T 2027/23 - Feuerwehrfahrzeug II (offenkundige Vorbenutzung / Auslegung von Anspruchsmerkmalen / Verspätung)
Shownotes
In dieser zweiten Folge zu T 2027/23 diskutieren Gerd Hübscher und Michael Stadler die verbleibenden Kernpunkte der Entscheidung aus dem Jahr 2025. Nachdem in der ersten Folge die offenkundige Vorbenutzung und zwei Anspruchsmerkmale behandelt wurden, geht es nun um das letzte Unterscheidungsmerkmal, die strittige Frage verspäteter Hilfsanträge sowie die Rolle der G 1/24 im Beschwerdeverfahren. Außerdem sprechen die beiden über die beantragte, aber abgelehnte Vorlage an die Große Beschwerdekammer und die letztlich bestätigte Entscheidung der Einspruchsabteilung. Die ersten Kapitelmarken enthalten Bilder des Feuerwehrfahrzeugs aus der Beweisaufnahme.
Diskussion des dritten Merkmals M3
Das dritte Merkmal betrifft die Frage, ob die Gegenkraft bzw. Begrenzung des Bedienhebels dynamisch (abhängig vom aktuellen Zustand der Leiter) oder statisch (fixed by design) ausgestaltet sein muss. Im vorbenutzten Fahrzeug waren mechanische Endanschläge und Bolzen vorhanden, die die Hebelbewegung begrenzten. Die Patentinhaberin argumentierte:
Die Begrenzung im Fahrzeug sei nicht abhängig von der Maximalgeschwindigkeit.
Sie wirke unabhängig von der Leiterposition.
Die Einspruchsabteilung – und später auch die Beschwerdekammer – sahen das anders:
Eine funktionale Auslegung des Anspruchs lässt jede Form der Begrenzung ausreichen, sofern sie sicherstellt, dass die maximale Geschwindigkeit eingehalten wird.
Weder der Anspruchswortlaut noch die Beschreibung verlangen eine dynamische oder elektronische Umsetzung.
Damit erfüllt das TBH-Fahrzeug auch M3.
Einordnung im Lichter der G 1/24
Die Patentinhaberin argumentierte, dass nach G 1/24 die Beschreibung zwingend zur Auslegung heranzuziehen sei und die Begriffe daher elektronisch zu verstehen seien. Die Kammer sah das jedoch anders:
- Die Beschreibung enthält keine eindeutige Definition, die die Begriffe auf elektronische Ausführungsformen beschränkt.
- Offenbarte Ausführungsbeispiele dürfen nicht genutzt werden, um den Anspruch enger auszulegen, als sein Wortlaut es zulässt.
- Der Anspruch war bewusst breit gefasst – und diese Breite fällt hier auf die Patentinhaberin zurück.
Verspätete Hilfsanträge
Der Patentinhaber reichte in der mündlichen Verhandlung Hilfsanträge ein, die erstmals explizit
Sensorsysteme zur Zustandsmessung und
Echtzeitbestimmung der Leiterstellung
enthielten.
Damit hätte man sich von der mechanischen Vorbenutzung absetzen können – doch die Anträge kamen zu spät.
Begründung der Einspruchsabteilung:
Alle relevanten Unterschiede zum vorbekannten Fahrzeug waren seit dessen erstmaliger Einführung ins Verfahren bekannt.
Die Änderungen kommen am zweiten Tag der mündlichen Verhandlung – objektiv verspätet.
Zulassung würde auch verspätetes Vorbringen des Einsprechenden nach sich ziehen → „Ping-Pong-Verfahren“.
Die Beschwerdekammer bestätigte diese Sicht:
Wer in erster Instanz verspätet ist, bleibt auch im Beschwerdeverfahren verspätet.
Die Kammer sah keinen Anlass, die Ermessensentscheidung der Einspruchsabteilung zu korrigieren.
Weitere Hilfsanträge wurden aus denselben Gründen (mangelnde Neuheit, Verspätung) zurückgewiesen.
Fazit der Beschwerdekammer
- Alle Anspruchsmerkmale werden durch das vorbekannte Fahrzeug verwirklicht.
- Die weite Auslegung der Merkmale ist konsequent und im Rahmen der G 1/24 korrekt.
- Die Hilfsanträge bleiben unberücksichtigt.
