T 2027/23 - Feuerwehrfahrzeug I (offenkundige Vorbenutzung / G 1/24 bei der Auslegung)
Shownotes
In dieser ersten von zwei Folgen besprechen Gerd Hübscher und Michael Stadler die Entscheidung T 2027/23 einer Beschwerdekammer des Europäischen Patentamts aus dem Jahr 2025. Im Mittelpunkt steht eine offenkundige Vorbenutzung, die durch Beweisaufnahme eines vorgefahrenen Feuerwehrfahrzeugs nachgewiesen wurde, und die Frage der Anwendung der G 1/24 auf die Auslegung der Anspruchsmerkmale in Hinblick auf deren Verwirklichung. Die Kapitelmarken enthalten Bilder des Feuerwehrfahrzeugs aus der Beweisaufnahme.
Erfindung
Die Erfindung betrifft ein Steuersystem zur Steuerung einer Drehleiter eines Feuerwehrfahrzeugs, das eine Verarbeitungseinheit (M1) umfasst, die eine Neigung eines Eingabevorrichtung in ein Geschwindigkeitssignal umsetzt. Das Steuersystem weist weiters Bestimmungsmittel (M2) zur Bestimmung einer möglichen Maximalgeschwindigkeit und Begrenzungsmittel (M3), die auf die Auslenkung der Eingabevorrichtung einwirken und von der Maximalgeschwindigkeit abhängig sind.
offenkundige Vorbenutzung
Von der Einsprechenden wurde ein Feuerwehrfahrzeug mit Drehleiter (Baujahr 1987) der Feuerwehr Tauberbischofsheim (kurz Fahrzeug TBH) als offenkundige geltend gemacht. Um die Verwirklichung der Merkmale zu beurteilen, wurde das konkrete Fahrzeug TBH beim EPA vorgefahren und dort der Beweis vor Ort aufgenommen. Der tatsächliche Verkauf, das Nichtvorhandensein einer Geheimhaltungsverpflichtung und die bauliche Übereinstimmung des Fahrzeugs TBH in den wesentlichen Merkmalen konnten vom Einsprechenden nachgewiesen werden.
relevante Merkmale
Für die Diskussion der Auslegung sind folgende Merkmale relevant:
- M1: eine Verarbeitungseinheit (14) zur Umwandlung des Betrags der Neigung der Eingabevorrichtung in ein entsprechendes Geschwindigkeitssignal;
- M2: Bestimmungsmittel (18,20) zur Bestimmung einer maximal möglichen Maximalgeschwindigkeit;
- M3: Begrenzungsmittel (22) zur Gegenwirkung oder Begrenzung der Neigung der Eingabevorrichtung entsprechend der bestimmten möglichen Maximalgeschwindigkeit.
Diskussion des ersten Merkmals M1
Hauptstreitpunkt der Diskussion war die Frage, ob die rein mechanisch bzw. hydraulische Verarbeitungseinheit des Fahrzeugs TBH neuheitsschädlich für M1 ist oder ob M1 bzw. das Streitpatent implizit eine elektronische Verarbeitungseinheit fordert. Von der Einspruchsabteilung und in weiterer Folge von der Beschwerdekammer wurde die Ansicht vertreten, dass auch im Lichte der G 1/24 die Beschreibung nicht einschränkend auf M1 wirkt, da nicht festgelegt wird und damit das Fahrzeug TBH tatsächlich neuheitsschädlich für M1 ist.
Diskussion des zweiten Merkmals M2
Auch hier drehte sich die Diskussion darum, ob es sich bei der Bestimmung der möglichen Maximalgeschwindigkeit um eine - elektronisch ermittelte - Echtzeitkomponente handelt oder ob die Bestimmungsmittel gemäß M2 auch - wie im Fahrzeug TBH statisch durch Einstellschrauben - rein mechanisch ausgebildet sein kann. Die Einspruchsabteilung vertrat - auch hier - den Standpunkt, dass die Beschreibung nicht einschränkend wirkt und das Fahrzeug TBH auch für dieses Merkmal neuheitsschädlich ist.
Wie die Beschwerdekammer das Merkmal M2 ausgelegt hat, die Diskussion von M3 und die weiteren Aspekte der Entscheidung hören Sie in der nächsten Folge des IP Courses Podcast.
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Transkript anzeigen
00:00:00: Willkommen beim IP Courses Podcast, dem Podcast für europäisches Patentrecht.
00:00:09: Es freut uns ja ganz besonders, dass unser Podcast den Geist so mancher Zuhörer entzündet.
