T 493/23 - Gewinderohrverbindung (Zwischenverallgemeinerung / Anwendung G 1/15)
Shownotes
In dieser Folge sprechen Michael Stadler und Lukas Fleischer über die Entscheidung T 493/23 einer Beschwerdekammer des Europäischen Patentamts aus dem Jahr 2025, die eine Beschwerde gegen eine Entscheidung einer Einspruchsabteilung zum Gegenstand hat.
Die Erfindung stammt aus dem Bereich der Rohölbohrtechnik der Rohölbohrtechnik und betrifft die Verbindung zweier Rohre mittels einer Gewindehülse. Konkret ist die geometrische Form der Außengewinde der Rohrenden und der Innengewinde der Hülse beansprucht, wobei die Gewindenuten der Gewinde abschnittsweise eine variable Breite aufweisen. Das soll eine verbesserte Drehmomentübertragung gewährleisten.
In der Entscheidung werden zwei unterschiedliche Aspekte von Zwischenverallgemeinerungen diskutiert: Einerseits eine Zwischenverallgemeinerung gegenüber der Prioritätsanmeldung, was gemäß der Entscheidung G 2/98 zu einem Prioritätsverlust führt, sodass ein eigenes älteres Recht zum Stand der Technik nach Art 54 (3) EPÜ wurde und neuheitsschädlich war. Andererseits wurde eine Zwischenverallgemeinerung der erteilten bzw. im Einspruchs-Beschwerde-Verfahren geänderten Fassung gegenüber der ursprünglich eingereichten Fassung behandelt, was ein klassisches Art 123 (2) EPÜ Problem darstellt.
Ein interessanter Teilaspekt betrifft den Versuch der Anwendung der Entscheidung G 1/15 (diskutiert in Folge 8 und Folge 9 dieser Staffel des Podcasts): Die Patentinhaberin versuchte die Nichtaufnahme eines Teilmerkmals aus der Beschreibung in Form eines artifiziellen generischen ODER Anspruchs darzustellen, um sich gegenüber dem älteren Recht abzugrenzen. Die Kammer ließ dies jedoch nicht zu, da es kein entsprechendes Merkmal in den Ansprüchen gab, die eine Abstrahierung erlaubt hätten (bei der G 1/15 war das später verallgemeinerte Merkmal bereits in den Ansprüchen der Prioritätsanmeldung vorhanden).
Als Denkanstoß wird kurz andiskutiert, ob - anstatt sich auf eine Teilpriorität im Sinne der G 1/15 zu berufen - nicht auch ein Disclaimer im Sinne der G 1/03 (diskutiert in Folge 17 und Folge 18 dieser Staffel des Podcasts) möglich gewesen wäre, um sich gegenüber dem älteren Recht abzugrenzen.
Im Endeffekt wurde eine Fassung der Ansprüche von der Patentinhaberin ins Verfahren eingeführt, dass die Priorität gültig beanspruchte und keine Zwischenverallgemeinerung enthielt. Nachdem dieser Anspruch für neu und erfinderisch befunden wurde, wurde das Patent in beschränktem Umfang aufrecht erhalten.
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00:00:04: Willkommen zum IP-Courses-Podcast, dem Podcast für gewerblichen Rechtsschutz.
00:00:13: Mein Name ist Lukas Fleischer. Heute werde ich mir gemeinsam mit Michael Stadler die Entscheidung
00:00:17: T 493/23 einer Beschwerdekammer des Europäischen Patentamts ansehen. Grob geht es heute um Änderungen
00:00:25: und Zwischenverallgemeinerungen, den Prioritätsverlust durch diese Verallgemeinerung und einen Versuch,
00:00:31: die Teilprioritäten aus der Entscheidung G 1/15 auf einen Fall konkret anzuwenden.
00:00:37: Hallo Michael.
00:00:39: Hallo Lukas.
00:00:40: Wie immer zuerst meine Frage, worum geht es denn eigentlich bei der Erfindung, die diesem
00:00:44: Streit zugrunde liegt?
00:00:47: In diesem Fall befinden wir uns im Bereich der Rohölbohrtechnik.
00:00:51: Es geht um ein Verbindungselement für die Rohölbohrung.
00:00:55: Da hast du ein hohles Rohr zum Heraufleiten
00:00:57: von
00:00:58: Öl und das muss sich natürlich drehen und den Bohrer antreiben.