- Eine Vorlage zur Großen Beschwerdekammer ist nicht erforderlich.
Damit blieb der Widerruf des Patents bestehen.
weiterführende Links
Transkript anzeigen
00:00:00: Willkommen beim IP Courses-Podcast, dem Podcast für europäisches Patentrecht.
00:00:09: Willkommen zur heutigen IP Courses-Folge, der zweiten Folge zum Fall T 2027/23.
00:00:18: Wir haben schon letzte Woche über den Fall des Feuerwehrautos diskutiert und gegen
00:00:25: über den Stand der Technik drei wesentliche Unterscheidungsmerkmale identifiziert.
00:00:29: Zwei davon haben wir schon letzte Woche diskutiert. Jetzt geht es weiter mit dem
00:00:33: dritten Merkmal und auch letztendlich der finalen Entscheidung der Beschwerdekammer.
00:00:38: Michael, was waren denn die Unterscheidungsmerkmale bisher?
00:00:40: Insgesamt gab es drei Merkmale, die zur Unterscheidung vom Stand der Technik in Frage gekommen sind.
00:00:47: Zunächst einmal ging es darum, was überhaupt eine Processing Unit ist, weil im Stand der Technik
00:00:53: gab es da eine mechanische Steuerung über einen Bowdenzug, jedenfalls keine elektronische
00:00:57: Steuerung und hier haben bereits Einspruchsabteilung und Beschwerdekammer festgestellt, dass eine
00:01:02: Processing Unit durchaus breit ausgelegt werden kann, sodass auch die mechanische Umsetzung
00:01:07: eine solche Processing Unit darstellt. Ein zweites Unterscheidungsmerkmal, das ebenfalls von der
00:01:13: Patentinhaberin herangezogen wurde, ist das Merkmal der Bestimmung einer möglichen Maximalgeschwindigkeit
00:01:20: der Bewegung, zum Beispiel der Drehleiter, abhängig von der jeweiligen Konstellation der
00:01:24: Leiter. Strittig war hier, ob diese Bestimmung in Echtzeit auf Grundlage des aktuellen Zustands
00:01:29: erfolgt oder ob auch eine feste mechanische Einstellung ausreicht, die die maximale Geschwindigkeit
00:01:36: vorgibt. Die Einspruchsabteilung hat hier zugunsten der Einsprechenden entschieden und festgestellt,
00:01:43: dass auch die feste mechanische Einstellung grundsätzlich das Merkmal erfüllt, dass eine
00:01:49: maximale Geschwindigkeit vorgegeben wird. Wie hat denn das jetzt die Beschwerdekammer gesehen?
00:01:54: Die Beschwerdekammer ist der Einspruchsabteilung gefolgt, hat hier gemeint, das müssen wir
00:01:58: funktional auslegen und dieses Merkmal verlangt eben nicht zwingend der Echtzeitberechnung oder
00:02:04: irgendeine elektronische Anpassung dieser Maximalgeschwindigkeit, sondern es reicht vollkommen
00:02:10: aus, dass irgendwie eine Maximalgeschwindigkeit bestimmt ist und wie man das macht, ist egal.
00:02:16: Wenn man das konkret festlegen möchte, dann muss man das einfach in den Patentanspruch hineinschreiben,
00:02:22: sonst erfüllt eben auch ein System, bei dem einfach eine Grenze durch Schrauben und Bolzen
00:02:28: festgelegt ist, dieses Anspruchsmerkmal. Gut, also auch mit dem zweiten Merkmal kein Glück,
00:02:33: aber es sind ja nicht nur zwei Merkmale, es sind ja drei Merkmale. Es gibt noch ein drittes und
00:02:39: das ist dann konkret die Gegenkraft oder die Begrenzung der Auslenkung des Joysticks im Wesentlichen.
