G 1/99 - Verschlechterungsverbot ("Reformatio in peius") - Vorlagefragen
Shownotes
In dieser Folge sprechen Fabian Haiböck und Michael Stadler über die Entscheidung G 1/99 der Großen Beschwerdekammer des Europäischen Patentamts. Diese Entscheidung ist unter dem Schlagwort "reformatio in peius" bekannt geworden und stellt den Grundsatz des Verschlechterungsverbots in Hinblick auf die Teilrechtskraft einer Zwischenentscheidung im zweiseitigen Beschwerdeverfahren auf.
Erfindung
Die dem Verfahren zugrunde liegende Erfindung betraf ein spezielles Herstellungsverfahren für retroreflektierende Folien – also Materialien, die Licht (z. B. von Autoscheinwerfern) direkt zur Quelle zurückwerfen und damit etwa Verkehrszeichen oder Warnkleidung bei Dunkelheit sichtbar machen. Dabei werden winzige Glaskügelchen in eine Trägerfolie eingebettet, mit einer Metallschicht beschichtet und durch eine thermoplastische Binderschicht luftdicht versiegelt – in mikroskopisch kleinen Zellen mit Luftspalt, der für die effiziente Rückstrahlung entscheidend ist.
Verfahrensverlauf
Das Patent wurde zunächst nach einer Änderung im Prüfungsverfahren erteilt. Im anschließenden Einspruchsverfahren reichte der Inhaber neue Anspruchsfassungen ein, um Bedenken hinsichtlich Neuheit und erfinderischer Tätigkeit zu entkräften. In der aufrechterhaltenen Fassung wurde insbesondere ein neues Merkmal zum thermischen Verhalten des Bindematerials aufgenommen.
Gegen diese Zwischenentscheidung legte nur der Einsprechende Beschwerde ein, während die Patentinhaberin sich mit dem Resultat zufrieden gab. Im Beschwerdeverfahren stellte sich heraus, dass das eingefügte Merkmal unklar war. Der Patentinhaber versuchte nun, dieses wieder zu streichen – was jedoch eine Erweiterung des Schutzbereichs gegenüber der im Rahmen der Zwischenentscheidung aufrecht erhaltenen Fassung bedeutet hätte und so die Einsprechende als alleinige Beschwerdeführerin schlechter gestellt hätte als wenn sie keine Beschwerde eingelegt hätte.
Vorlagefrage:
"Muß ein - z. B. durch Streichung eines einschränkenden Anspruchsmerkmals - geänderter Anspruch zurückgewiesen werden, durch den der Einsprechende und alleinige Beschwerdeführer schlechtergestellt würde als ohne die Beschwerde?"
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00:00:00: Willkommen beim IP Courses Podcast, dem Podcast für europäisches Patentrecht.
00:00:09: Herzlich willkommen, liebes Publikum, mein Name ist Fabian Haiböck und heute darf ich an meiner
00:00:14: Seite Michael Stadler begrüßen. Herzlich willkommen. Hallo, Servus. Heute haben wir
00:00:20: als erste Mal vertauschte Rollen. Ich darf der Interviewer sein. Ich hoffe, dadurch kommt es
00:00:25: nicht zu einer wesentlichen Verschlechterung. Aber ich glaube, ohne Verschlechterung werden wir
00:00:30: heute nicht auskommen. Welche Entscheidung hast du denn heute mitgebracht? Ja, heute habe ich die
00:00:35: G 1/99 mitgebracht, die auch unter dem Schlagwort Verschlechterungsverbot oder mit dem
00:00:42: schönen Latinisch klingenden Namen "reformatio in peius" bekannt geworden ist. "Reformatio in peius",
00:00:48: der klingelt bei mir, hat jetzt nicht nur im Patentrecht, glaube ich, seine Wurzeln,
00:00:52: sondern auch im Zivilrecht. Du bist ja nicht nur Patentanwalt, sondern tatsächlich auch Jurist,