00:01:01: Und man kann solche Rohre nicht beliebig lang bauen, das heißt, es ist eine gewisse Stückelung notwendig.
00:01:06: Und hier kommt auch unsere Erfindung ins Spiel.
00:01:09: Die Idee ist es da, ein Zusammenwirken oder ein Zusammenhängen von zwei Rohren zu gewährleisten mit einer Hülse oder mit einem Gehäuse, das rundherum angebracht wird.
00:01:20: Und damit diese zwei Rohre bzw. die Hülse aneinander halten, ist an den Enden der Rohre bzw. im Innenbereich der Hülse eine spezielle Gewindeform und die wurde auch beansprucht.
00:01:32: Die Außengewinde an den Rohren entsprechen dabei natürlich den Innengewinden an der Hülse, sodass dieses daraus gebaute längere Rohr einfach gut zusammenhält.
00:01:41: Vielleicht noch einen Schritt zurück, was soll denn die Erfindung jetzt besser machen als der Stand der Technik?
00:01:47: Weil zwei Rohrenden mit einem Gewinde zu versehen und das mit einer Hülse hineinzuschrauben, die das dann verbindet, das kennt man ja eigentlich vielleicht schon so.
00:01:56: Ja, das Besondere war eben hier, dass eine Gewindeverbindung mit einer hohen Drehmomentübertragung gewährleistet werden sollte, bei einem gleichzeitig reduzierten Bearbeitungsaufwand bei der Herstellung.
00:02:07: Vor allem bei der zerspanenden Herstellung des Gewindes wollte man einfach Arbeitsaufwand reduzieren.
00:02:13: Was sind denn dann die Merkmale, auf die es dann tatsächlich ankommt, die in unserem Anspruch drinnen stehen?
00:02:19: Die Erfindung schlägt da eine spezielle Gewindegeometrie vor.
00:02:23: Schauen wir uns zunächst das Außengewinde der Rohre an.
00:02:25: Die bestehen da aus einem Teil, wo die Gewindenuten eine konstante Breite haben
00:02:30: und gegen Ende hin werden die Gewindenuten immer breiter.
00:02:35: Umgekehrt haben wir die Situation bei den Innengewinden der Rohre,
00:02:39: die ja die Struktur der Außengewinden mehr oder weniger spiegeln.
00:02:42: Hier kommt es zu einer Verschmälerung der Nuten zur Mitte hin.
00:02:47: In der Fertigung soll dadurch die notwendige Anzahl von Schneidvorgängen verringert werden,
00:02:52: ohne dass dabei die mechanische Belastbarkeit der Verbindung verschlechtert wird.
00:02:57: Das heißt, ich verstehe das so, dass wenn dann die Nutbreite vom Außengewinde des Rohres
00:03:05: mit der Flankenbreite von dem Innengewinn des Gehäuses zusammenstimmt,
00:03:10: dass ich dann diese Drehmomentenübertragung zusammenbekomme.
00:03:12: Wie ist denn jetzt das Anmeldeverfahren abgelaufen?
00:03:16: Unser Anmelder stammt aus Japan und der hat eine Erstanmeldung in Japan eingereicht.
00:03:22: Wir haben dann eine internationale Nachanmeldung mit geringfügigen Änderungen
00:03:27: und es gab dann auch eine internationale Recherche durchs Japanische Patentamt mit einigen Beanstandungen.
00:03:32: Es gab dann weitere Änderungen, die der Anmelder beim Eintritt in die europäischen Phase dem Europäischen Patentamt vorgelegt hat.
00:03:41: Dann ist es aber eigentlich relativ einfach gelaufen und das Europäische Patentamt hat die Anmeldung mehr oder weniger unbeanstandet durchgewunken.
00:03:49: Das heißt, intensiv auseinandergesetzt hat man sich dann erst im Einspruchsverfahren mit den Problemen, die dieser Anmeldung zugrunde liegen.
00:03:56: Ganz genau. Ein US-Konkurrent hat Einspruch eingelegt gegen die Erteilung des Patents und zwar basierend auf den Einspruchsgründen mangelnder Neuheit und mangelnder erfinderischer Tätigkeit sowie auch mangelnde Ausführbarkeit.
00:04:10: Der Inhaber hat sein Patent dann mit mehreren Hilfsanträgen verteidigt.