00:02:47: Da ist auch wieder die Frage der Auslegung. Hier hat man, wie bereits gesagt, mechanische
00:02:53: Endanschläge und Bolzen, die also den Hebel davor bewahrt haben, dass man den weiter in
00:02:58: der Richtung drückt, als es für das Leiterfahrzeug irgendwie schlau ist und die waren in dem System
00:03:04: vorhanden. Der Patentinhaber hat jetzt wieder argumentiert, dass die Gegenkraft auf den Bedienhebel
00:03:11: nicht von der Geschwindigkeit der Leiter abhänge, also schon Abweichung, der Patentanspruch verlangt
00:03:18: ja nur von der Maximalgeschwindigkeit, der argumentiert jetzt, dass die Gegenkraft auf
00:03:25: den Bedienhebel nicht von der Geschwindigkeit der Leiter abhänge und die mechanischen Anschläge
00:03:30: wirken unabhängig von der konkreten Leiterposition und deswegen hat der Patentinhaber gemeint,
00:03:36: dass sei ein Unterschied und daher sind eben nicht dieselben Elemente vorhanden beim
00:03:42: Stand der Technik wie im Patentanspruch. Das ist die Frage oder die Diskussion ist eigentlich,
00:03:48: ist das eine dynamische Auslegung oder eine statische Auslegung, die ich einmal mache,
00:03:52: dass ich das ganze mechanische System halt für gewisse Maximalgeschwindigkeiten auslege
00:03:56: und dementsprechend auch meine Begrenzungen so auslege, dass nichts passiert oder eben das
00:04:02: dynamisch passiert. Genau. Leider hat unser Patentinhaber bei der Einspruchsabteilung hier
00:04:08: wieder Pech gehabt und im Prinzip waren es genau die gleichen Argumente, nämlich wenn er diese
00:04:14: konkrete Auslegung seiner Erfindung haben möchte, dann müssten die Merkmale eben konkret im Patentanspruch
00:04:20: drinnen stehen. Es ist unerheblich, wodurch jetzt diese Begrenzung erfolgt, solange die
00:04:26: Begrenzung so erfolgt, dass eine Maximalgeschwindigkeit eingehalten wird. Im bekannten System wird dann der
00:04:34: Hebel tatsächlich begrenzt, das heißt du kannst den Hebel nicht weiter bewegen als bis zu einer
00:04:39: bestimmten Stellung und das wird auch durch eine Schraube oder durch einen Bolzen eben genauso
00:04:43: fixiert und damit kriege ich eben nur eine bestimmte Geschwindigkeit oder ein bestimmtes
00:04:48: Kippmoment eben hin und so hat die Einspruchsabteilung gesehen, dass damit auch das Merkmal der
00:04:54: Begrenzung gegeben ist. Wie war denn das für mein Verständnis? Also wir haben das erste Merkmal,
00:05:00: das nicht in der Beschreibung war und daher auch nicht entsprechend der Beschreibung ausgelegt
00:05:04: werden konnte. Könnte man sich so vorstellen, oder? Also diese Processing Unit, die war ja nicht in der
00:05:11: Beschreibung näher definiert. Es war eine Processing Unit definiert, aber soweit ich es
00:05:19: verstanden habe, war keine Definition, was eine Processing Unit sein kann in der Beschreibung
00:05:25: ausdrücklich gegeben. Hat sich auch da die Kammer der Einspruchsabteilung angeschlossen? Ja, es war
00:05:30: im Prinzip wieder dieselbe Art, den Patentanspruch zu interpretieren und es wäre auch eigenartig
00:05:34: gewesen, wenn die Kammer jetzt in dem Punkt anderer Meinung gewesen wäre. Also die Funktion der
00:05:39: Begrenzung hängt in dem vorbenutzten Gegenstand mittelbar von der maximalen Geschwindigkeit ab,
00:05:46: da diese durch die mechanischen Endanschläge und die Rückstellung der Hebel festgelegt wird.