00:00:15: Wir beschäftigen uns hier aber nicht nur mit brennenden Häusern und dergleichen,
00:00:19: sondern auch mit dem Löschen von Bränden und auch heute in Form eines Feuerwehrfahrzeugs.
00:00:26: Hallo Michael. Hallo Gerd. Michael, wir haben ja zum Ende der letzten Staffel in der Folge 25
00:00:33: die G 1/24 pendelartig diskutiert. Ich kann mich erinnern, ihr habt es mir nicht besonders
00:00:39: leicht gemacht, meinen Standpunkt durchzusetzen. Jetzt ist es so, dass diese G 1/24 langsam
00:00:48: in der Praxis ankommt. Ich sehe das auch schon in manchen Bescheiden vom Europäischen Patentamt,
00:00:53: dass die Prüfer also nicht mehr einfach nur sagen, es sei unklar und deswegen ist alles
00:00:57: neuheitsschädlich, sondern sie machen sich schon die Mühe zu differenzieren und auszulegen,
00:01:02: was aus meiner Sicht sehr begrüßenswert ist. Es gibt auch die ersten T-Entscheidungen,
00:01:07: die da relevant sind und du hast heute die T 2027/23 mitgebracht. Ja, ganz genau. Da ging es,
00:01:15: wie du eben schon gesagt hast, um ein Feuerwehrfahrzeug. Vielleicht ist es geschickt,
00:01:20: zu erklären, worum ging es bei der Erfindung eigentlich. Wir haben da ein Steuersystem zur
00:01:25: Steuerung der Bewegung eines Hubgeräts. Also konkret ging es um die Drehleiter eines Feuerwehrfahrzeugs,
00:01:31: die man idealerweise auch heben und senken kann, möglicherweise auch zur Seite drehen. Es gibt
00:01:37: dabei eine manuell bedienbare Eingabevorrichtung, also im Wesentlichen ein Ding, das wird Joystick
00:01:43: funktioniert. Und zumindest in einer Raumrichtung kann man diesen Joystick eben neigen. Also zum
00:01:50: Beispiel, um die Leiter anzuheben oder abzusenken, kannst du den nach vorne oder hinten ziehen.
00:01:55: Jetzt gibt es dann eben die Notwendigkeit, dass die Drehleiter begrenzt ist, damit du die nicht
00:02:00: beliebig in die Höhe fahren oder beliebig nach unten fahren kannst und vielleicht sogar beschädigst.
00:02:04: Und deswegen gibt es da zunächst eine Verarbeitungseinheit zur Umwandlung dieser Neigung von dem
00:02:11: Joystick in ein entsprechendes Geschwindigkeitssignal, dann eine Betätigungseinheit, mit der du also
00:02:18: jetzt wirklich diese Drehleiter anheben kannst, also zur Bewegung des Hubgeräts mit einer Geschwindigkeit,
00:02:24: entsprechend dem Geschwindigkeitssignal, das von dem Joystick kommt. Und dann müssen wir jetzt
00:02:29: letztendlich noch darauf schauen, dass die Drehleiter jetzt innerhalb bestimmter Rahmenbedingungen
00:02:34: bleibt und deswegen brauchen wir ein sogenanntes Begrenzungsmittel. Das wirkt der Neigung dieses
00:02:40: Joysticks der Eingabevorrichtung entgegen und zwar entsprechend einer bestimmten
00:02:47: Maximalgeschwindigkeit und diese Maximalgeschwindigkeit wird bestimmt durch sogenannte Bestimmungsmittel,
00:02:53: die uns eben vorgeben, wie groß die maximale Geschwindigkeit gerade ist. Dazu wurden auch
00:02:59: Verfahren und Computerprogramme beansprucht. Klingt das einigermaßen komplizierter,
00:03:04: aber im Grunde geht es darum, ich habe einen Joystick, mit dem ich die Drehleiter steuern kann
00:03:07: und es geht darum, wie wird dieses Signal des Joysticks letztendlich verarbeitet,
00:03:11: dass ich nirgends anfahre mit der Feuerwehrleiter. Genau, da hast du natürlich schon ein Merkmal
00:03:16: reininterpretiert, nämlich dass ich da ein Signal habe, das irgendwie verarbeitet wird,
00:03:21: das vielleicht sogar elektronisch verarbeitet wird, darauf wird es dann noch sehr einkommen.