00:04:15: Die Ausführbarkeit ist praktisch nie relevant geworden.
00:04:18: Die Hauptfrage des Verfahrens lag vor allem darin, ob das Prioritätsrecht gültig war,
00:04:23: denn es gab auch einen eigenen, vom Anmelder geschaffenen Stand der Technik.
00:04:27: Das heißt, es handelt sich ja wohl um eine Zwischenveröffentlichung,
00:04:30: die zwischen dem Prioritätszeitpunkt und dem Anmeldezeitpunkt der PCT-Anmeldung hinterlegt worden ist.
00:04:36: Wie ist es jetzt zu diesem Prioritätsproblem gekommen, dass da relevant geworden ist?
00:04:40: Schauen wir uns an, was der Einsprechende jetzt konkret vorgelegt hat.
00:04:43: Der hat ein älteres Recht des Inhabers selbst vorgelegt, das alle wesentlichen Merkmale der Erfindung zeigt.
00:04:50: Das heißt, es war relativ unstrittig.
00:04:52: Und ohne gültiges Prioritätsrecht ist dieses vorgelegte ältere Recht einfach Stand der Technik im Sinne des Artikel 54 (3) EPÜ.
00:05:02: Der Einsprechende hat aber zusätzlich noch ein Dokument D10 eingereicht.
00:05:06: Dabei handelt es sich nicht um Stand der Technik, sondern um Änderungen, die zwischen der Erstanmeldung und der Nachanmeldung aufgezeigt wurden.
00:05:14: Der hat praktisch ein Änderungsexemplar eingereicht, um hier die Unterschiede aufzuzeigen.
00:05:19: Wenn die Änderungen groß genug sind, kommt es nach der G 2/98 zum Prioritätsverlust.
00:05:25: Das heißt, wenn der Anspruch der Nachanmeldung nicht unmittelbar und eindeutig in der Erstanmeldung offenbart ist.
00:05:32: Und ohne Prioritätsrecht, wie gesagt, ist die eigene Anmeldung, das eigene ältere Recht neuheitsschädlich.
00:05:39: Die Probleme, die in dem Verfahren diskutiert worden, scheinen ja sehr umfangreich gewesen zu sein.
00:05:44: Bevor wir jetzt auf die Frage der Teilpriorität zu sprechen kommen, kannst du uns vielleicht die Entscheidung der Einspruchsabteilung schildern, die dann diesem Beschwerdeverfahren zugrunde liegt.
00:05:53: Schauen wir uns zunächst die erteilte Fassung an.
00:05:56: Da ist auffällig, dass der Inhaber im europäischen Patent Merkmale des Innengewindes in den Patentanspruch aufgenommen hatte.
00:06:05: Da ging es nämlich genau um diese Änderung der Gewindenutbreite über die Länge hinweg.
00:06:10: Die Einspruchsabteilung hat das als Zwischenverallgemeinerung gegenüber der Erstanmeldung angesehen und das Prioritätsrecht nicht zuerkannt.
00:06:18: Hintergrund war, dass wenn man sich den betreffenden Absatz in der Beschreibung durchliest,
00:06:23: man schon sieht, dass jedes Merkmal des Innengewindes immer in Kombination mit dem entsprechenden Merkmal des Außengewindes beschrieben ist.
00:06:32: Ich gehe davon aus, der Inhaber hat jetzt argumentiert, dass durch dieses Merkmal "die entsprechen einander" auch die Merkmale des Außengewindes ausreichend definiert und offenbart sind.
00:06:42: Wie ist denn die Einspruchsabteilung damit umgegangen?
00:06:45: Genauso hat der Patentinhaber argumentiert.
00:06:48: Die Frage, die sich jetzt für die Einspruchsabteilung gestellt hat, war der, was bedeutet eigentlich zwei Gewinde entsprechen einander?
00:06:55: Da kommt es natürlich dazu, dass sich die Einspruchsabteilung ansehen muss, wie in diesem Fachbereich das Entsprechen von zwei Gewinden üblicherweise ausgelegt wird.
00:07:05: Und gerade in diesem Bereich ist es so, dass Entsprechen gerade nicht heißt, dass die Gewinde einander eins zu eins entsprechen.