00:05:52: Also da ist es relativ klar, eine weite Auslegung und es hängt irgendwie davon ab und das reicht
00:05:59: bereits aus. Und dass es hier also eine strikte Trennung zwischen den Komponenten für die
00:06:06: Bestimmung und für die Begrenzung gibt. Das ist im Anspruch nicht vorgeschrieben. Also da legt
00:06:13: sie den Patentanspruch einfach funktional aus. Diese Mittel können gleich sein, im Prinzip genau
00:06:21: wie man es ja bei elektronischen Geräten auch machen würde. Man geht ja auch nicht davon aus,
00:06:26: dass hier eine Bestimmungseinheit für die Maximalgeschwindigkeit und die Begrenzungseinheit,
00:06:30: dass es jetzt irgendwie zwei schwarze Boxen sind, in denen jeweils zwei Mikrocontroller separat
00:06:36: drinnen sind, die miteinander in Verbindung stehen. Typischerweise wird auch hier die
00:06:39: Signalverarbeitung durch einen Prozessor hervorgenommen, der einfach beide Funktionalitäten in sich
00:06:43: vereinigt. Und das geht natürlich im mechanischen Bereich auch. Und von daher ist die Auslegung,
00:06:49: da kann man hier auch konsistent zu dem, was sie in Bezug auf das Merkmal mit der Bestimmung der
00:06:55: Maximalgeschwindigkeit gesagt hat. Warum ist denn dann die Entscheidung überhaupt in Bezug auf die
00:06:59: G 1/24 relevant? In der G1 aus 24 ging sie um dieses Gathered Sheet bei Ihnen uns, wo die Frage war,
00:07:07: was bedeutet der Begriff Gathered Sheet? Und das war eben entsprechend in der Beschreibung anders
00:07:12: definiert, als es jetzt vielleicht im Collin's Dictionary stehen würde. Was ist da anders?
00:07:17: Ja, also ganz genau erschließt sich es mir auch nicht. Mir kommt ein wenig vor, man wollte hier
00:07:25: schauen, wie weit man mit der Auslegung eines Patentanspruchs kommt. Beim Gathered Sheet
00:07:33: hatten wir eine Definition, die abweichend war, von dem, wie man das üblicherweise oder
00:07:39: normalerweise sieht. Und da war der Patentanspruch irgendwie ungewöhnlich. Hier hatten wir einfach
00:07:44: nur ein Patentanspruch, der ein wenig abstrakter war, als der Gegenstand, der in der Beschreibung
00:07:51: offenbart wurde. Aber jetzt eine konkrete abweichende Definition war dann nicht wirklich gegeben. Es
00:07:59: war halt der Gegenstand offenbart in einer Weise, der halt diese elektronische Implementierung
00:08:04: gezeigt hat. Jetzt gäbe es ja zur Auflösung von diesem Problem verschiedener Ansätze. Also entweder
00:08:09: der Anmelder hätte ja zusätzlich im Merkmal einen Anspruch aufnehmen können, die eben diese
00:08:13: elektronische Umsetzung tatsächlich zeigen. Würde mich dann später auch interessieren,
00:08:18: warum hat er denn das eigentlich nicht gemacht? Also warum ist es denn überhaupt dazu gekommen?
00:08:21: Weil wie würde man es der mechanisch heute sonst machen? Aber abgesehen davon, die zweite Lösung
00:08:26: wäre ja, dass ich jetzt diese Begriffe in den Ansprüchen analog zum Gathered Sheet entsprechend
00:08:31: so auslege, dass sie im Lichte der Beschreibung zu lesen sind. Dazu müsste aber die Beschreibung
00:08:36: doch irgendwas hergeben, dass sie sagt, dieser Begriff ist so zu verstehen. Und wenn ich das
00:08:40: richtig verstanden habe, dann sagt die Beschreibung in dem Fall nur, also in Bezug auf die Processing
00:08:44: Unit, im besten Fall kann so verstanden werden und in Bezug auf die anderen Beispiele und kann
00:08:51: noch was Zusätzliches aufweisen. Aber nicht ist so zu verstehen.