00:00:58: du hast Jus studiert. Kannst du uns vielleicht ganz kurz erklären, was der Zweck von diesem
00:01:03: Leitsatz "reformatio in peius" ist? Verschlechterungsverbot bedeutet, dass es in der Beschwerde nicht
00:01:12: schlechter werden kann, zumindest dann nicht, wenn der, der die Beschwerde einlegt, der einzige
00:01:16: Beschwerdeführer ist. Die Idee ist die, wir haben eine Entscheidung der ersten Instanz,
00:01:21: in unserem Fall ist eben das Europäische Patentamt im Einspruchsverfahren und wenn jetzt eine
00:01:27: Entscheidung rauskommt, die so unentschieden ist, also wo es so ein Zwischending gibt, also in unserem
00:01:32: Fall eine Beschränkung des Patents, aber keine Zurückweisung des Einspruchs, kein voller Widerruf des
00:01:38: Patents, sondern sowas dazwischen, dann können ja grundsätzlich beide Beschwerde erheben,
00:01:43: der beide nicht genau das gekriegt haben, was sie eben wollten. Und wenn aber jetzt nur
00:01:48: einer Beschwerde einlegt, dann gilt das sogenannte Verschlechterungsverbot, das bedeutet für den,
00:01:53: der Beschwerde einlegt, kann es nicht schlimmer werden. Es soll so ein bisschen die Angst davon
00:01:59: nehmen, dass ich in die nächste Instanz gehe, es soll nichts blöder werden für mich. Genau,
00:02:03: zumindest dann nicht, wann nicht der andere auch noch Beschwerde einlegt. Dann kann es natürlich
00:02:08: auf jeden Fall blöder werden für mich. Das heißt in der Praxis, wenn es so einen Fall geben würde,
00:02:13: sind beide am besten beraten, dass beide einfach die Beschwerde einlegen. In der Situation würde
00:02:18: ich das tun, sofern es nicht völlig abwegig ist. So weit, so gut mal zur "reformatio in peius" zu den
00:02:27: Grundlagen, das EPA hat ja die "reformatio in peius" auch in zwei Großen Beschwerdekammerentscheidungen
00:02:34: angesprochen, um die soll es aber heute nicht gehen. Genau, da war vorher schon so bekannt,
00:02:39: dass es sowas wie das Verschlechterungsverbot insgesamt gibt. Einmal war nur der Patentinhaber
00:02:45: in die Beschwerde gegangen, da war die Frage, kann das Patent dann in der Beschwerde widerrufen
00:02:50: werden? Antwort Nein, weil das, was dann im Einspruch aufrechterhalten wurde, in der Konstellation,
00:02:56: ist eben das Schlechterste, worauf der Patentinhaber zurückfallen kann. Wenn die Beschwerde des
00:03:02: Patentinhabers zurückgewiesen wird, bleibt die erstinstanzliche Entscheidung bestehen und die
00:03:07: sagt eben, dass das Patent nur teilweise aufrechterhalten wird. Umgekehrt geht es natürlich auch, aber
00:03:12: da kommen wir heute eben in so eine Situation, die nicht ganz so einfach war. Okay, also wir sind jetzt am
00:03:18: Ende des Tages keine Juristen, zumindest ich nicht, sondern Patentanwälte. Wir Patentanwälte brauchen
00:03:23: immer etwas Handfestes: eine Erfindung. Um welche Erfindung geht es denn heute? Die Erfindung oder
00:03:28: die gesamte Entscheidung ist auch unter dem Namen des Patentinhabers 3M bekannt geworden. Ich wusste
00:03:33: auch nicht, was das heißt. Das ist Minnesota Mining and Manufacturing, also ein Weltkonzern, der
00:03:38: alles Mögliche tut. Und in der Entscheidung ging es also um ein Rückstrahlmaterial. Ich stelle mir
00:03:45: das so vor wie ein Material, das du irgendwo draufklebst und da sind so Linsen drauf und die