00:07:14: Es kann dann nämlich durchaus vorkommen, dass in den einzelnen Gewindenuten zur Seite oder nach oben noch ein gewisser Spalt verbleibt.
00:07:21: Wenn die Gewinde einander entsprechen, heißt das noch lange nicht, dass die Form des Innengewindes auch die Form des Außengewindes definiert.
00:07:29: Deswegen fehlen diese Merkmale im Patentanspruch.
00:07:33: Ich gehe mal davon aus, wenn die Priorität wegfällt, dann war die Neuheitsfrage relativ schnell gelöst.
00:07:39: Ja, das eigene Dokument war als älteres Recht neuheitsschädlich hatte nahezu die gleiche Offenbarung.
00:07:45: Der Inhaber hat dazu nicht einmal inhaltlich vorgetragen.
00:07:49: Wie ist es dann mit dem Einspruchsverfahren weitergegangen? Wie ist denn das dann ausgegangen?
00:07:53: Im Einspruchsverfahren hat sich dann der Patentinhaber schrittweise an eine Fassung herangetastet, die das Prioritätsrecht genießt.
00:08:00: Und in dieser Fassung ist dann das Patent im beschränkten Umfang aufrechterhalten worden.
00:08:05: Wir haben also eine Aufrechterhaltung im beschränkten Umfang.
00:08:09: Das heißt, beide Parteien sind somit durch die Einspruchsentscheidung beschwert.
00:08:13: Wer hat denn tatsächlich dann
00:08:14: Beschwerde eingelegt?
00:08:15: In diesem Fall nur der Einsprechende.
00:08:17: Der Patentinhaber gab sich scheinbar damit zufrieden, was ihm geblieben war.
00:08:22: Die erteilte Fassung war damit schon aus dem Rennen.
00:08:25: Es ging jetzt in erster Linie einmal darum zu prüfen,
00:08:29: ob die in erster Instanz aufrechterhaltene Fassung
00:08:33: die ursprüngliche Offenbarung überschritten hat.
00:08:35: Es ging hier wieder um Zwischenverallgemeinerung.
00:08:38: Jetzt waren doch die Einspruchsgründe eigentlich
00:08:40: mangelnde Neuheit und mangelnde Ausführbarkeit.
00:08:43: Jetzt wird aber auf einmal die Zwischenverallgemeinerung
00:08:46: als 123 (2) Problem diskutiert.
00:08:49: Kann man das jetzt überhaupt noch geltend machen?
00:08:51: Du hast recht, das könnte jetzt schon relativ spät sein.
00:08:54: Der Einspruch und die Einspruchsgründe,
00:08:56: die richten sich immer nur gegen die erteilte Fassung.
00:08:59: Und die hat nach Ansicht des Einsprechenden
00:09:01: die ursprüngliche Offenbarung offenbar nicht überschritten.
00:09:04: Jetzt ging es aber um eine komplett andere Fassung,
00:09:07: die aufgrund eines Hilfsantrags, der im Verfahren aufgekommen ist, gewährt wurde.
00:09:12: Und die kann man natürlich nach allen Richtungen anfechten,
00:09:17: jedenfalls wegen unzulässiger Änderungen, aber vielleicht auch wegen mangelnder Klarheit oder Ähnlichem.
00:09:21: Worin besteht denn jetzt genau das Problem,
00:09:23: das der Einsprechende in der aufrechterhaltenen Fassung der Ansprüche sieht?
00:09:28: Im Anspruch wurde ein Merkmal "abgeschrägte Flächen" aufgenommen und es ist völlig unstrittig, dass dieses Merkmal auch in der Beschreibung offenbart war.
00:09:39: Es gab aber keinen darauf gerichteten dezidierten Patentanspruch.
00:09:44: Die Beschreibung
00:09:44: zählt ja auch zur Offenbarung. Unter welchen Voraussetzungen kann man denn Merkmale aufnehmen, damit das dann keine Zwischenverallgemeinerung
00:09:51: ist?
00:09:52: Wichtig ist hier, dass die Merkmale, die du aufnimmst, nicht aus dem Kontext gerissen werden.
00:09:57: Im Prinzip ist es ein ähnliches Problem wie beim Prioritätsverlust, den wir vorher diskutiert haben.
00:10:02: Hier war die Konstellation eben die, dass, wie gesagt, abgeschrägte Flächen und die Abschrägungswinkel in den Patentanspruch aufgenommen wurden.