00:08:55: Ja, ich denke auch, dass das der wesentliche Unterschied hier ist. Also dieses konkrete
00:09:01: Verständnis und diese ausdrückliche Definition fehlt hier. Man versucht jetzt einfach dem Anspruchs-
00:09:06: merkmal eine Bedeutung zu geben, die es aufgrund der Beschreibung hat und die sozusagen in der
00:09:13: gesamten Anmeldung mitschwingt. Weil man die Anmeldung liest, die definitiv jünger ist als
00:09:19: diese mechanische Implementierung aus den 1970er Jahren, dann ist vollkommen klar, dass das,
00:09:24: was dahinter mitschwingt, eigentlich immer die elektronische Umsetzung ist. Das ist das, was
00:09:29: gewollt war und das ist glaube ich auch das einzige, woran gedacht war, als die Beschreibung
00:09:34: geschrieben wurde. Aber ist es auch, dass das von Wortlaut her hervorgeht, dass nur das gemeint
00:09:41: war? Ich glaube nicht, dass aus dem Wortlaut hervorgeht, dass nur das gemeint sein kann,
00:09:46: denn man hat es ja elektronisch beschrieben, also man war sicher im Klaren, dass das elektronisch
00:09:51: umgesetzt wurde und im Patentanspruch hat man das Merkmal einfach nicht aufgenommen,
00:09:55: wahrscheinlich um den Patentanspruch möglichst abstrakt zu halten, weil es könnte ja Ausführungsformen
00:10:00: geben, die man dann möglicherweise mit umfasst, ohne sich jetzt auf genau diese offenbarte
00:10:05: Ausführungsform zu beschränken. Das heißt, wir müssen also auch in der G 1/24 differenzieren
00:10:11: zwischen dem, was eben jetzt insgesamt geoffenbart ist als Ausführungsformen, was vielleicht in
00:10:17: Bezug auf die Stützung relevant ist, durch die Beschreibung bzw. eben auch über die Breite
00:10:22: vielleicht und Ausführbarkeit eventuell auch. Und der zweite Aspekt ist der, was ist denn jetzt
00:10:30: eigentlich gemeint mit den Ansprüchen? Und wenn ich so wie hier den Anspruch bewusst breit mache,
00:10:34: so dass ich eben meine, ich will aber auch mechanische Aspekte mitgeschützt haben,
00:10:40: dann muss ich ihn kaufnehmen, dass das dann eben im Sinne der Angora-Cat auch wieder auf mich
00:10:45: zurückfällt. Genau, so hat die Beschwerdekammer auch in ihrem Leitsatz formuliert. Es ist nicht
00:10:51: Aufgabe der Beschwerdekammer, diese Übereinstimmung, also des Patentanspruchs mit dieser gewollten
00:10:57: Auslegung jetzt irgendwie herzustellen, sondern für den Anspruchswortlaut ist letztlich der
00:11:03: Patentinhaber zuständig und jetzt nicht die Beschwerdekammer, nämlich weder ums zu ändern,
00:11:08: noch um da jetzt eine bestimmte Auslegung hinein zu interpretieren, die dann für Dritte völlig
00:11:15: unklar und vage bleibt, zumindest wenn man die Beschwerdekammer Entscheidung nicht liest.
00:11:20: Aber die Argumentation finde ich unglücklich, weil sie nämlich wieder so nebulös bleibt. Also
00:11:25: schlauer wäre es gewesen zu sagen, ja, aber wenn ich alles heranziehe, die Beschreibung und die
00:11:29: Zeichnung und so weiter, dann lässt das grundsätzlich auch noch andere Optionen zu für die Anspruchsauslegung,
00:11:36: die ihm auch das Mechanische mit einschließen. Ich glaube, die Kammer hat es eh so gemeint.
00:11:41: Das heißt, die Kammer sagt da ausdrücklich, ich kann einen Patentanspruch nicht aufgrund
00:11:46: von offenbarten Ausführungsbeispielen auslegen, wenn ich damit eine engere Bedeutung hinkriegen
00:11:54: möchte, als der Anspruchswortlaut für sich ist. Ja, was auch wieder spannend ist, weil das
00:12:01: nämlich bedeutet, ich kann grundsätzlich einen breiteren Schutzbereich haben, als meine Stützung
00:12:05: durch die Beschreibung und die Ausführungsbeispiele hergeben. Absolut. Solange es ausführbar ist,
00:12:11: wäre ich da auch total dabei. Okay, soweit verstanden, kommen wir noch mal zurück. Warum
00:12:17: haben wir es denn nicht einfach eingeschränkt? Ja, der Inhaber hat diese Einschränkung auch
00:12:22: probiert. Das heißt, er wollte den Anspruch, nachdem ihm der Hauptantrag nicht durchgegangen ist
00:12:27: mit einem Hilfsantrag in erster Instanz auf das zurechtstutzen, was neu ist, zumindest. Also so
00:12:34: weit war das jedenfalls klar. Es gab dafür zwei Hilfsanträge und die Merkmale waren da auch irgendwie
00:12:42: in der Beschreibung enthalten und wenn er sie nicht im Wege der Interpretation hineinbringt,