00:03:25: Okay, jetzt gab es da ein Prüfungsverfahren, wir wollen ein Podcast aber nicht ausufern lassen,
00:03:31: daher gehen wir gleich dorthin, wo es interessant war, nämlich im Einspruch. Genau, da gab es
00:03:37: einen Einspruch wegen mangelnder Neuheit, der sich auf eine offenkundige Vorbenutzung stützte
00:03:42: und das war das erste Interessante, was vielleicht mit unserer Entscheidung G 1/24 nichts zu tun
00:03:47: hat, das aber trotzdem eher selten und spektakulär ist. Was ist denn darin spektakulär? Offenkundige
00:03:56: Vorbenutzungen sind für sich schon mal eher selten, weil das Patentamt gern "papierern"
00:04:02: verhandelt, würde ich mal sagen, und sich sozusagen auf Vorveröffentlichungen stützt,
00:04:06: die man irgendwie in den Aktendeckel gehen kann. Jetzt kann man ja auch offenkundige
00:04:11: Vorbenutzungen in Papier nachweisen, typischerweise passiert es auch, dass ich irgendwelche Fotos
00:04:15: habe, datierte Fotos oder sonstige Unterlagen, die halt auf diese offenkundige Vorbenutzung
00:04:20: also eine Veröffentlichung hinweisen. Ja, hier ging es eben um ein Feuerwehrfahrzeug und das
00:04:25: Schöne an dem Feuerwehrfahrzeug war, es war tatsächlich greifbar und vielleicht sogar noch
00:04:30: in Betrieb, in Verwendung und zwar war das verfügbar bei der Feuerwehr Tauberbischofsheim. Ich
00:04:36: weiß nicht ob im Museum oder in echter Benutzung, aber jedenfalls wurde das im Jahr 1987 verkauft
00:04:43: an diese Feuerwehr und zwar ging es um ein Drehleiterfahrzeug, das kann man sich so vorstellen,
00:04:48: das Chassis hat man von Daimler-Benz gekauft und ein anderes deutsches Unternehmen, das
00:04:53: später vom Einsprechenden gekauft wurde, so wie es aus dem Akt hervorgeht, hat dann
00:04:57: die Drehleiter oben draufgesetzt, sodass die Feuerwehrleute halt dann zum Brandherd relativ
00:05:02: freie Zugang hatten. Der Verkauf an sich war unbestritten. Der Verkauf allein reicht ja noch
00:05:08: nicht notwendigerweise, damit das wirklich eine Veröffentlichung ist, vor allem nämlich an,
00:05:12: dass irgendwie das Problem bestand, was denn wirklich technisch jetzt in diesem Feuerwehrfahrzeug
00:05:17: verbaut wurde. Wie kam es denn dann tatsächlich zu den Beweismitteln? Ja, das Fahrzeug selbst war
00:05:23: offenbar noch vorhanden und wahrscheinlich auch noch fahrtauglich. Jedenfalls hat das Fahrzeug dann
00:05:28: seinen Weg genommen von Tauberbischofsheim zum Europäischen Patentamt nach München. Das
00:05:33: sind ungefähr 300 Kilometer. Tauberbischofsheim liegt im Nordosten von Baden-Württemberg.
00:05:38: Die haben das Fahrzeug dann einfach als Beweismittel beim Europäischen Patentamt vorgefahren, es stand
00:05:44: dann wirklich auf dem Parkplatz und konnte dort dann von der Einspruchsabteilung und von den
00:05:48: Parteien besichtigt werden. Das heißt, die haben dann selbst Fotos gemacht und alles notwendige
00:05:56: dokumentiert. Wirklich schön, dass das einmal so hands-on passiert am Objekt. Ja, ich kann mir mal
00:06:00: vorstellen, dass die alle sehr gespannt gewesen sind, wie das Feuerwehrfahrzeug wirklich ausschaut und
00:06:05: manchmal jemand anbietet, das Fahrzeug vorzufahren und dann kann man sich auch anschauen, zum Alter
00:06:09: Weg nicht besonders weit ist. Ich würde auch mal meinen, wenn die angeboten hätten, das Feuerwehrfahrzeug
00:06:14: in Tauberbischofsheim zu besuchen und zu besichtigen, wäre das Europäische Patentamt sicherlich
00:06:19: zurückhaltender gewesen. So war es halt recht einfach und man konnte sich ein altes Feuerwehrfahrzeug
00:06:23: anschauen. Das ist auch was Schönes. Jetzt war aber das Feuerwehrfahrzeug nicht allein,
00:06:28: sondern es ist noch jemand mitgekommen. Ja, es ist noch wer mitgekommen, also neben einigen schriftlichen