00:03:49: strahlen das Licht einfach besonders gut zurück. Was hat das für ein Einsatz in der Realität? Wenn
00:03:56: irgendeine Fläche leuchten muss, wenn du Fluchtwege beleuchten möchtest oder ähnlich
00:04:00: heißt, dann hast du natürlich die Notwendigkeit, dass du so ein Material irgendwo brauchst, damit
00:04:04: das halt ordentlich rückstrahlt. Und hier haben wir eben ein Verfahren, um so ein reflektierendes
00:04:10: Rückstrahlmaterial eben zu machen. Und die Idee ist, dass da so kleine Linsen in das Material
00:04:16: eingebettet sind. Die Linsen sind für sich schon bekannt gewesen. Es ist also um die Befestigung
00:04:22: gegangen. Ist das korrekt? Ja, genau. Also Linsen gab es, da gab es jede Menge Stand der Technik,
00:04:27: wie man so was machen kann. Und es gab auch Materialien, die haben irgendwie nicht ganz so
00:04:32: gut funktioniert, weil wenn da Wasser drauf kommt, wird dieser Rückstrahleffekt der Linsen
00:04:36: irgendwie vermindert. Und die Idee war also jetzt, ein Rückstrahlmaterial zu bauen,
00:04:40: dass er so wirklich besser reflektiert hat. Und hierfür gab es eben das erfindungsgemäße Verfahren.
00:04:46: Im Prinzip beginnst du mit so einem Trägerstoff und da tust du die Linsen eben drauf. Und dann
00:04:53: kommt eben der Schritt, auf den es dann später auch ankommt. Nämlich, dass man dann auf der einen
00:04:57: Seite eine Schicht aufbringt. Die wird hier Bindeschicht genannt. Die ist also thermoplastisch.
00:05:03: Das ist so eine Art durch Hitze verformbare Kunststofffolie. Und die bringst du von oben so
00:05:09: in Kontakt mit den Linsen, dass die eben nur auf der reflektierenden Schicht, nur auf den
00:05:14: Linsen haften bleibt, aber gerade nicht am Trägermaterial. Das Trägermaterial ziehst du dann ab
00:05:19: von der anderen Seite und dann beschichtest du es von der anderen Seite wieder mit einer
00:05:24: Deckfolie, die ist einfach transparent und dann wird es versiegelt. Und dann hast du diese
00:05:28: Linsen praktisch eingebettet zwischen zwei Schichten und damit kann man dann vernünftiger
00:05:34: agieren. Und schon im Prüfungsverfahren war also dieses in Kontakt bringen von den Linsen und dieser
00:05:41: Bindeschicht so, dass die Trägerfolie nicht mit dran klebt. Irgendwie essentiell. Und darum ging es
00:05:48: auch, damit man die nachher wieder abziehen kann, ohne dass halt alles fest und zusammen
00:05:52: pickt und klebt. Du hast das Prüfungsverfahren jetzt schon angesprochen. Das Prüfungsverfahren verlief
00:06:00: reibungslos. Das heißt, wir sprechen ihm ist ja irgendwo dann auch logisch, wenn es um die
00:06:08: "reformatio in peius" geht. Wir brauchen ein kontradiktorisches Verfahren. Sprich, die wesentliche Thematik wird
00:06:15: sich im Einspruchsverfahren abspielen. Was ist denn da passiert? Genau, Prüfungsverfahren gab
00:06:21: wohl einen Einwand, es gab eine kleine Änderung. Aber im Einspruchsverfahren hat man dann etliche
00:06:27: Neuheitsangriffe. Das Einspruchsverfahren war gar nicht so wahnsinnig spektakulär. Was da auffällig
00:06:33: war, ist, dass das Verfahren relativ alt ist. Wir sprechen davon der G 1/99. Verfahrensrechtlich
00:06:39: sind wir da bei Weitem nicht in der heutigen Zeit. Und das merkt man daran, wie das geführt
00:06:45: wurde. Also der Patentinhaber hat dann neue abhängige Patentansprüche eingereicht. Aus heutiger Sicht