00:12:48: dann kann man die zumindest nachträglich aufnehmen, indem man den Patentanspruch einfach
00:12:54: ändert. Es gab auch einen diesbezüglichen Hilfsantrag und der wurde auch vorgelegt. Da ist
00:12:59: man also konkret auf die Messung der Stellung, der Drehleiter, durch Sensordaten und auf die
00:13:05: Echtzeitfähigkeit eingegangen. Damit hat man all die Probleme durch Änderung umschifft,
00:13:10: die man argumentativ einfach nicht ausräumen könnte. Na gut, aber dann hätte ich erwartet,
00:13:15: Hauptantrag nicht gewährbar, aber Hilfsantrag fertig. Ja, was wird es denn als Einsprechender
00:13:21: dagegen tun, wenn der Patentinhaber mit den neuen Hilfsanträgen erst am zweiten Tag der
00:13:28: mündlichen Verhandlung kommt? Na ja, klassisch, verspätet vorgebracht. Ich konnte mich überhaupt
00:13:33: nicht davor bereiten, ich hatte überhaupt keine Ahnung, was das überhaupt jemals bedeuten
00:13:36: soll und daher bin ich völlig überfordert. Ja, ganz genau, so hat er das gemacht und als
00:13:44: Einsprechender wäre ich natürlich auch dagegen und ich kann natürlich sagen, ich war völlig
00:13:48: überrascht, wie du es auch richtig gesagt hast. Das ist die übliche Argumentationslinie, die man
00:13:53: da vorbringt und ja, am zweiten Tag der mündlichen Verhandlung ist objektiv verspätet und die
00:14:01: Einspruchsabteilung hat dem zugestimmt und hat gesagt, na ja, also die Unterschiede zwischen dem
00:14:06: Anspruch und dem Stand der Technik, der jetzt herangezogen wurde, die war an dem Patentinhaber ja
00:14:13: schon bereits klar zu dem Zeitpunkt, wo der Stand der Technik das erste Mal vorgekommen ist,
00:14:17: wo er zum ersten Mal das Fahrzeug mit all seinen Merkmalen präsentiert wurde. Das heißt,
00:14:22: nicht in der mündlichen Verhandlung bei der Beweisaufnahme, sondern zu dem Zeitpunkt,
00:14:26: wo der Einsprechende dieses Fahrzeug oder die Veröffentlichung dieses Fahrzeugs zum
00:14:30: ersten Mal geltend gemacht hat. Das heißt, für den Inhaber war das weniger überraschend.
00:14:37: Überraschend war vielleicht, dass die Einspruchsabteilung von einer vormals etwas positiveren
00:14:42: Stellungnahme abgewichen ist und jetzt eben gesagt hat, das Fahrzeug ist vorveröffentlicht und
00:14:48: erfüllt auch die Anspruchsmerkmale. Damit hat die Einspruchsabteilung den ersten und
00:14:53: zweiten Hilfsantrag wegen Verspätung zurück gewesen. Das ist natürlich schon spannend,
00:14:58: wenn man einen Tag lang hypothetisch über das alles diskutiert und dann die Einschränkung nicht
00:15:02: zulässt. Da bin ich genau bei dir, also den Punkt finde ich auch etwas hart, also so sehr ich
00:15:09: der Kammer und der Einspruchsabteilung auch zustimme, dass man bei der Auslegung durchaus diesen
00:15:15: funktionellen Weg gehen kann, ist das doch etwas hart. Umgekehrt, ich verstehe es aus Sicht des
00:15:22: Einsprechenden, weil wenn du dich darauf verlasst, dass es nur den Antrag gibt und du auch vom
00:15:27: Stand der Technik jetzt nur das vorbereitest, dann ist es schwierig innerhalb, nicht einmal eines
00:15:33: Tages, sondern in Wahrheit unmittelbar neuen Stand der Technik aus dem Hut zu zaubern,
00:15:37: der dann eben diese Einschränkung auch mit berücksichtigt. Ja, aber auch als Einsprechender
00:15:44: könntest du dich darauf vorbereiten, wenn es die ganze Zeit nur um das Merkmal geht,
00:15:48: dass es vielleicht so einen Hilfsantrag geben könnte. Und es gibt ja genug Fälle, in denen
00:15:54: ja dann sogar die Einspruchsabteilung vielleicht sagt, naja gut, dann nehmen wir halt die Merkmal
00:15:58: auf, damit wir das Patent in dem Umfang haben, in dem es zulässig ist. Also das kann da ja in
00:16:02: der Situation durchaus auch passieren, da hätte ich sagen als Einsprechender, müsstest du fast damit
00:16:08: rechnen. Schon, aber wenn ich das verspätete Vorbringen zulasse vom Patentinhaber, dann
00:16:14: müsste ich theoretisch auch ein verspätetes Vorbringen wieder vom Einsprechenden zulassen
00:16:18: und als Reaktion darauf, und dann ist das ein ewiges, ich habe das eine Vorsitzende,
00:16:22: hat einmal sehr nett gesagt, wir spielen hier ja nicht Pingpong nach dem 16. Mal hin und her.