00:10:10: Der Einsprechende war aber der Meinung, dass bestimmte Merkmale in dem Gewinde,
00:10:16: nämlich sogenannte Stichflanken und Lastflanken, auch in der Beschreibung mit erwähnt wurden,
00:10:21: die aber im Anspruch fehlen, also nicht vorhanden sind, obwohl sie eigentlich in der Beschreibung
00:10:27: gemeinsam und innig verbunden mit den abgeschrägten Flächen offenbart waren.
00:10:32: Hier haben wir damit wieder eine unzulässige Zwischenverallgemeinerung,
00:10:36: jetzt aber gegenüber der Fassung der PCT-Anmeldung.
00:10:39: Und das führt dazu, dass wir ein Problem mit Artikel 123 (2) haben, also eine Überschreitung der Offenbarung.
00:10:47: Das heißt, wir betrachten jetzt nicht mehr den Unterschied zwischen der Prioritätsanmeldung,
00:10:51: also der Anmeldung, deren Priorität dieses Patent beansprucht,
00:10:55: sondern tatsächlich die ursprünglich eingereichte Fassung.
00:10:58: Es ist aufgrund der G 2/98 eigentlich exakt die gleiche Fragestellung.
00:11:03: In einem Fall habe ich eben mit Artikel 123 (2) EPÜ sofort ein Problem des Widerrufs des Patents oder der Nichtigkeit.
00:11:11: Im anderen Fall habe ich einen Prioritätsverlust und die Situation, dass ich in die Neuheitsprüfung muss.
00:11:17: In unserem Fall mit dem älteren Recht läuft es aber aufs selbe hinaus.
00:11:20: Welche Argumente hat denn unser Patentinhaber jetzt vorgebracht, um gegen diese Zwischenverallgemeinerung zu argumentieren?
00:11:27: Der Patentinhaber will das so darstellen, dass die Merkmale, nämlich die Abschrägungen einerseits
00:11:33: und die Anordnung der Last- und Stichflanken miteinander nichts zu tun haben und getrennt aufgenommen werden können. Und
00:11:41: er verweist dabei auf die Beschreibung. Die
00:11:42: Beschreibung zeigt zuerst die konkrete Ausgestaltung der Flanken, dann optional die konkreten Winkel der Abschrägungen.
00:11:50: Dabei wird erwähnt, dass abgeschrägte Flächen für sich alleine die Belastung der Zähne des Außen und Innengewindes verhindern. Die
00:11:58: Kammer hat es anders gesehen. Die Kammer hat hier argumentiert, dass die Beschreibung nur einen einzigen gemeinsamen technischen Effekt zeigt und
00:12:06: eben nicht die beiden Einzeleffekte voneinander separat.
00:12:10: Daher ist sie davon ausgegangen, dass die alleinige Aufnahme der Abschrägungen ohne die Aufnahme der konkreten Ausgestaltungen der Flanken nicht ursprungsoffenbart war.
00:12:22: Das heißt, die von der Einspruchsabteilung aufrechterhaltene Fassung kann so auch nicht stehen bleiben.
00:12:27: Genau so ist es.
00:12:28: Widmen wir uns jetzt einmal vielleicht dem interessantesten Aspekt dieser Entscheidung, der mit der Entscheidung G 1/15 der Großen Beschwerdekammer zusammenhängt.
00:12:36: Über die G 1/15 haben wir schon in einer unserer vorangegangenen Podcast-Folgen intensiv diskutiert.
00:12:42: Bei der G 1/15 ging es ja um Teilprioritäten und die Frage, wie weit man von der Prioritätsanmeldung abstrahieren kann.
00:12:48: Heute wollen wir uns einmal anschauen, wie die Beschwerdekammer das konkret auf einen Fall umlegt.
00:12:53: In welchem Kontext taucht denn diese Frage auf?
00:12:56: Ja, hier kommen wir wieder auf die konkrete Form unseres Innengewindes zurück,
00:13:01: die bei all den Fragen, um die es hier in der Beschwerde ging, Relevanz hatte.
00:13:06: Hier ging es wieder um die konkrete Frage, wenn ich einzelne Merkmale des Innengewindes aufnehme, welche Merkmale muss ich denn sonst noch in den Patentanspruch aufnehmen?