00:06:33: Zeugenaussagen von Leuten, die tatsächlich dabei waren, als dieses Feuerwehrfahrzeug offenbar
00:06:38: verkauft wurde, war auch noch ein Dienstnehmer des Einsprechenden mit dabei. Wie gesagt, die haben
00:06:44: diese Herstellerin vor dem Drehleiterfahrzeug gekauft und der hat offenbar in eigenen Archiven
00:06:49: herausgefunden, dass es das Drehleiterfahrzeug gibt und so ist es offenbar auch zu dem Einspruch
00:06:54: gekommen und nach eigenen Aussagen hat er sich da aber nur auf Angaben von früheren Mitarbeitern
00:06:59: gestützt. Er selbst war nicht dabei, als das Fahrzeug verkauft wurde, er ist ja doch schon
00:07:03: einige Zeit her. Und bei der Zeugenaussage ging es um verschiedene Dinge, auch um die Praxis des
00:07:09: Verkaufs und wie diese Fahrzeuge übergeben wurden, auch darum, ob hier Geheimhaltungsvereinbarungen
00:07:15: getroffen wurden oder nicht. Das ist also gesagt, der Verkauf an sich war unstrittig, das Fahrzeug
00:07:20: war auch offensichtlich da. Ich nehme an, in der Beweiskette fehlt jetzt nur noch die Verbindung
00:07:24: von beiden. Also wurde dieses Fahrzeug verkauft und eben, wie du sagst, unter welchen Umständen
00:07:28: gab es da Geheimhaltung oder nicht? Genau, es war einerseits die Geheimhaltung, andererseits,
00:07:32: was auch noch dazwischen diskutiert wurde, ist, ob sich das Fahrzeug in der Zwischenzeit geändert
00:07:38: hatte, ist es genau so, wie es damals verkauft wurde oder ist es erst nach dem Anmeldetag
00:07:42: abgeändert worden. Beides konnte nachgewiesen werden. Man muss aber sagen, die Beweislast ist
00:07:48: generell sehr, sehr groß dafür. Aber der Einsprechende hat seine Hausübungen gemacht,
00:07:53: also alle Produktionsnummern von dem Fahrzeug haben zusammengepasst und die Chronologie hat also
00:07:58: für das Europäische Patentamt ein schlüssiges Bild ergeben. Und auch Änderungen waren jetzt
00:08:02: nicht so ein Problem. Das Fahrzeug hat sich im Großen und Ganzen nicht geändert, es wurde nun
00:08:06: gezeigt. Nach 32 Jahren im Dienst wurde die Drehleiter durch eine Drehleiter mit Korb vorne
00:08:12: ergänzt, sodass die Feuerwehrleute am Ende der Drehleiter bequem stehen konnten und dann
00:08:17: ihr Wasser verspritzen zum Beispiel. Für die Merkmale selbst hat das allerdings keinen Unterschied
00:08:23: gemacht. Abgesehen von Kuriosum des vorgefahrenen Feuerwehrfahrzeugs und der offenkundigen Vorbenutzung
00:08:29: gab es also da keine Schwierigkeiten im Beweismittelverfahren? Nein, man hat noch darüber diskutiert,
00:08:35: ob die Zeugenaussage, die da auf dem Hörensagen beruht, ob denn das jetzt irgendwie zweifelhaft
00:08:41: ist. Aber im Endeffekt, das war so ein Punkt, hat es die Gesamtwürdigung der Beweise ein
00:08:46: recht schlüssiges Bild ergeben, nämlich dass das Feuerwehrfahrzeug mit all seinen Eigenschaften,
00:08:51: die es hatte, insgesamt vorveröffentlicht ist. Es wurde im Beschwerdeverfahren dann auch ein
00:08:56: bisschen bekrittelt noch von der Patentinhaberin natürlich. Die Beschwerdekammer hat aber
00:09:01: hergesagt, ich kann eine Beweiswürdigung durch die erste Instanz nur unter relativ eingeschränkten
00:09:07: Voraussetzungen prüfen, zum Beispiel an essentielle Punkte übersehen wurden, das heißt die, die
00:09:11: einfach nicht nachgeschaut hätten, was bestimmte Merkmale betrifft. Das ist allerdings nicht der Fall,
00:09:16: wenn man sich auf irgendwelche irrelevanten Punkte verlässt und falsche Schlussfolgerungen trifft,
00:09:20: oder wenn das Ganze überhaupt irgendwie ein absurder Verstoß gegen die Gesetze wäre. Das
00:09:25: alles lag aber hier nicht vor. Vor allem, weil auch die Beweiswürdigung selbst erkennen,
00:09:32: Lisa, weil man aufgrund von der Beweiswürdigung selbst erkennen konnte, dass die Zeugenaussage
00:09:38: jetzt nicht den alleinigen Ausschlag gegeben hat, sondern dass das einfach nur ins Gesamtbild