00:16:27: Ja, irgendwann musst du halt dann einen Schlussstrich ziehen. Irgendwen trifft es. Irgendwen trifft es
00:16:34: halt dann, ja. Die Frage ist, ob es der Patentinhaber oder der Einsprechende ist. Genau. Und es
00:16:40: gab zwar weitere Hilfsanträge, aber die vorhin unter eine von zwei Kategorien, nämlich entweder
00:16:46: nicht neu oder aus den selben Gründen verspätet. Ich glaube es gab 7 oder 8 Hilfsanträge, die wurden
00:16:51: aber alle zurückgewiesen, weil sie entweder nicht neu oder verspätet waren. Gut, das war also die
00:16:56: Ansicht der Einspruchsabteilung. Hat die Kammer das irgendwie anders gesehen oder einfach bestätigt?
00:17:03: Die Kammer hat es einfach bestätigt. Aus dem anderen Grund hier hatten wir ja einen Antrag,
00:17:08: der schon in erster Instanz verspätet war und den kann die Kammer zurückweisen. Die musste
00:17:12: sich halt auch damit auseinandersetzen, ob das in erster Instanz verspätet war. Und ja, die haben
00:17:18: das relativ kurz abgehandelt. Und also gemeint, ja, war in erster Instanz verspätet, daher
00:17:23: schauen wir auch nicht an, damit war es vorbei. Aber es war noch nicht ganz vorbei? Noch nicht
00:17:30: ganz, ja. Was war denn dann? Damit war es mit den Hilfsanträgen vorbei. Okay, mit den
00:17:34: Hilfsanträgen. Was hat sich denn dann noch die Einsprechende bzw. die Patentinhaberin überlegt?
00:17:40: Ja, die einzige Möglichkeit, die es für die Patentinhaberin gab und das war im Prinzip klar
00:17:47: auf dem Zeitpunkt, ab dem die Einspruchsabteilung die Hilfsanträge zurückgewiesen hat, war eben
00:17:54: über die Auslegung zu gehen und deswegen haben wir auch die Auslegung der Patentansprüche so
00:17:58: intensiv diskutiert. Und da hat man sich überlegt, na gut, dann wollen wir vielleicht noch einmal die
00:18:04: Große Beschwerdekammer mit der Angelegenheit befassen. Zumal sich ja diese Entscheidung doch
00:18:10: unterscheidet von dem, was in der Sache G 1/24 so entschieden wurde, nämlich, dass man die
00:18:16: Beschreibung immer heranziehen muss. Und das war so die Argumentation. Der Vorwurf war die
00:18:22: Einspruchsabteilung, aber auch die Beschwerdekammer hätten Beschreibung und Zeichnungen nicht zur
00:18:26: Auslegung herangezogen, wie das in G 1/24 notwendigerweise der Fall ist. Aber wir haben
00:18:32: darüber diskutiert, ob das zu einem anderen Ergebnis geführt hätte oder nicht. War es denn
00:18:36: wirklich so der Fall, dass es nicht herangezogen wurde oder hat einfach das Heranziehen auch zum
00:18:41: gleichen Ergebnis geführt oder wie hat sich denn jetzt die Beschwerdekammer herausgewunden?
