivierung dieser Kennungen eben zur Gebührenaufteilung herangezogen wird.
00:13:28: Und was davon ist jetzt technisch und was ist nicht-technisch?
00:13:32: Wenn wir uns zunächst die zwei Kennungen anschauen, die auf der gleichen SIM-Karte abgespeichert sind,
00:13:37: dann ist das technisch.
00:13:39: Der Grund ist jetzt nicht, wenn man so eine SIM-Karte und so eine Kennung betrachtet,
00:13:43: das ist zwar grundsätzlich nur eine Zahl oder eine Zahlenfolge,
00:13:47: aber ich kann damit in dem Telekommunikationsnetz Unterschiedliches bewirken.
00:13:51: Ich kann damit mit zwei unterschiedlichen Identitäten in dem Netz operieren
00:13:56: und das wird als technisch angesehen.
00:13:58: Wie sieht es denn jetzt aber mit der Möglichkeit aus,
00:14:01: diese Kennungen wahlweise zu verwenden, also eine reine Auswahl zu treffen?
00:14:06: Ich bin da ein bisschen unglücklich damit, wie die Kammer das ausgelegt hat.
00:14:11: Ich würde nämlich schon meinen, dass der Umstand, dass ich die Kennung nach meinen Vorgaben einstellen kann, grundsätzlich technisch ist.
00:14:19: Schließlich schalte ich ja da etwas am Mobiltelefon um und ein elektrischer Schaltkreis wird also dazu verwendet, die eine oder die andere Kennung zu verwenden.
00:14:30: Die Kammer hat es ein bisschen anders gesehen und hat den rein willentlichen menschlichen Akt gesehen, um den es hier geht, den des Umschaltens.
00:14:38: Und wenn man es auf das reduziert, dann ist das sicherlich nicht technisch.
00:14:42: Ich entscheide mich einfach unter der einen oder der anderen Identität in dem Netz zu kommunizieren.
00:14:46: Dem liegt sicherlich kein technischer Effekt zugrunde.
00:14:50: Glücklicherweise macht es für unseren Fall aber keinen Unterschied, weil die Kammer diesen Aspekt dem ersten Merkmal der zwei Kennungen ohnehin zugeordnet hat.
00:15:01: Daher ist die Beurteilung dieses Merkmals im Ergebnis nicht so wichtig.
00:15:04: Das heißt, die Auswahl selber wird als nicht technisch eingestuft, aber dass man tatsächlich etwas auswählen kann, ist dann schon irgendwie wieder technisch.
00:15:14: Wie ist es denn mit der Gebührenabrechnung?
00:15:17: Das hört sich sehr stark nach einer geschäftlichen Methode an für mich als Techniker.
00:15:21: Ja, das war ganz klar nicht technisch.
00:15:23: Meiner Ansicht nach hat die Beschwerdekammer da auch völlig recht.
00:15:26: Das ist ein rein finanzielles und administratives Konzept.
00:15:30: Der Umstand, ob ein Telefon jetzt privat oder geschäftlich verwendet wird, mag zwar für die Kostentragung interessant sein,
00:15:38: für die Art der technischen Gesprächsübermittlung ist es aber völlig irrelevant.
00:15:43: Es ist ja auch nicht so, dass es für die technische Übermittlung einen Unterschied macht,
00:15:47: ob ich jetzt privat oder geschäftlich telefoniere. Ich meine, das Mobiltelefon strengt sich einfach nicht mehr oder weniger an.
00:15:53: Technisch passiert genau dasselbe
00:15:54: Datenweiterleitungsvorgang.
00:15:57: Das Einzige, was hier besonders zu erwähnen ist, ist, dass sich die Gesprächspartner darauf geeinigt haben,
00:16:03: dass eben der eine oder der andere die Rechnung bezahlt, aber darin liegt eben eine reine Geschäftsmethode und gerade keine technische Vorgehensweise.
00:16:13: Das heißt für mich zusammenfassend im Ergebnis, technisch ist es, dass man eine Möglichkeit geschaffen hat, zwischen zwei verschiedenen Kennungen zu trennen. Wie das genau eingestellt wird und wie man dann die Telefonkosten verrechnet, das ist aber nicht technisch.
00:16:26: Ganz genau.
00:16:27: Jetzt, wo wir die Trennung in technische und nicht-technische Merkmale durchgeführt haben, wie wurde denn nun die Aufgabenstellung für einen Aufgabe-Lösungs-Ansatz konkret definiert?
00:16:37: Der Inhaber hat argumentiert, dass die Aufgabe darin
00:16:40: liegt, die Schwierigkeiten zu beheben, die bei der Aufteilung der Gebühren entstehen.
00:16:44: Und zwar konkret zwischen den dienstlichen und den privaten Anrufen oder, wie es der Anspruch sagte, zwischen unterschiedlichen Aspekten oder Kostenstellen.
00:16:54: Die Kammer hat dagegen gesagt, Aufgabe ist es lediglich, zwischen Anrufen zu unterschiedlichen Zwecken zu unterscheiden.
00:17:03: Hintergrund ist der, unsere Fachperson, unser Techniker kennt einfach die konkreten Modalitäten der Abrechnung nicht.
00:17:12: Der fragt einfach nach dem Abrechnungskonzept, das er implementieren soll, praktisch als Teil der Aufgabe.