00:09:42: passt. Die Einspruchsabteilung hat es ja genau so gewürdigt und daher war die Sache für die
00:09:47: Beschwerdekammer kein Problem. Das heißt auch, die hat angenommen, dass das Fahrzeug so wie es
00:09:51: dagestanden ist vorveröffentlicht war. Meinst du wirklich, dass die Beweiswürdigung nicht
00:09:56: überprüft ist oder die Beweisaufnahme? Beides. Also die Frage, wie das chronologisch schön
00:10:02: zusammenpasst und ob das ein schlüssiges Bild ergibt, ist eine Frage der Beweiswürdigung,
00:10:06: während die Frage, ob alle geladen worden sind und ob alle dabei waren, ob jeder überall Zugang
00:10:13: hatte, so wie es ist, wäre eine verfahrensrechtliche Frage der Beweisaufnahme. Wenn man denkt,
00:10:17: die Beweiswürdigung könnte man ja, also wenn ich die Beweisaufnahme habe, dann kann ich an sich
00:10:20: die Beweiswürdigung lückenlos nachvollziehen. Aber eben die Beweisaufnahme an sich kann ich nicht,
00:10:25: weil ich eben den Beweis nicht noch einmal aufnehmen kann. Ich glaube, die Kammer könnte es
00:10:30: sogar aber, die wird sich hüten, das jetzt noch einmal zu tun. Also das Fahrzeug wäre wohl
00:10:33: verfügbar gewesen. Außer sie wollten es auch anschauen. Ja, auch als Beschwerdevorsitzender
00:10:38: wäre ich persönlich sehr stark geneigt, mir das Feuerwehrfahrzeug noch mehr anzuschauen,
00:10:42: weil es einfach ein schönes technisches Gerät ist, aber das wäre vielleicht zu aufwendig gewesen.
00:10:49: Es gab es da noch einen kleinen Sidekick und zwar ging es da um einen Copyright-Hinweis,
00:10:54: wenn ich nicht irre. Genau, bei den Verkaufsunterlagen war es dabei, dass zwischen den Parteien klargestellt
00:11:02: wurde, dass bestimmte Unterlagen einfach dem Urheberrecht unterliegen. Das heißt also der
00:11:07: damalige Verkäufer hat gesagt, bestimmte Unterlagen, die im Zuge des Verkaufs übergeben wurden,
00:11:13: die gehören urheberrechtlich gesehen jetzt weiterhin dem Verkäufer. Der Einwand ziehlt dann
00:11:20: darauf ab, dass man sagt und weil es diesen Urheberrechts-Hinweis gibt, ist es ein Zeichen dafür,
00:11:25: dass es unter Geheimhaltung übergeben wurde. Auf diese Art und Weise hat zwar der Patentinhaber
00:11:31: versucht, das funktioniert aber so nicht, also der Urheberrechts-Hinweis bringt nicht, wenn es
00:11:35: um patentrechtliche Öffentlichkeit geht. Die Kammer sagt hier zurecht, Copyright-Hinweise gibt es bei
00:11:40: allen möglichen Büchern oder sonstigen Dokumenten, die sind urheberrechtlich geschützt, nichtsdestotrotz
00:11:46: sind sie öffentlich verfügbar, man darf sich halt nicht beliebig weiter vervielfältigen, aber die
00:11:51: an der öffentlichen Verfügbarkeit ändert das überhaupt nichts. Es gibt also einen Unterschied
00:11:55: zwischen etwas nicht öffentlich machen dürfen und etwas nicht weiter verbreiten dürfen im
00:12:00: urheberrechtlichen Sinne und nur dann, wenn ich etwas nicht öffentlich machen darf, nur dann bin ich
00:12:06: im Bereich der Geheimhaltung. Wir haben jetzt sehr, sehr lange theoretisch über dieses ganze
00:12:11: Beweismittelverfahren, Verfahrensrecht diskutiert, aber warum es bei uns ja immer geht im Podcast
00:12:16: ist, dass wir uns wirklich die Technik im Kern anschauen. Es würde mich also interessieren,
00:12:20: jetzt wo wir wissen, dass also grundsätzlich etwas veröffentlicht wurde, was ist denn veröffentlicht
00:12:26: worden und wie hängt das mit unserem Anspruch zusammen? Es gab insgesamt drei Anspruchsmerkmale,
00:12:31: bei denen strittig war, ob sie erfüllt sind und der Hintergrund oder der Grund, warum das strittig
00:12:36: war, ob sie erfüllt sind oder nicht, lag darin, dass der Patentanspruch niemals diese elektronische
00:12:41: Datenverarbeitung erwähnt hat, sondern immer nur relativ abstrakt auf die Steuerung eingegangen ist.