00:13:17: Das Innengewinde war zwar wortwörtlich in der Beschreibung und der Erstanmeldung enthalten, das Problem war aber jetzt wieder, dass dieses Merkmal isoliert aufgenommen worden war und bereits in erster Instanz kam es da zu einer Beschränkung.
00:13:31: Jetzt hat der Anmelder noch mehr Merkmale in den Patentanspruch aufgenommen und das Argument war wieder, dass die notwendigen Merkmale, die in der Beschreibung auch offenbart waren, im Patentanspruch nicht enthalten waren und nicht einmal durch den Patentanspruch impliziert waren.
00:13:47: Und wie bringt jetzt konkret die Patentinhaberin die G 1/15 ins Spiel?
00:13:52: Was man für die Anwendung der G 1/15 logisch braucht, ist ein Patentanspruch mit zwei Teilen, nämlich einem Teil, der das Prioritätsrecht genießt und einen anderen Teil, der keine Priorität hat. Damit kann man sich dann grundsätzlich von einem älteren Recht abgrenzen.
00:14:10: Also praktisch bräuchten wir jetzt eine Zweiteilung mit einem ersten Teil, der alles enthält, was in der Beschreibung in Kombination mit dem Innengewinde offenbart ist.
00:14:21: Und dann bräuchten wir einen zweiten Anspruch oder einen zweiten Anspruchsteil, der die abstrahierte Form, wie sie jetzt im Patentanspruch enthält, aber ohne all die weiteren Konkretisierungen, die mit dem Innengewinde zwingend verbunden sind.
00:14:36: Und da uns die G 1/15 ja sagt, dass dieser generische ODER-Anspruch auch künstlich konstruiert werden kann und das gar nicht konkret im Anspruch stehen muss, würde das bei uns doch eigentlich auch funktionieren,
00:14:49: oder?
00:14:49: Ja, ich hätte mir das eigentlich auch so gedacht. Also hättest du mir den Fall unabhängig von der Kammerentscheidung gezeigt, dann hätte ich gesagt, das ist eigentlich genau ein Fall, wie gemacht für die Argumentation der G 1/15.
00:15:04: Da ging es ja konkret auch darum, dass man ein Merkmal in der Prioritätsanmeldung in abstrahierter Form weiterverwenden möchte.
00:15:14: Der einzige Unterschied zur G 1/15 ist jetzt der, dass bei der G 1/15 eine engere Formulierung in der Erstanmeldung
00:15:23: durch eine breitere, umfangreichere Formulierung der Nachanmeldung ersetzt wurde.
00:15:29: Im konkreten Fall war es aber so, dass ein Merkmal aus der Beschreibung einfach gestrichen und nicht abstrahiert wurde.
00:15:36: Und genau darin sieht die Kammer jetzt den Unterschied, dass sie im vorliegenden Fall die Teilprioritäten gerade nicht zulassen will.
00:15:45: Jetzt ist doch die Frage, ob ich ein Merkmal verallgemeinere oder ganz streiche, doch eigentlich nur eine Formulierungsfrage.
00:15:54: Beides erweitert durch den Schutzbereich, ob ich jetzt sozusagen einen speziellen Begriff durch einen allgemeinen ersetze oder indem ich einen Begriff ganz weglasse.
00:16:04: Ja, so würde ich das eigentlich auch sehen, dass es auf die konkrete Formulierung einfach nicht ankommt.
00:16:11: Die Kammer führt aber hier bewusst ein Formalkriterium ein, sodass ich in Anlehnung an die G 1/15 ein generisches ODER zwingend benötige.
00:16:22: Das heißt, es ist also notwendig, dass diesbezüglich schon eine gewisse Information im Patentanspruch enthalten ist,
00:16:28: damit ich dann eine Konkretisierung vornehmen kann.
00:16:32: Das heißt, die Kammer meint jetzt, man braucht also irgendein allgemeines Merkmal,
00:16:37: das thematisch irgendwie zu einem speziellen Merkmal passt, das weggelassen wurde.
00:16:42: Genau. Auf den ersten Blick klingt so ein allgemeines Merkmal, das ich benötige,
00:16:48: um dann
00:16:48: doch die Konstellation aus G 1/15 anwenden zu können, ganz plausibel.