00:06:51: würde das aber nicht funktionieren. Und es gab auch etliche Haupt- und Hilfsanträge, die da
00:06:57: irgendwie wild gemischt wurden. Also diese strenge formalistische Sicht, wie man das heute hat,
00:07:04: das war überhaupt nicht der Fall. Die haben zum Beispiel diskutiert Ansprüche 1 bis 8 aus dem
00:07:10: Hauptantrag und dann die Ansprüche 9 bis 20 aus dem Hilfsantrag 1. Es klingt wie der wilde Westen
00:07:14: ein bisschen. Es ist wie der wilde Westen. Nein, und da wird man auch ganz strikt davon abraten,
00:07:21: dass man jetzt eine Einspruchsabteilung sagt, bitte prüfen wir doch die Ansprüche 1 bis 8 aus
00:07:25: dem Hauptantrag und 9 bis 20 aus dem Hilfsantrag. Ich glaube, das wird nicht gut gehen. Und die
00:07:30: Einspruchsabteilung selbst hat dann noch die Wendung "Lens" eingefügt, ganz am Anfang, um das klar zu
00:07:36: machen. Auch das ist aus heutiger Sicht völlig abwegig. Das tut die Einspruchsabteilung...
00:07:42: Antrags ungebunden. Normalerweise nicht. Die haben halt so irgendwie alle gemeinsam dran
00:07:49: mitgewirkt, da ein Patent draus zu machen, das irgendwie halt weiterhin aufregt.
00:07:54: Ja, das EPA ist ein Amt zum Erteilen von Patenten. Da hat sich wahrscheinlich die
00:08:00: Einspruchsabteilung auch bemüßigt gefühlt, dass sie den Anmelder da unterstützt. Okay,
00:08:06: also Einspruchsabteilung, du hast erklärt viele Anträge verfahrensrechtlich nicht so streng,
00:08:13: wie es heute passiert. Aber welche Aspekte, die für die spätere Große Beschwerdekammer
00:08:20: Entscheidungen relevant sind, hat es da jetzt wirklich gegeben. Was relevant ist,
00:08:26: dass das Patent eingeschränkt wurde. Es gab da mehrere Verfahrensschritte und der Verfahrensschritt
00:08:31: bei dem es darum geht, diese Bindeschicht an dem Gewebe, wo die Linsen drin sind, anzubringen,
00:08:37: wo das Gewebe dann noch abgezogen wird, das dann wegkommt. Dieser Schritt ist relativ
00:08:43: fitzelig oder schwierig gewesen sein und deswegen wurde der Patentanspruch da enorm
00:08:50: eingeschränkt. Und unter anderem gab es da auch eine Beschränkung, die also gesagt hat, es gibt einen
00:08:56: allmählichen Viskositätsverlauf über einen Temperaturbereich von 50 Grad angezeigt durch eine
00:09:04: weniger als um eine Größenordnung verringerte Verlustmodulkurve gemessen in Dyn pro Quadratzentimeter.
00:09:12: Also ich als Nichtfachmann in dem Gebiet verstehe es ohnehin nicht.
00:09:17: Es klingt sehr unhandlich auf jeden Fall. Es klingt sehr unhandlich. Im Endeffekt hat die
00:09:24: Einspruchsabteilung dieses Merkmal aber akzeptiert und zwar sowohl nach Artikel 123 (2) EPÜ, aber das
00:09:33: Merkmal hat in Kombination mit vielen anderen dann auch dazu geführt, dass das neu und
00:09:38: erfinderisch wurde. Okay, so du sagst, die Einspruchsabteilung hat das nicht aus Überschreitung
00:09:43: der ursprünglichen Offenbarung gesehen. Also das sagt ja der Artikel 123 (2) EPÜ aus und so ist es dann
00:09:50: zu einer Zwischenentscheidung gekommen, wonach dieser neue Anspruch als neu und erfinderisch
00:09:55: gewertet wurde. Was waren die Argumente der Gegenseite diesbezüglich? Ja, die haben halt aus dem
00:10:03: Stand der Technik argumentiert, dass dieses und jenes neuheitsschädlich ist. Das waren die Hauptargumente.