00:12:47: Und da konnte man halt meinen, dass dieses relativ alte Fahrzeug, in dem es noch nicht so etwas wie
00:12:52: einen Computer gab, der das gesteuert hat, sondern wo das noch tatsächlich durch manuelle
00:12:58: Bowdenzüge stattgefunden hat, ob das durch dieses Fahrzeug wirklich erfüllt ist.
00:13:04: Kann mich jetzt auch nicht unbedingt an Force Feedback Joysticks aus 1987 erinnern. Ich glaube,
00:13:09: die kamen erst später. Die kamen erst später, ja, das ist völlig richtig. Nichtsdestotrotz
00:13:15: kann es ja sein, weil man Patentanspruch soweit formuliert, dass Dinge drunter fallen, mit denen
00:13:22: man möglicherweise nicht gerechnet hat, dass die die Anspruchsmerkmale auch noch erfüllen und
00:13:27: darum ging es hier jetzt einmal als erstes. Also ich würde die Merkmale einfach der Reihe nach
00:13:31: durchgehen. Das erste Merkmal und das es ging ist die Processing Unit. Also die Einheit, die überprüft,
00:13:38: wie weit dieser Joystick ausgelenkt ist. Wenn man sich da moderne Implementierung vorstellt,
00:13:44: dann kann ich mir denken, da gibt es halt einen Joystick, der irgendein der elektronisches
00:13:48: Ausgabesignal liefert und irgendein Mikrocomputer, der da nachgeschalten ist, der halt dieses
00:13:54: Signal, das der Joystick liefert, halt weiterverarbeitet und weiter verschickt. Der Anspruch zwingt
00:14:00: uns aber nicht dazu, so was vorzusehen und der Einspruch hat jetzt gesagt, so ging es
00:14:04: grundsätzlich auch mechanisch. Und auch unser Feuerwehrfahrzeug hat das mechanisch erfüllt und
00:14:10: zwar über so Seilzüge, man nennt die Bowdenzüge, die können wohl Zug und Druck gleichzeitig übertragen.
00:14:15: Dann gab es dann noch einen Verlangsamungsblock und Gestänge, die das auf einen Schieberblock
00:14:21: übertragen und dort gab es ein hydraulisches System, das dann unsere Leiter angesteuert hat.
00:14:25: Nirgends gab es da irgendwo eine elektronische Signalübertragung, sondern das war rein mechanisch
00:14:29: umgesetzt. Jetzt riecht oder schmeckt das schon richtig nach der G 1/24. Wenn ich mir das so ansehe,
00:14:37: dann war also der Anspruch sehr breit gefasst. Ich nehme an in der Beschreibung, war das gestütztes
00:14:41: Patent im Wesentlichen durch diese elektronischen Mittel, die eben State of the Art sind und wir
00:14:46: haben den Stand der Technik, der das jetzt sehr mechanisch und altbacken umgesetzt hat und die
00:14:51: Frage war, passt das jetzt zusammen, ist das gleiche, ist das neuheitsschädlich und damit
00:14:55: eben, wie sind die Merkmale im Anspruch eigentlich auszulegen? Ja, der Patentinhaber hat es natürlich
00:14:59: genau auf die Weise probiert, hat auf die Beschreibung verwiesen und hat gemeint, naja, meine
00:15:03: Steuerungseinheit, die muss elektronisch sein, alles andere, wäre irgendwie unpraktisch und altbacken,
00:15:08: wie du sagst. Er hat auch noch auf das Collin's Dictionary verwiesen, in dem klar beschrieben
00:15:13: wurde, was unter Processing Unit zu verstehen ist, nämlich "the part of a computer that performs
00:15:19: logical and arithmetical operations" und hat damit versucht, diesen Teil, also jetzt als
00:15:24: notwendigen Teil der Anspruchsauslegung da hinein zu interpretieren. Wie du dir vorstellen kannst,
00:15:29: war der Einsprechende anderer Meinung, der hat also gemeint, dass der Begriff funktional zu
00:15:35: verstehen sei und das hat dann auch die Einspruchsabteilung geglaubt. Entscheidend ist ja einfach
00:15:42: nur die Umwandlungsfunktion, wie ich also dieses Signal bekomme und nicht unbedingt, dass das
00:15:47: elektronisch vonstattengeht und ein Signal kann selbstverständlich auch die Auslenkung eines
00:15:54: bestimmten Zugs sein, die dann über mechanische Wege übertragen wird. Ja gut, jetzt finde ich das
00:16:01: Argument der Processing Unit zumindest schon nicht ganz unschlüssig zumindest. Wie denn hat
00:16:06: das die Beschwerdekammer gesehen? Die Beschwerdekammer hat das gesehen, wie die Einspruchsabteilung
00:16:12: und hat also gemeint, was jetzt genau eine Processing Unit sein soll oder nicht. Das ist im
00:16:19: Patent jetzt nicht wirklich definiert, zumindest nicht eindeutig und auch in der Anspruchsformulierung
00:16:25: ist es offen gelassen, sodass man sich hier auf eine funktionale weite Auslegung eben bezogen hat.