00:18:46: Die Beschwerdekammer wollte das offensichtlich nicht vorlegen und die sah sich auch in Linie mit
00:18:52: der Entscheidung G 1/24, nämlich, dass Anspruchsmerkmale auszulegen sind. Sie sind halt nur nicht
00:18:58: so auszulegen, wie es im Einzelfall für die Patentinhaberin günstig gewesen wäre. Und die
00:19:04: Kammer hat sich dann einfach gemacht und hat gesagt, na ja, lieber Patentinhaber, wenn du
00:19:09: wirklich eine Vorlagefrage vorlegen hättest wollen, dann hättest du die auch uns als Kammer
00:19:15: vorlegen müssen. Wenn keine Vorlagefrage vorgelegt wird, dann ist es zurückzuweisen.
00:19:23: Ich halte das Argument insgesamt für vorgeschoben. Es liegt letztlich im Ermessen der Kammer, ob
00:19:28: sie vorlegt oder nicht. Was ist denn die Rechtsgrundlage dafür? Die Rechtsgrundlage dafür gibt es
00:19:33: nicht wirklich. Die Kammer sagt nur, weil die Frage jetzt vom Patentinhaber nicht vorgebracht
00:19:39: wurde, legen wir auch nichts vor. Also ich gehe davon aus, wäre das für die Kammer hinreichend
00:19:44: interessant gewesen, dann hätten sie die Vorlage gemacht, ob der Patentinhaber die Frage stellt
00:19:49: oder nicht. Und im vorliegenden Fall würde ich mal sagen, hätte auch das Vorlegen einer Vorlagefrage
00:19:55: an die Beschwerdekammer nichts gebracht, um die Vorlage an die Große Beschwerdekammer zu
00:19:59: rechtfertigen. Von daher erhalte ich dieses Argument insgesamt ein bisschen für vorgeschoben.
00:20:05: Ich glaube, selbst wenn die Argumentation vielleicht ungünstig ist oder etwas ungünstig ist, also
00:20:12: die Begründung der Einspruchsabteilung und auch der Beschwerdekammer, dann hätte auch die G 1
00:20:17: /24 das nicht unbedingt zu einem anderen Ergebnis geführt. Ja, ich denke auch persönlich finde
00:20:23: ich, dass die Entscheidung ganz gut passt. Der einzige Punkt, der ein bisschen hart ist, ist, wie
00:20:29: wir besprochen haben, die Frage der Verspätung in erster Instanz. Da hätte man sich, wenn man
00:20:35: einen ganzen Tag darüber diskutiert hat, dann vielleicht schon noch darauf einlassen können,
00:20:40: diese Abänderung zuzulassen. Aber was die Auslegung betrifft, finde ich die Entscheidung gut. Ist
00:20:46: aber auch in der Linie mit der derzeitigen Politik des EPAs, dass eigentlich alles an den
00:20:53: Beginn des Einspruchsverfahrens zentriert, zentralisiert wird und eigentlich zunehmend alles
00:21:00: verspätet ist, was später kommt? Absolut, ja, damit muss man rechnen. Es wird nicht einfacher
00:21:07: dadurch, aber im Prinzip müsste man sagen, sobald man irgendeinen Stand der Technik vorgelegt bekommt,
00:21:13: ob er jetzt wirklich Stand der Technik ist, also wirklich vorveröffentlicht ist oder nicht. In beiden
00:21:17: Fällen muss man notwendigerweise darauf eingehen, man kann nicht warten und schauen, ob sich im
00:21:22: Zuge des Beweisverfahrens wirklich herausstellt, dass der Stand der Technik als solcher gilt.
00:21:27: D.h. das Einspruchs- und auch das Beschwerdeverfahren wird immer mehr zu einem One-Shot-Verfahren. Also,
00:21:32: man legt alles vor, was man hat und damit war es. Eigentlich müsste ich dann gar nicht mehr
00:21:36: zur mündlichen Verhandlung gehen. Ja, aber dann würdest du natürlich das schöne Feuerwehrfahrzeug
00:21:40: nicht zu Gesicht bekommen. Ja, wäre schade drum. Ja, wäre schade drum. Ja, dann vielen Dank,
00:21:46: Michael, für dieses ausführliche Gespräch heute und ich freue mich schon auf die nächsten
00:21:51: Entscheidungen, wo es wieder um die G 1/24 geht. Hat mich gefreut. Bis zum nächsten Mal.
00:22:01: Das war ein IP-Courses-Podcast. Für Feedback schreiben Sie uns an podcast@ipcourses.org,
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