00:10:09: Selbstverständlich haben die auch andere Argumente gebracht. Das überschreitet doch die
00:10:17: Offenbarung ist unklar und ähnliches. Also die haben schon aus allen Rohren geschossen grundsätzlich.
00:10:21: Das Hauptargument war aber weiterhin, es ist nicht neu und nicht erfinderisch. Okay, das heißt,
00:10:27: wir haben in diesem Einspruchsverfahren nicht Hauptaugenmerk auf die Überschreitung der
00:10:32: ursprünglichen Offenbarung gehabt. Okay, wird aber dann später wahrscheinlich noch relevant? Wie ist
00:10:39: es weitergegangen? Nein, gar nicht. Interessanterweise, überhaupt nicht. Überschreitung der Offenbarung war
00:10:47: keines der Hauptthemen in der Entscheidung. Auch wenn es immer wieder so rauskommt und wovor die
00:10:54: Entscheidung dann letztendlich verwendet wird, ist es in der Entscheidung selber überhaupt nicht
00:10:58: Thema gewesen. Interessant. Es gab dann, wie es kommen musste, natürlich die Beschwerde des
00:11:04: Einsprechenden. Der Patentinhaber war damit zufrieden. Sonst hätten wir auch diese "reformatio
00:11:09: in peius" Diskussion überhaupt nicht gehabt. Der würde bei den Beschwerden gehen und dann hätte es
00:11:13: halt eine ganz normale Diskussion in zweiter Instanz. Hätte man keine G 1/99 gehabt vielleicht. Also wir
00:11:19: müssen froh sein. Genau, es war nur der Einsprechende, der Beschwerde eingelegt hat,
00:11:24: nicht der Patentinhaber. Okay, was hat der Einsprechende gerügt? Der Einsprechende hat
00:11:31: alles mögliche gerügt, Neuheit, erfinderische Tätigkeit und auch Klarheit, zumindest was
00:11:39: den Hauptantrag betrifft. Und da hat man dann eben die Situation, dass die Beschwerdekammer,
00:11:45: jetzt aufgegriffen hat und gesagt hat, dieses neu eingefügte Merkmal oder die Einfügung des
00:11:51: Merkmals, die diesen Viskositätsverlauf betrifft, die macht den Patentanspruch insgesamt unklar.
00:11:57: Ah Klarheit war das Thema. Klarheit war das Thema. Es war nicht die Überschreitung der Offenbarung,
00:12:03: es war wirklich Klarheit. Das heißt, es muss dann wohl tatsächlich ein Merkmal aus der
00:12:08: Beschreibung gewesen sein, weil wenn es aus dem Anspruch gezogen wäre, sollte die Klarheitsthematik
00:12:14: ja kein Thema sein, oder war das damals noch nicht geklärt? Das war das wissen wir erst seit der
00:12:18: G 3/14. Da hat der Lukas Fleischer gemeinsam mit dem Gerd Hübscher eine Folge dazu gemacht.
00:12:26: Das ist erst ungefähr 15 Jahre später entschieden worden, dass das kein Thema ist,
00:12:31: aber die Beschwerdekammer hier hat es also notwendig befunden, die Klarheit zu prüfen,
00:12:36: dass man das insgesamt in irgendeinem Kontext tut, war damals auch schon klar auf die eine oder
00:12:40: andere Weise so klar ziseliert, wie die G 3/14 das tut nicht. Aber es war ein Problem für
00:12:48: die Kammer und die Kammer hat gemeint, so ist der Patentanspruch jedenfalls nicht gewährbar.
00:12:55: Okay, die Reaktion der Patentinhaberin ist dann welche?
00:13:01: Die Patentinhaberin wollte das Merkmal dann einfach streichen.
00:13:08: Jetzt haben wir das erste Problem.