00:16:30: Ob die Umwandlung und wie die Umwandlung genau erfolgt, ob das jetzt elektrisch, mechanisch oder
00:16:36: vielleicht sogar hydraulisch ist, ist eigentlich im Patentanspruch nicht festgelegt und eine Variante
00:16:42: eine Umsetzungsvariante davon ist beschrieben, aber dass das die einzige ist, ist überhaupt nicht
00:16:48: klar und damit ist der Patentanspruch auch für andere Auslegungen offen und das mechanische
00:16:55: System entsprechend der Vorbenutzung erfüllt zumindest dieses Merkmal der Steuereinheit.
00:17:01: Das ist aber doch interessant. Das heißt, wenn die Processing Unit jetzt andersherum formuliert,
00:17:07: in der Beschreibung entsprechend definiert gewesen wäre als Teil eines Computers, dann hätte man es
00:17:13: einschränkend lesen können, wenn es aber im Collin's Dictionary drinnen steht, nicht? Ja,
00:17:17: das ist offenbar die Meinung, zu der die Kammer gekommen ist, weil das Collin's Dictionary
00:17:22: vielleicht auch nur eine Möglichkeit der Sichtweise hier bildet. Also was eine Processing Unit
00:17:28: tatsächlich ist, da wollte sich die Kammer jetzt nicht auf eine bestimmte Einschränkung festlegen.
00:17:36: Man kann es auch von der anderen Sichtweise sehen und sich immer überlegen, wie hätte man denn
00:17:41: das vielleicht im Verletzungsverfahren gesehen, würde dann auch jede beliebige mechanische
00:17:46: Verbindung und jede beliebige mechanische Signalverarbeitung, die diese Voraussetzungen erfüllt,
00:17:52: die würde man doch eigentlich dann auch als Processing Unit sehen und als patentverletzend
00:17:57: ansehen. Also was man von der anderen Seite betrachtet, hätte glaube ich die Patentinhaberin
00:18:02: eine große Freude damit gehabt, zum Beispiel auch das hydraulische System oder meinetwegen
00:18:07: auch optisches System, als vom Patentanspruch erfasst anzusehen. Na gut, es ist mir noch immer
00:18:14: nicht ganz klar, aber gehen wir mal zum nächsten Merkmal. Es war ja nicht nur die Processing Unit,
00:18:19: sondern diese Processing Unit hat ja auch Dinge gemacht, sie hat zum Beispiel die
00:18:23: mögliche Maximalgeschwindigkeit bestimmt. Genau, es gab da Mittel zur Bestimmung einer
00:18:31: maximalen Geschwindigkeit, konkret von der Leiterbewegung und abhängig von der jeweiligen
00:18:39: Konstellation der Leiter zumindest war die Abhängigkeit von der jeweiligen Position oder
00:18:45: Ausrichtung der Leiter das, was die Patentinhaberin dem Merkmal unterstellen wollte. Die Patentinhaberin
00:18:52: wollte da ganz konkret so eine gewisse Echtzeitfunktionalität darunter verstanden wissen und das war
00:18:58: auch in der Beschreibung ohne weiteres beschrieben. Was war denn im Stand der Technik? Also mechanisch
00:19:06: eine Maximalgeschwindigkeit zu bestimmen ist ja gar nicht so trivial. Im bekannten Feuerwehrfahrzeug
00:19:12: gab es für die Leiterbewegung einfach nur Verlangsamungsblöcke und Anschläge, also Bolzen und
00:19:18: Schrauben, die also die Bewegung insgesamt begrenzt und diese Einstellschrauben, die wurden
00:19:23: vor der Inbetriebnahme festgelegt und konnten während des Betriebs auch nicht verändert werden, weil es
00:19:27: grundsätzlich gefährlich gewesen wäre. Es kam also zum Streit zwischen den Parteien, wie man jetzt
00:19:33: den Patentanspruch auszulegen hatte. Der Inhaber hat jetzt wieder gesagt, naja, das ist im Licht
00:19:39: der Beschreibung auszulegen und dort wird ja die mögliche Maximalgeschwindigkeit in Echtzeit und zwar
00:19:46: aufgrund der aktuellen Konstellation oder der aktuellen Stellung der Leiter bestimmt. Und dagegen