00:16:53: Was ja auch interessant ist, ist, dass die Begründung, die der G 1/15 zugrunde liegt,
00:17:00: nämlich die Möglichkeit, hier Disclaimer formulieren zu können,
00:17:03: problemlos dazu geführt hätte, dass man hier ein Patent bekommt.
00:17:07: Ich hätte ja vielleicht nicht in dem Verfahrensstadium, aber ganz generell
00:17:10: zwei Patentansprüche formulieren können, nämlich einen, der sich ausschließlich auf den konkreten Teil bezieht.
00:17:17: Das ist der, der letztlich auch aufrechterhalten wurde und zwar problemlos.
00:17:21: Und andererseits einen Disclaimer einführen können, der die allgemeine Fassung, wie auch immer sie formuliert ist, mit Ausnahme dieses konkreten Merkmals einführt.
00:17:32: Man sieht also, dass die Kammer in dieser Entscheidung ein Kriterium eingeführt hat, das man durch Umformulierung entsprechend der G 1/03 einfach hätte aushebeln können.
00:17:43: Vielleicht nicht mehr in dem Verfahrensstadium, aber grundsätzlich vorher, wenn man gewusst hätte, dass die Kammer eine derart enge Sichtweise auf die Entscheidung G 1/15 hat.
00:17:55: Wie ist denn der Fall dann konkret wirklich ausgegangen?
00:17:58: Ich habe es eh schon kurz gespoilert. Der Inhaber hat dann sich weiter herangetastet an die Fassung, die dann endlich das Prioritätsrecht erhalten konnte.
00:18:08: hat also noch ein zusätzliches Merkmal aufgenommen, nämlich das, das in der betreffenden Passage im Prioritätsdokument erwähnt war,
00:18:16: im Patentanspruch aber noch gefehlt hat.
00:18:19: Also mit diesem zusätzlichen Merkmal hatte der Anspruch dann das Prioritätsrecht zu Recht.
00:18:25: Das ältere Recht, das dem Anspruch bislang entgegengehalten wurde,
00:18:29: war aufgrund des gültigen Prioritätsrechts einfach nicht mehr Teil des Standes der Technik.
00:18:34: Die Anmeldung war damit neu und erfinderisch.
00:18:36: Welche Punkte würdest du denn jetzt aus dieser Entscheidung für die Praxis mitnehmen?
00:18:41: Die Entscheidung zeigt uns ganz schön, dass Zwischenverallgemeinerungen in zweierlei Hinsicht ein Problem bilden können.
00:18:47: Einerseits, und das ist die offensichtliche Seite, ist, dass eine Zwischenverallgemeinerung einen Verstoß gegen Artikel 123 (2) EPÜ mit sich bringt.
00:18:56: Auf der anderen Seite haben wir aufgrund der G 2/98 aber auch die Situation,
00:19:00: dass eine Zwischenverallgemeinerung zwischen Erstanmeldung und Nachanmeldung einen Prioritätsverlust mit sich bringt.
00:19:07: der so wie hier aufgrund des älteren Rechts eben auch zur mangelnden Neuheit führt.
00:19:12: Bei diesen Zwischenverallgemeinerungen ist es generell problematisch, wenn man Merkmale aus der Beschreibung isoliert herausreißt.
00:19:21: Um sich da das Leben in manchen Situationen ein bisschen leichter zu machen, kann man abhängige Patentansprüche formulieren.
00:19:28: Auch das ist nicht hundertprozentig sicher, aber wenn das Merkmal bereits in einem abhängigen Patentanspruch steht, ist die Wahrscheinlichkeit größer, hiermit durchzukommen.
00:19:39: Wie Entscheidungen der Großen Beschwerdekammer in der Praxis angewandt werden, ist oft sehr schwer vorhersehbar.
00:19:45: Und wie man im vorliegenden Fall sieht, kann es durchaus auch passieren, dass die Beschwerdekammer einfach zusätzliche und auch für den Patentinhaber nicht erwartbare Kriterien einführt, die dann notwendig sind, dass man in den Anwendungsbereich einer großen Beschwerdekammerentscheidung kommt.
00:20:05: Das war eine Folge des IP-Courses-Podcasts zur Entscheidung T 493/23 einer Beschwerdekammer des Europäischen Patentamts.
00:20:13: Vielen Dank Michael und vielen Dank für Ihr Interesse.
00:20:19: Das war ein IP-Courses-Podcast.
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