00:17:19: Und die Aufgabe, um die es insgesamt geht, ist dann die Lösung oder die Implementierung dieses Abrechnungskonzepts in einem bestehenden GSM-System.
00:17:27: Also könnte man salopp sagen, der Fachmann möchte sich mit sowas Geschäftlichem gar nicht beschäftigen.
00:17:33: Das interessiert ihn einfach nicht. Das heißt, wir befinden uns jetzt nach der Definition der objektiven und technischen Aufgabe im Could-Would-Approach. War es denn der Fachperson jetzt möglich, die Aufgabe zu lösen?
00:17:46: Ja, das war möglich und hier verwenden wir interessanterweise dasselbe Dokument aus dem Stand der Technik noch einmal, diesmal allerdings einen anderen Aspekt.
00:17:56: Klar, aus dem ersten Teil war, dass es zum identifizierbaren Telefonieren erforderlich ist, eine eigene Kennung zu haben.
00:18:04: Und dieser zweite Teil des Dokuments sagt jetzt nun, dass wenn ich Telefonanrufe unterscheiden will, dann brauche ich einfach mehrere solcher Kennungen.
00:18:13: Und aus dem Stand der Technik war auch bekannt, dass es genau zu dem Zweck multifunktionale SIM-Karten gibt, die genau das
00:18:19: erfüllen.
00:18:21: Damit ist dann aber auch der Patentanspruch nahegelegt, weil ich zur Lösung der Aufgabe eben sowohl die mehrfache Verwendung als auch die Umschaltmöglichkeit aus dem nächstliegenden Stand der Technik kenne,
00:18:31: auch wenn der jetzt über die Thematik der Abrechnung gar nicht redet.
00:18:35: Genau, damit kommen wir eigentlich genau zum Ergebnis, warum der Patentanspruch nicht erfinderisch ist.
00:18:41: Es gab dann auch noch einen Hilfsantrag, der war allerdings mit der gleichen Argumentation zu widerrufen wie der Hauptantrag,
00:18:48: einfach weil das im Hilfsantrag neu vorkommende Merkmal bereits im nächstkommenden Stand der Technik enthalten war.
00:18:54: Das heißt, im Endeffekt wurde dann die Entscheidung der Einspruchsabteilung, das Patent zu widerrufen, aufrechterhalten,
00:19:00: wenn auch mit einer anderen und fundierteren Begründung, als es die Einspruchsabteilung gemacht hat.
00:19:05: Nachdem es jetzt eine Leitentscheidung auf dem Gebiet der computerimplementierten Erfindung ist,
00:19:09: kannst du uns noch einmal die Kernpunkte zusammenfassen, die relevant sind?
00:19:13: Zunächst gibt es grundsätzlich kein Problem, wenn eine Erfindung bzw. ein Patentanspruch
00:19:19: technische und nicht-technische Merkmale gemeinsam enthält.
00:19:24: Damit Artikel 52 Absätze 2 und 3 EPÜ erfüllt sind, reicht es auch aus,
00:19:29: wenn ein technisches Gerät im Verfahren vorkommt, auch wenn das technische Gerät insgesamt bekannt ist.
00:19:34: Die nicht-technischen Merkmale helfen aber nicht, um eine Erfindung neu und erfinderisch zu machen.
00:19:40: Um zur erfinderischen Tätigkeit beizutragen, müssen Anspruchsmerkmale einen technischen Effekt bewirken.
00:19:48: Wenn sie das nicht tun, spielen sie bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit nicht mit,
00:19:52: was im Ergebnis dazu führen kann, dass die gesamte Anmeldung nicht erfinderisch ist.
00:19:57: Wenn wir uns in einer solchen Situation ansehen, wie die Aufgabe beim Aufgabe-Lösungs-Ansatz formuliert wird,
00:20:03: dann ist klar, dass die nicht-technischen Merkmale nicht zur Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit herangezogen werden.
00:20:11: Bezüglich dieser Merkmale ist sogar eine rückscheuende Betrachtung zulässig.
00:20:15: Das heißt, die Fachperson bekommt diese Merkmale praktisch auf dem Silberteller im Rahmen der Aufgabenstellung präsentiert.
00:20:23: Der Anspruch kann also im Ergebnis auch dann naheliegen,
00:20:27: wenn die nicht-technischen Merkmale überhaupt nicht aus dem Stand der Technik bekannt sind.
00:20:32: Im Übrigen bleibt der Aufgabe-Lösungs-Ansatz unverändert.
00:20:35: Die Frage ist immer, welche technische Aufgabe wird konkret gelöst.
00:20:39: Und damit ist der Unterschied zu den anderen Erfindungen in Wahrheit gar nicht so groß.
00:20:44: Das war eine Folge des IP-Courses Podcast zur Convik-Entscheidung T 641/00 einer Beschwerdekammer des Europäischen Patentamts.
00:20:53: Vielen Dank Michael und vielen Dank für Ihr Interesse.
00:21:04: Das war ein IP-Courses-Podcast.
00:21:07: Für Feedback schreiben Sie uns an podcast@ipcourses.org, abonnieren Sie den Podcast und entdecken Sie weitere Informationen und Kursangebote auf www.ipcourses.org.
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