00:13:11: Jetzt haben wir das erste Problem. Genau, wir haben also die Situation, dass man in der Zwischenentscheidung, die vom Patentinhaber
00:13:18: unangefochten war, eine enge Fassung hatten und der Patentinhaber will jetzt auf einmal
00:13:25: das unklare Merkmal rausstreichen. Würde dann natürlich den Einsprechenden verschlechtern?
00:13:29: Das würde den Einsprechenden verschlechtern, ganz genau so ist es.
00:13:33: Und da haben wir jetzt schon einleitend gehört, da gibt es, auch im Patentrecht, eben diese G-Entscheidung,
00:13:39: die das eigentlich verbieten sollte.
00:13:41: Ganz genau, diese Entscheidung gibt es, also dieser Grundsatz, dass es auch sowas wie Teilrechtskraft
00:13:47: gibt, dass es diese Jetzt haben wir das erste Problem. gibt, dass wenn ich mich nicht gegen eine für mich
00:13:51: nachteilige Entscheidung beschwere, dass ich dann nicht wieder zurück kann, das wissen
00:13:56: wir eigentlich schon.
00:13:57: Was war jetzt dann das Problem in diesem Fall? Weil wenn es eh schon entschieden ist,
00:14:02: man darf es nicht, ganz einfach.
00:14:04: Ganz genau, so hat das natürlich der Einsprechende auch gesehen, also das ist natürlich ganz klar
00:14:10: dessen Position. Und wir hatten auch schon so einige Jahre davor, was die G 1/93 betrifft,
00:14:20: eine extrem harsche Linie, allerdings in einer etwas anderen Konstellation, nämlich bei
00:14:26: der G 1/93 ging es um die Frage des Vergleichs zwischen der erteilten Fassung und der später
00:14:30: aufrecht erhaltenen Fassung.
00:14:32: Wir haben es jetzt ein bisschen anders und vielleicht nur prozessual, die teilrechtskräftige
00:14:37: Fassung gegenüber dem, was man dann in der Beschwerde möchte.
00:14:40: Es sind zwei unterschiedliche Dinge, die man hier miteinander vergleicht, aber bei der
00:14:44: G 1/93 haben wir gesehen, dass das extrem streng gehandhabt werden kann und dass du dann
00:14:50: so in einer Zwickmühle oder unentrinnbare Falle, wurde es auch bezeichnet, drinnen sitzt und
00:14:55: einfach nicht mehr rauskannst. Und genau das hätte unserem Patentinhaber grundsätzlich
00:15:01: hier auch blühen können.
00:15:02: Ja offenbar hat es dann aber auch noch, oder denke ich mir in der Vergangenheit, andere
00:15:08: Rechtsprechungslinien gegeben, die das dann vielleicht näher so streng gesehen haben?
00:15:11: Genau, das ist ja auch der Grund, warum es dann letzten Endes zu einer Vorlage an die
00:15:17: Große Beschwerdekammer überhaupt gekommen ist, nämlich weil unterschiedliche Kammern
00:15:22: diese Situation unterschiedlich gesehen haben und dann mal gemeint haben, naja in
00:15:26: der Situation muss man doch irgendwie einen Ausgleich schaffen und dem Patentinhaber dann
00:15:31: doch die Möglichkeit geben, hier wieder auf eine patentierbare Fassung zurückzukommen.
00:15:37: Die Problematik hier ist ja wirklich, der Patentinhaber hätte ja überhaupt keine Chance gehabt,
00:15:42: sich irgendwie jetzt nur so verteidigen, der war nicht beschwert, der hat keine Beschwerde
00:15:47: einlegen können, sprich der hätte sie in dieses Konstrukt der Jetzt haben wir das erste Problem, also
00:15:52: der war da drinnen, jetzt hat der halt in diesem Fall wirklich keine Möglichkeit gehabt und
00:15:56: ich glaube das ist auch so ein bisschen der Punkt, wo man sich denkt, der bitte irgendwie
00:15:59: eine Chance braucht er schon.