00:19:54: und das Argument ist durchaus plausibel, es ist ja was anderes, ja, dagegen sind die Einstellschrauben
00:19:59: in dem bekannten System ja einfach nur statisch. Man kann die während des Betriebs gar nicht ändern,
00:20:04: das wäre vielleicht sogar gefährlich, die rauszuziehen. Das heißt, die Bestimmung der
00:20:09: Maximalgeschwindigkeit, diesem Merkmal unterstellt der Patentinhaber notwendigerweise auch eine
00:20:16: Echtzeitmöglichkeit der Abänderung dieser Maximalgeschwindigkeit. Jetzt war ja im Patentanspruch
00:20:24: nur gefordert, die Bestimmung der Maximalgeschwindigkeit. In der Beschreibung steht wohl, dass diese
00:20:31: Maximalgeschwindigkeit in Echtzeit und in Abhängigkeit der Leiterkonstellation und so weiter
00:20:37: bestimmt werden soll. Aber aus meiner Sicht sind das ja eigentlich zusätzliche Merkmale und nicht
00:20:41: unbedingt Dinge, die jetzt die Bestimmung an sich oder nicht notwendigerweise näher kennzeichnen.
00:20:45: Wie hat denn das die Einspruchsabteilung gesehen? Ja, die hat das ganz genauso gesehen, wie du es auch
00:20:50: geschildert hast. Nämlich hat das als zusätzliche Merkmale gesehen, die ich jetzt im Wege der
00:20:55: Auslegung da nicht einfach hinzufügen kann. Also, dass etwas in Echtzeit geändert wird,
00:21:00: ist einfach ein weiteres Merkmal und nicht notwendigerweise eine Auslegung eines bestimmten
00:21:05: Merkmals. Weil man natürlich zugeben muss, dass die Grenzen hier durchaus fließend sind. Also,
00:21:09: dass ein Merkmal ein weiteres mitimpliziert oder nicht, darüber kann man natürlich streiten. Und
00:21:15: ob wenn mitschwingt, dass wir hier ein elektronisches System haben, dass die Echtzeit sozusagen
00:21:21: ein notwendiger Bestandteil ist, das kann man so oder so sehen. Die Einspruchsabteilung hat aber
00:21:27: hier gemeint, die Beschreibung des Anspruchs ist hinreichend klar. Wir brauchen da jetzt nicht
00:21:32: noch irgendwelche weiteren Merkmale hineininterpretieren. Das ist klar, was die gemeint
00:21:36: haben. Und die Einstelleschrauben und Bolzen, die also hier die maximale Geschwindigkeit bestimmen
00:21:43: können, die reichen vollkommen aus, um das Merkmal zu erfüllen. Also, wir haben einmal in
00:21:49: Bezug auf das erste Merkmal das Argument gehabt, dass die Processing Unit alles sein kann. Und wir
00:21:55: können das Dictionary nicht heranziehen, in der Beschreibung steht nichts und deswegen ist es
00:22:00: breit auszulegen. Und jetzt die Argumentation. In dem Anspruch steht nur Bestimmen der Maximalgeschwindigkeit.
00:22:07: In der Beschreibung stehen zusätzliche Merkmale, die aber nicht in den Anspruch aufgenommen wurden.
00:22:13: Und ich kann jetzt nicht die Interpretation dieses einen Merkmals, das aufgenommen ist, so verstehen,
00:22:20: als dass ich es durch zusätzliche Merkmale einschränke, die eben in der Beschreibung stehen,
00:22:23: aber gerade nicht aufgenommen worden sind. Genau, das ist der große Nachteil. Wenn du
00:22:28: Merkmal in die Beschreibung hineinschreibst, die dann im Patentanspruch fehlen, du kannst
00:22:33: sie zwar aufnehmen, aber sie gelten nicht notwendigerweise und automatisch als aufgenommen.
00:22:37: Ob das die Beschwerdekammer genauso gesehen hat, wie die Einspruchsabteilung, das werden wir in der
00:22:43: kommenden Woche weiter diskutieren und zwar in der zweiten Folge zur T 2027/23 zur Steuerung
00:22:50: der Drehleiter eines Feuerwehrautos. Ich freue mich schon darauf, mit dir, Michael, weiter darüber
00:22:56: zu diskutieren und verabschiede mich bis zur nächsten Woche.
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