00:16:02: Ja, ich meine aus heutiger streng formalistischer Sicht würdest du natürlich sagen, na bitte
00:16:08: nie im Leben hätte der auf den, also erstens nie im Leben hätte er keine Beschwerde einreichen
00:16:13: dürfen, nie im Leben hätte er vorher schnell auf diesen eingeschränkten Anspruch zurückgehen
00:16:18: dürfen, er hätte fünf Varianten dazwischen bauen müssen, also das ist die heutige Sicht,
00:16:22: ich kann ihm das Rückblick natürlich nicht vorwerfen, damals war es einfach nicht so
00:16:28: streng, aber hier haben wir dann natürlich schon mit dem Verschlechterungsverbot aber
00:16:33: auch mit dieser unentrinnbaren Falle, haben wir dann so die ersten Guillotinen eingebaut,
00:16:40: die also wirklich scharf hineingeschnitten haben und gesagt haben, okay, bis hierher
00:16:43: und nicht weiter.
00:16:44: Okay, also wir haben die Problematik skizziert, wir haben das grundlegende Problem, dass eigentlich
00:16:50: die "reformatio in peius" auch im Patentwesen eine wesentliche Rolle spielt, aber es gibt
00:16:56: Unsicherheit in der Rechtsprechung, sprich, wenn es Unsicherheit gibt, dann ist die Beschwerdekammer
00:17:01: regelmäßig bemüht, diese Unsicherheit beiseite zu schaffen und ich glaube, das hat sie auch
00:17:06: in diesem Fall gemacht, nämlich mit gewissen Fragen an die Große Beschwerdekammer.
00:17:12: Also grundsätzlich geht es jetzt die Frage, wie kriege ich das unklare Merkmal weg oder
00:17:18: soll der Patentinhaber, der ja keine Beschwerde eingelegt hat, irgendwie dieses unklare Merkmal
00:17:24: beiseite schaffen können?
00:17:25: Ja, so detailliert haben sie gar nicht gefragt, interessanterweise.
00:17:30: Okay.
00:17:31: Es war die Klarheit nämlich auch nie ein Thema, die ganze Entscheidung ist nicht auf die Klarheit
00:17:35: beschränkt und wird in der heutigen Sichtweise eigentlich, und du hast das ja zuerst so erklärt,
00:17:42: eigentlich in Bezug auf Artikel 123 (2) EPÜ, als sozusagen Doppelmühle gesehen, um die es hier
00:17:50: gegangen ist.
00:17:51: Genau, die Frage war nämlich die, muss ein, zum Beispiel durch Streichungen des einschränkenden
00:17:58: Anspruchsmerkmals geänderter Anspruch zurückgewiesen werden, durch den der Einsprechende und
00:18:05: alleinige Beschwerdeführer schlechter gestellt würde, als ohne die Beschwerde.
00:18:09: Also damals hat man nur kurz formuliert, es ist nicht ganz so 100%ig Klarheit, aber
00:18:15: im Prinzip geht es darum, wenn ich einen Patentanspruch als Patentinhaber und ausschließlich Beschwerde
00:18:22: beteiligter, aber nicht Beschwerdeführer einreiche, muss dieser geänderte Patentanspruch zurückgewiesen
00:18:29: werden, wenn ich ihn gegenüber der erstinstanzlichen Entscheidung breiter mache.
00:18:34: Puh, okay, ich glaube, diese Frage muss ich jetzt einmal sacken lassen und vielleicht
00:18:42: geht es unseren Zuhörer:innen ja genauso.
00:18:44: Darum würde ich einfach mal vorschlagen, dass wir mit diesem kleinen Cliffhanger diese
00:18:49: Folge mal beenden und uns das Ergebnis für nächste Woche aufheben.
00:18:52: Darum würde ich jetzt einfach mal sagen, vielen Dank fürs Mitbringen dieses interessanten
00:18:56: Falles.
00:18:58: Ja, Servus und bis zum nächsten Mal.
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